Pick Up – eine Institution

Abseits aber doch ganz nah der großen Shoppingmeile Flinger Straße liegt in der Kapuzinergasse ganz versteckt eine echte Düsseldorfer Institution. Seit 1978 ist der Kultladen Pick Up in dieser kleinen, gemütlichen Gasse beheimatet. Er gehört zu Düsseldorf wie der Ratinger Hof, die Toten Hosen und das Altbier. Und Generationen kaufen sich hier ihre Dr. Martens, Second-Hand-Klamotten, Buttons oder Nieten. Wir trafen Inhaber Christian Werner zum Gespräch über mehr als 40 Jahre Düsseldorfer Rock’n’Roll Historie auf 25 Quadratmetern.

Als einer der ersten in Deutschland importierte der damalige Besitzer Heiner Hoppe Dr. Martens-Schuhe aus England. Damals fuhr er noch selber in einem alten Renault R4 nach Northamptonshire, dem Zentrum der englischen Schuhindustrie, um die heiße Ware einzukaufen. Beim Beladen des Autos half in den 70er Jahren Bill Griggs, der Vater dieser Schuhklassiker, selbst mit – bevor seine Schuhfirma zur britischen Ikone wurde. Bei den Düsseldorf Punks waren diese robusten Schuhe besonders beliebt, wie vorher und nachher bei etlichen anderen Subkulturen. So lag es für Heiner nahe, mit dem Pick Up einen eigenen Schuhladen nur für „Doc’s“ aufzumachen.

Denn Erfahrung in der Modebranche hatte er schon einige sammeln können. Als gerade 18-Jähriger eröffnete der Kölner seinen ersten Laden in der Düsseldorfer Altstadt, damals unter dem Namen Best British Clothing (BBC). Angefixt vom Rock-Bazillus wurde er als er für eine Schülerzeitung eine Tour der Rolling Stones begleiten durfte. Mit dem BBC traf Heiner in den 70er Jahren den Zeitgeist. Hier gab es nicht nur die ersten Doc’s der Stadt zu kaufen, sondern auch Lederjacken mit Nieten oder hautenge, gestreifte Jeans. So prägte das BBC den modischen Geschmack und das Aussehen der gerade entstehenden Punkszene auf der Ratinger Straße entscheiden mit. Was heute als Klassiker des Punk-Looks gilt, das gab es damals im BBC zu kaufen.

Und die Ware kam über teils abenteuerliche Wege in die Altstadt. So ließ Heiner die Stoffe für die berühmten Streifen-Jeans in Deutschland bedrucken. In Belgien wurden sie dann zu Hosen vernäht. Nicht selten kam es vor, dass die Zöllner sich über die ungewöhnliche Fracht im R4 wunderten – es war selbstredend, dass Heiner sie höchstpersönlich über die Grenze brachte. Von solche Anekdoten übers Pick Up gibt es noch unzählige. Es sind Geschichten über ganz andere Zeiten, ohne Internet, offene Grenzen und auch über eine sehr andere Altstadt. Auch
Pop- und Fernsehgeschichte wurde in dem kleinen Laden mit der großen Wirkung geschrieben. Im engen, dunklen Schuhlager, vor unzähligen Kartons und Verpackung, fand 1993 ein Fernsehcasting statt, das eine junge Düsseldorferin zu einer Weltkarriere verhelfen sollte. Im für sie und das Musikfernsehen der 90er Jahre so typischen Plapperton überzeugte Heike Makatsch die Macher des gerade entstehenden Musiksenders Viva sofort. Vom Pick Up in der beschaulichen Kapuzinergasse ging es dann für Makatsch innerhalb weniger Jahre zu Rollen in Kino-Blockbustern wie „Resident Evil“ und „Tatsächlich … Liebe“.

Daneben blieb das Pick Up aber immer Szene-Treff für Punks, Mods und Goths. Angezogen durch den Charme, Humor und der Unangepasstheit von Heiner. Denn vereinnahmen von zu viel Konsum ließ sich der Mann mit der markanten Stimme nie. Er blieb seinem Klientel treu. Und zeigte das immer wieder durch sehr punkige Aktionen. Auch heute noch atmet der langgezogene Raum den Geist des Punk-Rocks. Meterhoch türmen sich an den Wänden im Pick Up die Schuhkartons. Und der restliche Platz ist über und über beklebt mit alten Fotos. Berühmte Kunden sind hier zu sehen, verrückte Gäste, wilde Parties, Konzerte von den Heiligen des Punkrocks und immer wieder die Toten Hosen. Denn diese Band ist mit dem Laden wie keine zweite verbandelt. Für Fans ist das Pick Up Anlaufpunkt Nummer eins. Hier kauften schon Generationen von Hosen-Fanatikern ihre Fan-Shirts, Aufnäher, Kutten, Buttons und was es nicht sonst noch so alles von der berühmtesten Band Düsseldorfs zu kaufen gibt.

Geändert hat sich in den vergangenen Jahren aber doch einiges. Mit Christian Werner hat Heiner einen würdigen Nachfolger fürs Pick Up gefunden. Denn „Chris“, wie ihn hier alle nennen, hat auch schon eine illustre Vergangenheit als Ladenbe- und Modevertreiber in der Altstadt. Im Pretty Vacant verkaufte er tagsüber skandinavische Streetwear bevor es abends zum Club wurde. Als einer der ersten Läden führte er Lederjacken des damals jungen Düsseldorfer Labels Tigha. Über seinen Laden „Bude“, schräg gegenüber vom Pick Up in der Kapuzinergasse, kam dann ein freundschaftlicher und nachbarschaftlicher Kontakt zu Heiner zustande.

Und auch dem Rock’n’Roll ist Chris tief verbunden. 14 Jahre lang war er Bassist der NuMetal- Band Cho-Jin. In den 90ern seien sie fest davon überzeugt gewesen, Rockstars zu werden, sagt Chris schmunzelnd heute bei einem spannenden und sehr unterhaltsamen Gespräch über das Pick Up und seine Geschichte. Als es mit dieser Karriere dann wiedererwartend doch nichts wurde, wandte sich der studierte Soziologe dem Retail zu. Das einzige Album der Band erschien übrigens bei Goldene Zeiten, dem Label des ehemaligen Hosen-Drummer Wölli Rohde. So schließt sich dann der Kreis im Pick Up auch wieder: Einmal Punk, immer Punk! Nach fast 40 Jahren Heiner steht nun Chris täglich im Laden, berät, verkauft und bewahrt vor allem das ganz besondere Flair des Pick Ups.

Davon zeugen auch die vielen Fans des Ladens, die seit Generationen in die kleine, unscheinbare Gasse in der Altstadt strömen, um genau hier und auch nur hier ihre neuen Doc’s zu kaufen. Dann erzählen Müttern ihren Töchtern, wie sie ihr erstes Paar hier gekauft haben. Und dazu noch gleich ein Paar Nieten und Buttons. Und auch vom ehemaligen Chef mit der markanten Stimme und dem rauen Charme. Dann lächelt Chris sanft und tischt noch ein Paar Anekdoten mehr über das Pick Up auf. Um was es darin geht, hat hier leider keinen Platz mehr. Also lieber selber ins Pick Up gehen, die Luft von 40 Jahren Ladengeschichte atmen und sich bei der Schuhprobe die besten Geschichten vom Chef persönlich erzählen lassen. Wie zum Beispiel als Andy Warhol einen Nachmittag auf der Ladencouch verbrachte. Oder als zu Ostern ein Lammherz in der Auslage Kirchenvertreter auf die Palme brachte…

Vielen Dank! 

Pick Up

Kapuzinergasse 15
40213 Düsseldorf

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Öffnungszeiten

Mo – Sa: 11 – 19 Uhr
So: geschlossen

Zahlungsmöglichkeiten

Bar, EC-Karte

Text: Clemens Henle
Fotos: Kristina Fendesack & Christian Werner (Archiv)
© THE DORF 2019/20

 

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