>> Ein Gentlemen’s Club für den verwegenen Herrn von Welt. Ein Laden voller bärtiger Kerle, die Whiskey trinken, Rasur und Haarschnitt genießen, sich tätowieren lassen. Es riecht nach Holz, Leder und eigens aus den USA importierten Barberprodukten. Kurios: Es sind zwei Frauen, die den Shop führen. Getreu dem Motto: Trust the girls. <<
Besser hätten wir es auch nicht formulieren können. Die Passage stammt aus dem Pressetext des Langschmidt Barbershop & Ink und trifft ziemlich genau auf den Punkt, was einen beim Betreten des Ladenlokals auf der Ackerstraße erwartet. Vor ziemlich genau einem Jahr, am 10. Oktober 2014 fiel bei Julia Zenner die Entscheidung, einen Barbershop nur für Jungs ähm, richtige Kerle zu eröffnen. Die Idee: Ein Barbershop, in dem der Mann wieder zum Mann gemacht wird. Ein Laden, in dem es neben Herrenhaarschnitt, Bartschnitt, Rasur und Tätowierungen zu jederzeit einen guten Whiskey, ein kühles Bier und kleines Sortiment an Zigarren gibt.
Julia ist Friseurmeisterin, aber von der Branche mehr als bedient. Zu anstrengend ist es, sich mit den korrekten Blondton-Wünschen und den Befindlichkeiten einiger Düsseldorfer Damen herumzuschlagen. Denn Julia ist Feuer und Flamme für das echte, das richtige, das ehrliche Handwerk. Ein Handwerk, das es nur noch ganz selten gibt.
Julia arbeitete als Storemanagerin beim Surf & Skate-Shop Langbrett, ebenfalls auf der Ackerstraße. Als nur ein paar Meter weiter neben Dear Sirs, Spezialist für rahmengenähte Herrenschuhe und der Bar Pechmarie ein Ladenlokal frei wird, greift Julia zu. Mit hochgekrempelten Ärmeln und dank Nils Regenhaut, Moritz Schmidt und weiteren, unglaublich engagierten Freunden krempelt sie das Ladenlokal auf Links. Aus Schweiß, Schutt und Staub entsteht in knapp zwei Monaten der „Langschmidt Barbershop & Ink“.
Das Logo entwickelt Robin Savvidis, Grafikdesigner und ein alter Freund, den Julia durch Zufall im Langbrett Store wiedertrifft. Die beiden haben sich lange nicht mehr gesehen, aber die Chemie stimmt noch. Das Motiv ist schnell gefunden, denn es zeigt Herrn Langschmidt, den Namensgeber von Julias Laden. Und den gab es wirklich. Er heißt Franz-Josef Zerhusen und ist rein zufällig Julias Ur-Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits. Der vollbärtige Vorfahre lebte im 19. Jahrhundert, war sehr groß und von Beruf Schmied. So entstand sein Spitzname, „der lange Schmied.“
Auch die Einrichtung greift bewusst traditionelle, klassische Elemente auf, die aus ganz Deutschland stammen. Julia hat viele der Einrichtungsgegenstände aus einem alten Barbershop aus der Nähe von Heilbronn übernommen, die sie über Ebay fand. Schöne Randgeschichte: Die Dame, die den Herrensalon ihres verstorbenen Vaters aufgelöst hat, ist überglücklich, dass Julia die Möbel weiter im ursprünglichen Gebrauch verwendet. Auch die Toilette ist ein kleiner Hingucker: in liebevoller Handarbeit wurde diese von der fleißigen Mitarbeiterin Karo in zwei Tagen komplett mit den Seiten alter „Praline“ Erotikfheftchen aus dem Jahr 69 tapeziert, die sie bei einem Sammler in Siegburg kaufte. Der Rest des Interieurs ist bewusst puristisch gestaltet. Denn das Ladenlokal soll auch als Veranstaltungsleinwand für Kunst unterschiedlichster Richtungen dienen.
Wenn Julia von „wir“ spricht, meint sie das Team, das von Anfang an dabei ist: Im „Langschmidt“ stehen Karo, ein lautes Ruhrpott-Mädchen und Max Gertenbach, ein begnadeter Tätowierer. Barber und Tattoo. Genau das ist ihr Ding, ihre Leidenschaft. Denn was ist männlicher als Tätowierungen? Freundlich, kompetent und ohne Rockstarallüren fertigt Max selber oder nach Kundenvorlage individuelle Tätowierungen für jedermann und Frau. Von Oldschool bis Realistic B/G und bei höchstmöglichem Kundenkomfort. Magie unter der Haut und Kraft für die Seele.
Kundenkomfort und Empathie wird sowohl bei Tätowierer Max, als auch bei den „Barber-Girls“ Julia und Karo groß geschrieben. Julia sagt: „In unserem Handwerk geht es darum, die eigene Art herauszuarbeiten, zu verstehen, wer das eigentlich ist, der da im Stuhl sitzt. Es geht am Ende also um Vertrauen und Beziehung. Das mag sich kitschig anhören, ist aber Fakt und wird häufig unterschätzt: ohne Empathie, ohne Beziehung, wird aus keinem Menschen ein schöner Mensch.“
Trust the Girls!
Und warum sollten gerade Männer sich zwei Ladies anvertrauen, wenn es um ihre Körperhaare geht? Julia meint: „Weil wir als Frauen wissen, wie wir die Männer haben wollen! In der Gala und Prosecco-dominierten Friseurwelt hat der Mann mit seiner Männlichkeit überhaupt keinen Platz mehr. In unserem Barbershop gilt: weniger Frau = mehr Mann. Zudem, laut einiger Kunden, vermittelt die intensive Behandlung des männlichen Kopfes durch eine Frau ein Gefühl der Geborgenheit, um nicht zu sagen, „man fühlt sich wie früher bei Mama: verwöhnt und glücklich.“ Und damit keine Missverständnisse aufkommen, wird die eindeutige Ausrichtung direkt am Eingang mit dem Schild „Men only, sorry ladies, move along“ klargestellt.
Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Ist das ganze „Barber-Shop-Dingen“ nicht nur ein modisches Phänomen für Großstadt-Hipster, das in den nächsten Jahren wieder in der Versenkung verschwindet? Julia meint: „Durch modische Extremisten werden eigentlich immer breitere Entwicklungen angestoßen. Heute trauen sich einfach zunehmend mehr Männer, sich ohne schlechtes Gewissen männlich zu fühlen und so auch auch darzustellen. Das schafft ein völlig neues Selbstverständnis.“
Julia und Karo verwende Produkte von IMPERIAL, L.A., einem amerikanischen Unternehmen, das seit über 20 Jahren Erfahrung im Barbierbereich hat. IMPERIAL, L.A. hat die „2.0 Version“ seiner Produkte entwickelt, in dem es sie auf das Wesentliche reduziert hat. Apropos Produkte: Langschmidt arbeitet bereits an der Entwicklung einer eigenen Produktlinie. Den Anfang macht das hauseigene Bartöl, das schon jetzt strohige Bärte geschmeidig weich macht.
Bei Langschmidt finden immer wieder unterschiedlichste Veranstaltungen statt. Ausstellungen, kleine Parties, auch als Pop-up-Fläche ist der Raum anzumieten. Julia sagt: „Wir verstehen das, was wir tun als Kunst, Haarkunst, Bartkunst, Hautkunst. Deshalb gilt unsere ganze Sympathie allen anderen Kunstformen: Musik, Fotografie, Malerei. Ziel ist es möglichst viele kreative Menschen an einen Ort zu bringen.“ Augen auf: Denn ab und an ist das Langschmidt Team auch außerhalb des Ladens anzutreffen. So bauten Julia und Max den Tattoo- und Barbiersessel schon beim Nooij Sommerfest oder beim Pop-Up Now Markt im Boui Boui Bilk auf. Also werte Herren, tätowiert oder blank, ob mit oder ohne Rauschebart – Julia, Karo und Max freuen sich auf euren Besuch!
Eure Besonderheiten?
a) Der erste Barbershop Deutschlands von Frauen für Männer.
b) Tätowierkunst als Handwerk im ursprünglichen Sinne, nämlich im Dienste der Selbstdarstellung
Was sagen Eure Feinde über Euch? Wir haben keine Feinde, wir haben Rasiermesser… 😉 Absurderweise wird uns das vorgeworfen, was wir für eine grundlegende Qualität halten: wir verstehen als Frauen die Männer.
Was bringt die Zukunft? Fülle & Pracht
Eure liebsten Nachbarn? Das ist einfach: Schuhliebe, Ginliebe, Kuchenliebe, Schmuckliebe, Kaffeeliebe – sprich: Dear Sirs, Pechmarie, Café Hüftgold, Geschmeidig und Café Nikan.
Vielen Dank!
Fotos: Sabrina Weniger
Text: Tina Husemann
© THE DORF 2015