RICHARD BELLIA

Mit seinen Fotos dokumentiert Richard Bellia seit mittlerweile 42 Jahren die globale Musikgeschichte. Seine Fotos hängen in Städten wie Chicago, New York, Tokio oder London. Und nun auch im Flingeraner Weltkunstzimmer. Ab dem 18. März 2022 ist dort seine Ausstellung „Richard Bellia. Rocking Photography“ zu sehen. THE DORF traf den französischen Musikfotografen bei den Vorbereitungen. Der Tag entpuppte sich als ein kleiner Crashkurs in Sachen Fotografie, neuen Musikeindrücken und soziokulturellen Hypothesen über das Wesen der Menschen.

Richard Bellia begegnet Menschen auf Augenhöhe. Es ist, als würde man einen alten Freund treffen, den man lange nicht mehr gesehen hat. Gesprochen wird über neue und alte Musik, die Tricks und Merkmale guter Fotografie und es dauert nicht lange, bis er die erste Anekdote über eines seiner Fotos erzählt.

Erst einmal ganz allgemein: Wie bist Du zur Fotografie gekommen und wann hast Du damit angefangen? Ich habe 1980 mit der Fotografie angefangen. Ich hatte davor einige Konzerte besucht und Menschen mit Fotoapparaten gesehen, die dort waren, um die Konzerte festzuhalten. Ich war direkt begeistert und habe gedacht „Das muss total gut sein, ein Konzert und dann auch noch eine Kamera.“ Im Sommer habe ich dann in einer Fabrik gearbeitet und mir von meinem Lohn meinen ersten Fotoapparat gekauft. Ich bin noch am gleichen Tag zu einem Konzert gegangen. Ich würde schon sagen, dass ich mich mehr für Musik als für die Fotografie interessiere. Die Fotografie erlaubt es mir, den Musiker*innen auf einer anderen Ebene zu begegnen, ohne sie direkt anzuhimmeln. Ich bin dann kein Fan.

Gab es einen bestimmten Moment, an dem Du wusstest, dass Du mit Deiner Fotografie die Menschen erreichst? Ja, da gab es mehrere Momente. Wenn man als Fotograf Fotos von Menschen macht, wissen die meisten nicht, was sie von der Arbeit halten sollen. Das ändert sich, wenn sie das Endergebnis sehen. Was Menschen in erster Linie brauchen, ist Nahrung und die Luft zum Atmen, aber keine Fotos. Doch in dem Moment, in dem die Menschen ein gutes Foto betrachten, ruft es Emotionen in ihnen hervor. Sie überlegen sich, was es damit auf sich hat, die Geschichte dahinter und ob es ihnen gefällt. Da kann man übrigens nie ganz sicher sein. Das ist ein bisschen, wie ein*e Musiker*in, der*die einen neuen Song geschrieben hat und versichert, dass er gut ankommt. Das funktioniert so nicht. Man muss sich Zeit nehmen, um zu überlegen, ob es funktionieren könnte.

Das Foto, das ich als Cover für mein Buch ausgewählt habe, zeigt einen Freund von mir. Er steht in der ersten Reihe eines Konzerts und hält begeistert den Daumen hoch. Ich kannte ihn damals noch nicht. Er selbst hat das Foto im Internet gesehen, sich erkannt und mich kontaktiert. Wir wurden Freunde und auf seiner Beerdigung habe ich ihn ein letztes Mal fotografiert. Als Bezug zu dem Foto wurde ihm auf seiner Beerdigung ein Joint zwischen die Finger gesteckt, was den Daumen widerspiegeln soll. C’est une belle histoire!

Welche Künstler*innen haben Dich geprägt und inspiriert und tun es noch heute? Ich fotografiere The Cure seit 1980. Diese Band prägt mich seit Beginn meines Schaffens. Dann gibt es aber auch neu gegründete Bands, die mich faszinieren. Das finde ich sehr spannend. In meinem Alter hat man nicht mehr diese Konzentration und Emotionen wie früher, die bei neuer Musik entstehen. Die 17-jährigen Fans sind aktiv und vor allem bereit, Neues aufzusaugen. Das 60-jährige Publikum ist ruhiger. Mit zwanzig habe ich mich alle zwei Wochen für neue Bands begeistern können. In dem Alter gibt es generell sehr viel zu entdecken, man ist offen und sammelt neue Erfahrungen. Ich habe nicht mehr diese ständige Aufregung. Das ist aber ganz natürlich, finde ich. Wenn ich alle zwei oder drei Jahre eine neue Gruppe für mich entdecke, dann ist das schon sehr toll. Oft höre ich Musik von neuen Bands, die ich definitiv als die Kinder von Velvet Underground, The Cure oder den Talking Heads sehe. Ich höre ihre Musik und habe das Gefühl, ich kenne sie.

Was ist das Besondere an analoger Fotografie? Bei der analogen Fotografie nimmt der Fotofilm das Licht direkt bei der Aufnahme auf und erfasst das Licht, so wie es war. Bei einer Digitalkamera wird bei der Aufnahme das vorhandene Licht gemessen und diese Messwerte werden erfasst. Die analoge Fotografie ist somit unglaublich präzise. Was mich an der analogen Fotografie so fasziniert ist unter anderem der Aspekt, dass jede Analogkamera einen eigene Signatur besitzt, die man an den Rändern der Fotos erkennen kann. Man erkennt sogar die Marke der Kamera, mit der die Fotos aufgenommen worden sind.

Die Natur des Menschen ist faul. Daher ist die digitale Fotografie so beliebt. Du kannst vor deinem Computer sitzen und sogar im Liegen an den Bildern arbeiten. Im Fotolabor stehst du, bist aktiv und arbeitest körperlich.

Das Besondere an analoger Fotografie ist ebenfalls die Art und Weise, wie die Fotos gedruckt werden. Das Papier wird in die chemische Substanz gelegt und durch die Fasern des Papiers geht es auseinander wie ein Schwamm. Wenn das Foto vollständig entwickelt ist, schwingt das Papier während des Trocknens zurück und gleicht es wieder aus, wodurch das Schwarz noch dunkler und dichter wird. Die Farbdichte liegt also nicht auf der Oberfläche des Papiers, sondern in ihrem Inneren. It’s the best black you’ve ever seen in your life!

Was fasziniert Dich gerade so an der Rockmusik? Wenn du vor einer Bühne stehst, die aufgebauten Instrumente siehst und plötzlich, innerhalb von drei Sekunden, ein einzigartiger Sound gespielt wird. Es gibt acht Milliarden Menschen auf der Welt, aber nur vier Menschen, die die Pixies sind. Nur drei, die sich Nirvana nennen oder vier Menschen, die die Beatles verkörpern. Und trotzdem nutzen alle die gleichen Instrumente und haben dennoch ihre Einzigartigkeit. Ich stelle mir oft die Frage, wie es diesen Musiker*innen gelingt, mit Instrumenten, die nahezu die ganze Welt besitzt, ihre Einzigartigkeit zu erschaffen. Das finde ich immer wieder beeindruckend.

Die Musik der 80er Jahre bildet aus heutiger Sicht auch für junge Menschen eine Art musikalischen Sehnsuchtsort. Wie blickst Du auf die „wilden 80er“ zurück?  Ich glaube, dass Nostalgie eine natürliche Sache ist, die jeder Mensch in sich trägt. Die Nostalgie der 80er ist vielleicht einfach nur da, weil es lange her ist. Es könnte auch gut sein, dass die Menschen die Musik der 80er gerne hören, da sie sehr minimal ist. Heutzutage hören wir immer und überall Musik aus einem ganz kleinen Lautsprecher unserer Smartphones. Die Nutzung von Musik hat sich verändert und damit vielleicht auch der Musikgeschmack. Man kann kein Rage against the Machine über einen Lautsprecher hören, der so klein ist, dass es nur scheppern würde.

Welches Konzert ist Dir besonders in Erinnerung geblieben? Das war ganz zu Beginn. Ich nenne es „Le micro devant la bouche!“(Das Mikro vor dem Mund“). Ich hatte gerade angefangen zu fotografieren und wollte auf dem Konzert meine ersten Fotos schießen. Ein Freund von mir, der ebenfalls Fotograf ist, erklärte mir noch, dass ich geduldig sein muss. Ich hörte nicht auf ihn und machte viele Fotos. Kein einziges Foto war gut! Der Mund des Frontsängers war auf allen Fotos von dem Mikro verdeckt. Seitdem warte ich geduldig und schieße ein oder zwei Fotos. Mein Freund musste es mir nur einmal sagen und dann nie wieder.

Du hast die gesamte Musikgeschichte ab 1980 bis heute hautnah miterlebt. Wie hat sich Deiner Meinung nach der Umgang mit Musik, der dazugehörige Lifestyle und die Live-Konzerte während der Zeit verändert? Die Technik hat sich verändert und wir passen uns ihr an. Zum Beispiel gibt es eine Musikrichtung, die sich Drum and Bass nennt. Drum and Bass würde nicht existieren, wenn es die Maschinen dazu nicht gäbe. Eines Tages wurden Sampler und Autotune erfunden und die Menschen haben es benutzt, weil es da war. Beim Rock’n’Roll ist es mit den vielen Verstärkern ähnlich. Die Musik passt sich der Technik an und nicht die Technik an die Musik, das finde ich spannend. Oft respektieren die Menschen nichts und probieren jede neue Maschine aus, einfach um sie zu benutzen, das ist schon witzig.

Du hast mit Deinen Arbeiten die ganze Welt bereist. Gibt es Orte und Plätze, die Dich in Deiner Arbeit inspirieren?  Ja auf jeden Fall. Ich bin allein und habe kein Geld. Wenn ich mit meiner Arbeit Städte wie New York, Tokio, Chicago oder London bereisen kann, dann ist das toll! Das sind alles Städte, in denen du dich auf die Suche nach Musik begeben kannst, Städte mit einer Musikgeschichte. Ich liebe es, mich zu fragen, was davon noch da ist und an welchen Plätzen Musik stattgefunden hat.

Viele Deiner Arbeiten sind auch in Deinem Bildband  „Un oeil sur la musique 1980-2016“ zu sehen, der bereits 2018 erschien. Wie schwer oder leicht fiel es Dir, aus Deinen zahlreichen Fotografien aus 36 Jahren die Bilder für das Buch auszuwählen? Uff und wie schwer! Ich habe in kleinen Schritten ausgewählt, man beginnt dann mit dreitausend Fotos und irgendwann werden es step by step weniger. Aber die wirkliche Schwierigkeit war, dass ich ein Fotobuch machen wollte, das an Menschen adressiert ist, die sich für die Fotografie interessieren. Der Fokus liegt nicht auf den bekannten Persönlichkeiten, sondern auf dem Foto selbst. Ich möchte zeigen, was ich kann. Ich habe darauf geachtet, dass ich nicht zu viele Fotos mit hineinnehme, die mit Blitz gemacht worden sind. Wenn du ein Lichtproblem hast, dann benutzt du den Blitz und es ist okay. Das passiert schonmal, aber es ist auch einfach. Ein Foto mit Blitz ist wie jemand, der mit dir spricht und dir dabei in die Ohren schreit. Die Schwierigkeit war, darauf zu achten, dass es nicht langweilig werden sollte und ich für meine Arbeit anerkannt werde. Ich habe mir viele Fragen gestellt und irgendwann kam der Moment, wo ich gedacht habe „ça va, so kann’s gehen“.

Gibt es eine*n Musiker*in oder eine Band auf Deiner Wunschliste, die Du noch fotografieren möchtest?  Ich würde unglaublich gerne einmal Lady Gaga oder Rihanna fotografieren. Dazu müsste ich ja noch nicht einmal ihre Musik hören. Ich möchte nur drei Minuten und ein bisschen Licht. Drei Minuten mit Nick Cave, Rage against the Machine oder dem amerikanischen Sänger Beck. Das wäre super.

Bist Du das erste Mal in Düsseldorf? Ja, sogar in Deutschland.

Wie nimmst Du die Düsseldorfer Kunstszene wahr? Die kenne ich leider nicht.

Mit welcher Person – tot oder lebendig – würdest Du gerne mal ein Kaltgetränk genießen? Worüber würdet Ihr reden? Haha. Mit meinem 18-jährigen Ich. Mit ihm würde ich wirklich gerne zusammen sitzen. Ich hätte ihm ein paar Dinge zu sagen.

Was ist Dein aktueller Lieblingssong?  Ah, eine Sängerin, der ich in London begegnet bin. Ich höre aktuell den ganzen Tag nur „Sad Music“ von Jessica Winter.

Was bringt die Zukunft? Licht. Wenn ich Licht habe, dann bin ich zufrieden.

Vielen Dank!
Merci beaucoup!

Mehr über die Ausstellung findet Ihr hier…

„Richard Bellia. Rocking Photography“
Eröffnung: Donnerstag,  17. März 2022, um 18 Uhr 
18. März 2022 – 10. April 2022
WELTKUNSTZIMMER
Ronsdorfer Str. 77a, 40233 Düsseldorf
www.weltkunstzimmer.de

ÖFFNUNGSZEITEN
Donnerstag bis Sonntag von 14 – 18 Uhr.
Der Eintritt ist frei.

© THE DORF 2022
Interview: Franka Büddicker
Fotos: Sabrina Weniger

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