Besuch von… L Twills

Ab dem 15. September 2021 zeigt das Düsseldorfer Schauspielhaus Friedrich Dürrenmatts Drama „Die Physiker“ und beginnt die neue Spielzeit 2021/2022 so mit einem Klassiker des 20. Jahrhunderts, dessen Fragen zu Wahrheit, Wissenschaft und Verschwörungen wieder erschreckend aktuell geworden sind. Die Künstlerin Lila-Zoé Krauß sorgt bei „Die Physiker“ für passend düstere Sounds und Live-Musik auf der Bühne. Im Interview stellt sie sich und ihre Arbeit vor. 

Unter ihrem Künstlernamen L Twills verbindet die Musikerin experimentelle Pop-Musik mit Performance-Kunst. Abseits von Konventionen klingt ihre Musik nach Abgründen, Desillusionierung und der Kraft, die sich daraus schöpfen lässt. Es könnte also kaum passender sein, dass gerade sie die Abgründe in Dürrenmatts irrwitzigstem und düstersten Drama live auf der Bühne vertont. 

Das Stück handelt davon, dass die Erde ein kostbarer, schützenswerter Ort ist und erzählt von einer Psychiatrie, in der drei ehemalige Physiker als Patienten leben. Doch alle spielen ihren Wahn nur vor: der eine, Möbius, weil er im Besitz der Weltformel ist und voller Angst, die Mächtigen der Erde könnten sie missbrauchen. Die beiden anderen, weil sie in Wahrheit Geheimagenten sind, angesetzt auf Möbius von ebenjenen Mächtigen der Erde, um seine Entdeckung zu missbrauchen. 

Pünktlich zu Beginn der Spielzeit 2021/2022 treffen wir Lila-Zoé Krauß zu einem Gespräch über die Eigenart ihrer Musik, ihre Arbeit beim Düsseldorfer Schauspielhaus und die menschliche Psyche. 

Wie kamst Du zur Musik und wann hast Du damit angefangen? Ich habe schon immer Musik gemacht, mich aber als Kind nie als Musikerin verstanden. Ich ging auf eine Waldorfschule, lernte früh Geige, spielte im Orchester und sang im Chor. Musik war immer ein Teil meines Alltags und Aufwachsens. In meiner Jugendzeit wollte ich aber eher Künstlerin werden, habe Malerei gemacht und an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg und zwischendurch am CalArts in Los Angeles Kunst studiert. Zu Beginn des Studiums hörte ich dann aber auf zu malen und hatte eine kleine Krise. Ich war schon als Jugendliche immer mit Performance und Theater in Kontakt und suchte nach einem Weg, das alles zusammen zu bringen. 

Die Musik war plötzlich die Möglichkeit, das Performance-Element mit etwas Bildendem zu verbinden. Gleichzeitig hatte ich total Lust, mir Produktionsmethoden anzueignen, habe viel Zeit damit verbracht, das zu lernen und rauszufinden, was ich für Musik machen möchte. Kurz nachdem ich begonnen hatte eigene Songs zu produzieren, fing ich auch an, in Hamburgs Untergrundszene zu performen. Dadurch hat sich die Musik ganz organisch durch das Live-Spielen entwickelt. So ist das Musikmachen zum zentralen Element meiner Praxis geworden. 

Wie würdest Du Deine Musik jemandem beschreiben, der sie nicht kennt? Ich mache eine Art experimentellen Pop. Ich bringe verschiedene Elemente zusammen und finde es spannend, eben keine feste Kategorie zu finden. Auf eine Art interessieren mich Popmusik und Popkultur, aber beim Songwriting finde ich es auch interessant, eine Struktur zu entwickeln, in der Dinge nicht so voraussehbar sind und damit auch eine Emotionalität abzubilden, die etwas komplexer funktioniert und nicht so einfach aufgebaut ist mit Strophe – Refrain – Strophe. Ich möchte eine andere Komplexität und Unberechenbarkeit in meiner Musik abbilden. 

Deine Musik ist oft dekonstruiert und ab von konventionellem Song-Aufbau. Wie entscheidest Du, was sich für ein Musikalbum eignet? Das ist ein sich ständig verändernder Prozess. Auf dem ersten Album wollte ich klar abgeschlossene Songs kreieren. Ich glaube beim nächsten Album, das ich gerade anfange zu schreiben, wird es anders. Aber das ist letztlich eine Dramaturgie-Frage. Man muss herausfinden, was der Song braucht, damit er funktioniert. 

Du bist in Australien geboren, hast einen Tatar-Russischen Vater, eine deutsche Mutter, bist in Hamburg aufgewachsen und lebst jetzt in Berlin. Wie haben diese Begebenheiten und unterschiedlichen Einflüsse Dich geprägt? Das hat mich insofern sehr stark geprägt, dass ich mich nie „deutsch“ gefühlt habe und mit einem anderen Selbstverständnis aufgewachsen bin. Das hatte aber auch andere Gründe. Ich bin mit meiner Mutter allein aufgewachsen. Es gab wenig Geld, schwierige Umstände, und intensive Auseinandersetzungen in verschiedenster Hinsicht, die auch damit zu tun hatten, dass meine Mutter eine lange Zeit außerhalb Deutschlands verbracht hatte und bei der Rückkehr mit vielen Dingen anders konfrontiert war. 

Wenn du als 34-jährige Frau mit einem Baby zurückkehrst und bestimmte Bedingungen nicht erfüllst, dann kann es ziemlich schwierig sein, überhaupt wieder Eintritt in die Gesellschaft zu erhalten. In diesem Konglomerat aus Konflikten habe ich früh über das Aufwachsen in der deutschen Gesellschaft reflektiert. In dem Sinne fühle ich mich eher als eine Weltbürgerin. Ich war 2019 für ein halbes Jahr in L.A. und habe dort auch wieder total viele andere Perspektiven kennen gelernt.  

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Du bist als Künstlerin multimedial aufgestellt und hast unheimlich viel diversen Output. Hast du Phasen, in denen Du Dich nur auf eine Ausdrucksform konzentrierst? Wie arbeitest Du? Was beeinflusst Deinen kreativen Output? Ich habe verschiedene Arbeitsphasen, weil ich viel Input durch inhaltliche Recherchen oder philosophische Themen bekomme. Letztes Jahr mit dem Abschluss an der HFBK habe ich angefangen, mich verstärkt mit Musik und Erinnerung zu beschäftigen, inwiefern Erinnerungen in Musik oder auch im Körper gespeichert werden und Musik Erinnerungen im Körper auslösen kann. Damit habe ich mich monatelang auf einer theoretischen Ebene auseinander gesetzt und viel gelesen. Danach komme ich aus meinem Kopf wieder heraus und kann all diese kleinen Notizen in das Musikmachen einfließen lassen. 

Meine Arbeitsweise hängt davon ab, was gerade ansteht. Wenn ich eine Ausstellung vorbereite, kann es schon sein, dass der Fokus für drei oder vier Wochen nur darauf liegt. Im Zusammenhang mit dem neuen Album denke ich gerade viel komplexer als beim letzten Album. Schon beim Songwriting bringe ich das Musikalische mit möglichen Video-Performance-Arbeiten und Kurzfilm-artigen Sequenzen zusammen, sodass das Album am Ende wie eine fragmentarische, komplexe Welt veröffentlicht werden kann.

“Get rid of meaning, your mind is a nightmare that has been eating you, now eat your mind!” ist ein Text im Song “M.A.S.T.E.R.S.” auf Deinem Debütalbum “Freedom/Fiction”. Was möchtest Du damit vermitteln? Das ist ein Zitat von Kathy Acker, einer feministischen Autorin, die in den 1970er und 1980er Jahren in New York lebte und viel mit William S. Borroughs und der damaligen Szene zu tun hatte. Sie ist eine kontroverse Figur, aber sie hat eine Art des Schreibens entwickelt, die auf eine sehr spannende Art einerseits mit dem erzählerischen Ich umgeht und andererseits komische, Cyborg-ähnliche Figuren entwickelt. Die Szenerie in ihren Texten ist oft sehr post-apokalyptisch und es werden viele Abgründe des amerikanischen Systems verhandelt. Mit ihrem Schreibstil hat sie es geschafft, sich aus den Konventionen frei zu schreiben – das war extrem inspirierend für mich.

Acker setzt sich damit auseinander wie Sprache und Bedeutung miteinander funktionieren und führt ihre Überlegung ad absurdum. Dadurch stellt sie eine Ebene her, in der eine andere Art des erzählenden Ichs entsteht – dieses Ich wird durch äußere Strukturen hergestellt. Sie behandelt auch kapitalistische Strukturen und wie diese Subjekte kreieren. „Get rid of meaning“ kann man in vielerlei Hinsicht verstehen. 

Wie verstehst Du das Zitat? Ich glaube, dass „meaning“ in dem System, in dem wir leben, immer einen bestimmten Zweck erfüllen soll. Dieser Zweck wird oft von bürgerlichen Werten wie Status und Arbeit bestimmt und alles, was du in dieser Welt wollen könntest, soll immer an so etwas angedockt sein. Es ist schwierig, ein „meaning“ oder einen Sinn zu finden, der nicht immer wieder von der Welt einsortiert, stigmatisiert oder benutzt wird. 

Du thematisierst viel, dass man sich von seinem Geist/Verstand (“mind”) frei machen soll. Was passiert dann? Ich glaube nicht an davor, danach oder einen „Ist“-Zustand in dem Sinn, sondern eher an Prozesse, die ständig voranschreiten. Letztlich leben wir alle die ganze Zeit mit Realitätsfiltern, durch die wir verstehen, was passiert. Diese Filter sind auch wichtig. Die Frage ist aber: Wo liegt die Grenze des Filters? Bin ich in der Lage, zu verstehen wo mein Filter aufhört oder nicht? Glaube ich die Illusion um mich herum? Wodurch schaffe ich es, diesen Filter überhaupt zu reflektieren, aus der Perspektive herauszutreten und wieder einen anderen Filter zu finden? Ich finde es wichtig, dass diese Filter nicht festgesetzt, sondern beweglich sind. Darin sehe ich Freiheit.

Wenn man sich von seinem Verstand frei macht und die Kontrolle darüber verliert, hat man psychisches Chaos, das man Manie oder Psychose nennen kann. Ich glaube, dass es interessant sein kann, sich in dem Moment, wo sich die Filter auflösen, mit diesem Chaos konfrontiert zu sehen. Das kann beängstigend sein, aber auch Möglichkeit eröffnen genau dieses Chaos für sich selbst neu zu sortieren.

Wie kommt es zu Deiner Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus? Im Januar habe ich mit einer guten Freundin und Musikerin Helena Ratka (Pose Dia) im Staatstheater Augsburg mit Kühnel und Kuttner eine Produktion gemacht und dort den Bühnenbildner Maximilian Lindner kennen gelernt. Der hat mich nun wiederum für „Die Physiker“ empfohlen, wofür er auch wieder die Bühne konzipiert hat.

 Wie würdest Du Deine Arbeit beim Schauspielhaus beschreiben? Die Stimmung, die im Album zu hören ist, zieht sich auch durch meine Musik im Stück. Ich entwickle die Musik komplett neu zum Stück „Die Physiker“ und arbeite mit analogem Synthesizer. Der Text von Dürrenmatt ist sehr speziell: Es geht um Verschwörungstheorien und die Frage nach der Rolle der Wissenschaft, gleichzeitig spürt man aber auch, dass der Text in den 1960er Jahren geschrieben wurde. Es hat etwas Altes, Verstaubtes, aber auch etwas sehr Schräges.

Die Physiker/Agenten lassen sich in die Psychiatrie einweisen und geben sich als verrückt aus. Die Frage „Was ist eigentlich verrückt und was nicht?“ ist das Hauptthema des Stückes und auch das, was wir als Stimmung hervorheben. Es wird Songs geben, aber die ganze Zeit über auch intensiven Sound. Die Songs haben etwas sehr Räumliches und Düsteres, etwas Lynchiges, Entrücktes. 

Rainer Philippi, einer der Schauspieler, hat bei den Proben beschrieben, es wirke so, als wären die Sounds die ganze Zeit da und wie eine komische Maschine, die mit dem Publikum schon viel weiter in der Zukunft ist – Nur die auf der Bühne merken das nicht und spielen ihr verrücktes Spiel. 

Der oben genannte Songtext und auch “calling our history our mystery, no one knows when it ends”, beide von Deinem Debütalbum “Freedom/Fiction”, sind zufälligerweise ganz passend zu Die Physiker, oder? Ja, das stimmt! Im Stück geht es auch um die Frage nach Verantwortung. Einer der Physiker hat vermeintlich die Weltformel gefunden. Das ist aber unglaublich gefährlich für die Menschheit, weshalb er das Wissen nicht teilen möchte und es in keine Hände geraten soll. Letztlich gerät es aber dann doch in viele Hände. Wer trägt die Verantwortung für dieses Wissen, das schon immer von vielen Leuten generiert wurde und nie nur von einer Person? Das Stück appelliert damit auch an all die schrecklichen Dinge, die getan wurden, wie beispielsweise Kolonialismus. Wer trägt die Verantwortung für das, worauf die westliche Welt gebaut ist?

Gibt es etwas in Düsseldorf, das du bereits in dein Herz schließen konntest? Den Rhein! (lacht) Jedes Mal, wenn ich am Rhein war, war ein riesiger Großeinsatz am Rhein, weil irgendwer vermeintlich gesucht werden musste – das war etwas skurril. Abgesehen davon habe ich den Salon kennen gelernt und viel gearbeitet. Gegenüber vom D’Haus Central habe ich immer sehr leckere Linsensuppe gegessen! 

Was bringt die Zukunft? Meine Erinnerungs-Musik-Recherche ist eine Art Langzeitprojekt von mir, das ich „Rhythm Imprints“ nenne. Das ist eine andauernde Recherche, in deren Kontext ich verschiedene Projekte wie Installationen und Performances realisiere. Aus dieser Recherche entsteht gerade mein zweites Album.

Es gibt zum Beispiel einen Song, der „Echoscream“ heißt. Die Recherche dahinter befasst sich mit Stimme und Geschlecht und inwiefern Geschlechterideologien historisch sehr stark auf die Stimme projiziert wurden und dadurch Ausschluss passieren konnte – von weiblichen Körpern zum Beispiel. Es wird auch einen Song geben, in dem es darum geht wie Körper und Architektur miteinander verschränkt sind und der Körper der Umwelt und strukturellen Anforderungen ausgesetzt ist. Das Album kommt nächstes Jahr!

Danke Dir!

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„Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt in der Regie von Robert Gerloff wird ab dem 15. September 2021 im Kleinen Haus des Schauspielhauses aufgeführt. Alle Termine und Tickets gibt es unter www.dhaus.de

Text + Interview: Maren Schüller
Porträt: Suzanne Caroline
© THE DORF 2021

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