Clemens Bruno Gatzmaga: Jacob träumt nicht mehr

Name: Clemens Bruno Gatzmaga
Beruf: Autor & Kurator
www.clemensbruno.com

Geburtsort: Düsseldorf
Exil-Düsseldorfer seit: 2010
Wohnort: Wien

Der Wahl-Wiener Clemens Bruno Gatzmaga hat vor kurzem sein erstes eigenes Buch „Jacob träumt nicht mehr“ im Düsseldorfer Karl Rauch Verlag veröffentlicht. Darin stellt er die Arbeitswelt und den eigenen Wert ohne Job in Frage. In Kurzform heißt das:  Jacob, „High Potential“ und Agenturführungskraft, verläuft sich am Tag einer wichtigen Präsentation in einem Wald und wacht im Krankenhaus auf. Was ist Realität, was Fantasie? Er beschließt, sich auf die Suche nach seinen verlorenen Träumen zu begeben. Im Interview sprechen wir mit Clemens über seine Inspiration für die Geschichte, wie er persönlich zu Arbeit steht und warum ALLE dieses Buch unbedingt lesen sollten. 

Du bist Digitalexperte, Texter, Journalist und Mitgründer des Ausstellungsbüros „MACHEN“. Wie kam es dazu, dass du jetzt deinen ersten Roman: „Jacob träumt nicht mehr“ veröffentlichst? War es schon immer dein Traum ein eigenes Buch zu schreiben? Schreiben wurde mir zur Notwendigkeit. Aber einen Roman, daran traute ich mich lange gar nicht zu denken. Was ich schrieb, fand ich erstmal scheiße. Die Selbstzweifel sind mir bis heute geblieben, kein schlechter Antrieb. Irgendwann wurden dann kürzere Texte von mir veröffentlicht und ich begann mit dem Jacob. Mit Karl Rauch ist es lustigerweise ein Düsseldorfer Verlag geworden, der abartig schöne Bücher macht.

Du erzählst in deinem Roman von Jacob, einem jungen und erfolgreichen Mann, der von seiner Arbeit in der Agentur förmlich überrannt wird und nach einem Vorfall innehält, um nach seinen verlorenen Träumen zu suchen. Was hat dich zu diesem Thema inspiriert? Delfine träumen nur mit einer Gehirnhälfte und bleiben mit der anderen wach, um bei Gefahren reagieren zu können. Ich habe mich gefragt: Was wäre, wenn man das auf einen Menschen umlegt? Was könnte uns vom Träumen abhalten? Oder grundsätzlich: Was passiert mit uns, wenn wir nicht mehr träumen? So entstand die Figur, ein Millennial, der in seiner Arbeit verschwindet.

Wie hat sich dein Arbeitsprozess gestaltet? Ist es dir leicht gefallen, diese Geschichte zu erzählen? Was ich erzählen will und wie die Geschichte endet, wusste ich früh. Bis zum fertigen Text hat es dennoch Jahre gebraucht. In der gleichen Zeit haben Julian Oppmann, mein Mitgründer und ich MACHEN, unser Ausstellungsbüro, gegründet – die ersten Aufträge, das erste Büro, die ersten Mitarbeiter. Wir haben dann ganz bewusst die Vier-Tage-Woche eingeführt; ein freier Tag für kreative Potenziale. Abends und an den langen Wochenenden saß ich meistens am Manuskript.

Du wechselst in deinem Roman immer wieder zwischen Traumwelt und Realität. Irgendwann verschwimmt alles so sehr, dass man als Leser*in nicht mehr genau unterscheiden kann. Hast du beim Schreiben auch schon mal den Überblick verloren? Ich hatte während des Schreibprozesses tatsächlich Träume, in denen ich bewusst geworden bin und mein Handeln bestimmen konnte. Aha, dachte ich, so ist das also. Aber grundsätzlich ist es mir lieber, wenn die Welten getrennt sind, wenn sie sich aus einer gesunden Distanz betrachten und kommentieren können. Ich glaube, wer nicht mehr träumt, verliert den Bezug zur Realität.

Wenn man an Agenturen denkt, denkt man oft an ein junges und modernes Team mit innovativen Ideen, flachen Hierarchien und einer ausgeglichenen und freundschaftlichen Atmosphäre. Durch dein Buch lernt man eine andere Seite der Agentur Welt kennen. Wieso ist es wichtig, auch diese Seiten des Arbeitens in Agenturen zu beleuchten? Jacob, der Protagonist des Romans, liebt die Agentur und diese NewWork-Denke, die dort propagiert wird. Er hat einen Lauf, glaubt unverwundbar zu sein. Doch plötzlich sitzt er da und kann nichts anderes tun, als die Wand anzustarren. Ist daran die Agentur Schuld? Das muss jeder für sich beantworten. Mir schreiben jedenfalls sehr, sehr viele Menschen, die Ähnliches erleben oder erlebt haben – allerdings nicht allein aus Agenturen, sondern auch aus anderen Arbeitswelten. Da liegt was im Argen.

Was ist deine Philosophie, was sind deine Grundwerte bezüglich Arbeit? Vergleiche dich nicht mit anderen. Folge keinem Trend. Mach nur, wohinter du stehst. Sei beides, innovativ und pragmatisch. Pflege deine Fantasie. Glorifiziere nie, dass du viel zu tun hast. Glaube nicht, deine Arbeit sei wichtiger als die anderer. Ersetze Stolz durch Bescheidenheit. Sowas.

Wen willst du mit deinem Roman ansprechen? Wer sollte das Buch unbedingt lesen? Alle. Manche Leser*innen finden sich vielleicht eher in der Beschreibung der Arbeitswelt wieder, andere in der Traumwelt.

Du bist gebürtiger Düsseldorfer und wohnst seit 2010 in Wien. Was hat dich dorthin verschlagen? Bauchgefühl. Ich habe vorher eine Zeit lang in Berlin gelebt, alle meinten, da müsste man hin – ich hab es gehasst. War halt einfach nichts für mich. Dann stand die Entscheidung an, wohin nun. Es gab Freunde in Wien, die habe ich besucht, kannte also zwei, drei Straßenzüge. Die fand ich schön. Dachte, du kannst es ja mal versuchen. Und schwupps, sind zehn Jahre vergangen.

Vermisst du Düsseldorf, und wenn ja, was genau? Ich bin in der Altstadt aufgewachsen, im Eiskellerberg. Über die Ratinger Straße, K20, Kurze Straße, Rathaus, Berger Straße, usw. – mein Schulweg. Ich würde jetzt gerne beim Uerige stehen, alle geimpft, Bierchen, noch eins, Röggelchen, Freunde, Familie. Manchmal kann man erst aus der Distanz die Vertrautheit mit der alten Heimat wertschätzen.

Was ist dein Lieblingsort in Düsseldorf? Anfang Bäckerstraße mit Blick über die Citadellstraße in Richtung Rhein. Weiß nicht warum, aber diese Ecke da hatte für mich immer schon etwas Magisches; Topographie eines Traums, wenn man so will.

Was gefällt dir an Wien besonders? Wien ist Millionenstadt und gleichzeitig winzig, unfreundlich aber gesellig, international aber dörflich. Wenn man nicht in einer richtigen Großstadt leben will, aber noch zu jung fürs Land ist, gibt es kaum einen besseren Ort. Für Künstler*innen ohnehin nicht, überall Kaffeehäuser, Abgründe, Melancholie.

Gibt es etwas in Düsseldorf, was du in Wien vermisst? Siehst du Gemeinsamkeiten? Versuch mal in Wien ein Altbier zu bekommen. Oder noch schwieriger: Menschen zu finden, die eines mit dir trinken würden, ohne dass du sie dazu zwingen musst. Aber trinken grundsätzlich, das können die Wiener wie die Düsseldorfer.

Was sind deine „must-dos“ für ein Wochenende in Wien? Am besten im Hotel am Brillantengrund absteigen und abends im BRUDER alle Gänge durchprobieren und sich einen Rausch ansaufen. Frühstück im TIAN Bistro, dann ins Kunsthistorische Museum, oder nach Schönbrunn, später Kuchen bei Viola und Schnitzel im Steman.

 

Vielen Dank!

Jacob träumt nicht mehr
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Text & Interview: Amani El Sadek
Fotos: Profilfoto: Clemens Schmiedbauer | Clemens Bruno Gatzmaga | Foto MACHEN: Michel Greulich 
© THE DORF 2021

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