HALF PAST SELBER SCHULD

half past selber schuld sind Ilanit Magarshak-Riegg und Sir ladybug beetle. Das deutsch-isralische Künstlerduo ist seit vielen Jahren im FFT zuhause und arbeitet aktuell an einer crossmedialen Trilogie, die sich mit transhumanistischen Gedankengängen, Sterblichkeit, Robotern und experimentellen Zukunftsvisionen beschäftigt. Aus der Pandemiezeit heraus entstand eine Sammlung von bis dato ungenutzten Materialien, die half past selber schuld kurzerhand in dem Buch “See the world like a human being”, dem Musikalbum “30,000 days”  und einem Bühnen-Comic “What robots need to learn” festgehalten haben. Zwar findet die Premiere des Theaterstücks erst am 17. März 2023 statt, doch Buch und Album eignen sich grandios für außergewöhnliche Weihnachtsgeschenke, die vorab einen Einblick in eine Inszenierung gewähren, die verschiedene Ausdrucksweisen und Medien nutzt, um sich mit einem humoristischen Ansatz an gesellschaftlich-essentielle Sinnesfragen heranzuwagen. Im Interview mit THE DORF spricht das Duo über ihr künstlerisches Schaffen, die Zukunft und ihren ganz individuellen Blick auf die Welt. 

Euer Stück “What robots need to learn” ist der dritte Teil Eurer “Wonderland Incorporated Trilogie” und wird als Bühnen-Comic beschrieben. Was können wir uns darunter vorstellen? Zu Beginn unseres Schaffens wussten wir nichts über Theater und gingen völlig unbedarft an die Sache. Das führte zu unserem recht eigenen Stil, den wir dann „Bühnencomic“ nannten, weil uns alle bereits vorhandenen Schubladen nicht wirklich passend erschienen. Diesen Stil haben wir im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt. Er beinhaltet die Verschmelzung verschiedener Mittel und Medien, wie Schau-, Puppen-, Requisiten- und Schattenspiel, Tanz, Musik, Film und Projektion. Außerdem sind wir bestrebt, jede Bewegung musikalisch zu begleiten und damit wichtige Aktionen zu unterstreichen, was an die überzogene Visualisierung im Comic erinnert. Weitere Anleihen vom Comic sind symbolische Darstellungen und visuelle Effekte, wie Herzchen bei Liebe, Sternchen durch Hiebe und keine Zigarette ohne Wölkchen, außerdem eine humoristische Ebene (selbst bei schwerer Thematik) und generell die Übertreibung.

Im Rahmen dieser Trilogie habt Ihr das Buch “See the world like a human being” herausgebracht und ein Album “30,000 days” aufgenommen. Wie kam es dazu und womit befasst sich dieses Rundum-Paket? Kurz nach der Premiere von The Last Mortal im Februar 2020 verbreitete sich Corona auf der Welt und verhinderte erstmal alle weiteren Aufführungen. Die Überlegungen, was wir in dieser kontaktlosen Zeit tun könnten, ohne unser aktuelles Arbeitsuniversum Wonderland Inc. zu verlassen, führten zu unserer Webserie Spaceships with Opinions, aber auch zum Musikalbum 30,000 Days. Für ein Booklet zu diesem Album sammelten wir Material, und stellten dann fest, dass es ganz schön viel gutes Material gibt. Wir entschlossen uns, daraus das Buch See the World Like a Human Being zu machen. Die Gemeinsamkeit all dieser Projekte ist, dass sie im selben Universum wie die Bühnenstücke der Trilogie stattfinden, wobei jedes einzelne Projekt auch für sich alleine stehen kann. Das Album befasst sich tendenziell mit Sterblichkeit und dem Kampf dagegen, das Buch greift multiple abgefahrenere Zukunftsszenarien auf.

Gab es einen bestimmten Moment, an dem Euch klar war, dass Ihr Euch in Eurer Kunst mit den Themen Transhumanismus, Zukunft und (Zukunfts-)Technologien befassen wollt? Ohne dies ausdrücklich geplant zu haben, haben wir uns schon immer (mehr oder weniger) mit der Zukunft des Menschen beschäftigt. Unser erstes Bühnencomic, die sündenvergebmaschine von 2002, zeigte eine Kultur, die entstand, wuchs, sich kultivierte, dann technisierte, um sich schließlich selbst zu zerstören. Einen kostenlosen Download des gleichnamigen Hörspiels des erstes Bühnencomics die sündenvergebmaschine erhält man hier.

Auch unser zweites Stück, Die Tagebücher von Kommissar Zufall, ist voll mit verrückter Technik, grandiosen Erfindungen (z. B. Pelztierkocher) und technisch verbesserten Menschen. Zu dem Zeitpunkt haben wir lediglich das Wort Transhumanismus noch nicht benutzt. Kommissar Zufall ist übrigens moderner als einem lieb ist. Bei aller schräger Verrücktheit bildet es ein ziemlich gutes Bild unserer heutigen Gesellschaft ab und bietet Parallelen, wenn man nur bereit ist, Metaphern zu verstehen. (Wer „Die Tagebücher von Kommissar Zufall“ noch nicht kennt, man kann das WDR Hörcomic hier kaufen.)

Wie würdet Ihr den Sound des Albums beschreiben? Würden wir nie, das sollen andere tun! Wir haben uns lang genug damit beschäftigt. Jetzt sind die anderen mal dran, uns zu sagen, was sie davon halten und wie man den Sound beschreiben könnte. Raus damit! Wir sind gespannt. Was wir sagen können, ist, dass es Einflüsse von afrikanischer Musik, über Reggae und Pop bis hin zu Jazz gibt. Auch der theatrale Ursprung lässt sich beim einen oder anderen Stück nicht verleugnen. Mit den kleinen Gimmicks dazwischen, wie den Fake-Werbungen oder den satirischen Minisongs ist es insgesamt ein eher unkonventionelles Album geworden, dessen Genre schwer einzuordnen ist. 

Was fasziniert Euch so an dem Thema? Wir wissen, dass die Realisierung einer Erfindung nur noch einen Steinwurf entfernt ist, wenn es erst mal die Idee dafür gibt. Züge, Flugzeuge, Telefone, Taschencomputer, Teletransporter und Traumrekorder waren alles Ideen, bis sie dann zu Realität wurden, zum Teil zumindest. Deshalb ist alles, was Mensch und Technik verbessern kann, wahnsinnig spannend und im Verdacht, in ein paar Jahren schon Realität zu sein. Technischer Fortschritt hat die Möglichkeit, große Menschheitsprobleme (mit) zu lösen. Außerdem kann dabei einiges schief gehen. Dieses Konfliktpotential ist pures Gold für uns Autoren.

Wovon habt Ihr Euch inspirieren lassen und was waren Eure Quellen? Die ganze Welt ist Inspirationsquelle. Für die Wonderland Inc. Trilogie waren unsere USA Reisen sehr anregend, vor allem Kalifornien, „land of Utopia and Dystopia“. Von dort haben wir etliche skurrile Geschichten, ausgeflippte Leute und verstörende Gedanken mitgebracht. 

Ein paar Anekdoten von dort: Wir sprachen einen ehemaligen Alcor-Mitarbeiter, der jetzt Supermikroskope und die zugehörige Supersoftware entwickelt. Er hat auf seiner Brust eine Anweisung tätowiert, wie mit seinem Körper bei seinem Tod umgegangen werden soll, damit sein Gehirn noch rechtzeitig bei Alcor eingefroren werden kann. Weitere Transhumanist*innen statteten ihren Körper mit Erweiterungen aus, um neue körperliche Erfahrungen zu machen. Sie ließen sich Magnete in die Finger implantieren, um Stromflüsse zu spüren. Allerdings verursacht dieser Body-Hack auch unvorhergesehene Probleme. Ein MacBook wird nämlich durch einen Magneten heruntergefahren.

Dies sind nur zwei von etlichen Impressionen, die wir von Wissenschaftler*innen, AR-Entwickler*innen und „ganz normalen“ Transhumanist*innen zu hören bekamen und die uns eine neue Sicht auf alte Sachverhalte ermöglichten. In unserer Trilogie konnten wir dies atmosphärisch mit einfließen lassen. Auch sehr wichtig für uns waren die Resultate von Zukunftsforschern wie Ray Kurzweil, Juan Enriquez oder Nick Bostrom. Von Nick Bostrom durften wir übrigens ein von ihm gesprochenes Zitat benutzen, das nun einer der Leitsätze im Lied Humanville Station ist. “The train doesn’t stop at Humanville Station. It’s likely, rather, to swoosh right by.”

Was waren die größten Herausforderungen bei diesem multimedialen Projekt? Wie bei jedem Projekt war und ist auch hier der schwierigste Part, wenn es darum geht, auszuwählen, was verwendet werden soll und dann alle anderen Darlings zu töten. Egal ob Bilder fürs Buch, Szenen fürs Theater oder Songvarianten fürs Album: Die Entscheidungen sind nie leicht und immer mit schmerzlichen Beschlüssen verbunden.

Corona war natürlich eine sehr große Herausforderung, wir haben zum ersten Mal Musik mit Leuten gemacht, die wir während des Arbeitsprozesses nicht persönlich kennenlernen konnten und mit denen wir während des Projekts lediglich virtuell interagiert haben. Auch unser internationales Theaterteam in Zeiten von Corona zusammen zu bringen, war eine beachtliche Herausforderung, die wir aber aufgrund der mauen Auftragslage eher selten meistern mussten.

Mit welcher Person – tot oder lebendig – würdet Ihr gerne einmal über die Zukunft diskutieren?  Hmmm, schwierige Frage. Wir möchten ja nicht unbedingt wichtige Leute davon abhalten, ihre wichtigen Dinge zu tun. Dadurch fallen einige hochinteressante Menschen weg. Stephen Hawking wollten wir – tot oder lebendig – nicht durch unser Fan-Sein belästigen. Auch Jennifer Doudna (lebendig, CRISPR Erfinderin) und Jacque Fresco (tot, Sozialarchitekt, „Venus Project“) wären noch zwei hochinteressante, inspirierende, zukunftsgerichtete Persönlichkeiten, die wir deswegen auch nicht sprechen sollten. 

Für ein gutes Gespräch (für beide Seiten) wäre Humor sehr wichtig, ein interessanter und eigener Blick auf die Zukunft und eine irgendwie gemeinsame Ebene. Tim Urban macht einen Blog namens „Wait but why“, wo komplexe und philosophisch relevante Themen in witziger Art und Weise erklärt und erörtert werden. Er ist eine sehr inspirierende Person, der durch ein Gespräch mit uns (hoffentlich) auch seinen Mehrwert bekommen könnte, da wir nicht unbedingt immer einer Meinung sind.

Mit Douglas Adams zu sprechen, wäre eine Riesenehre, und wir könnten Geschichten und Gedanken austauschen, da wir einen ähnlichen Humor pflegen. Ansonsten wären wir stets offen, Leonardo Da Vinci zu treffen. Wir haben das Gefühl, dass er ein paar unserer beim Theater eingesetzten Mechanismen mögen könnte. Und einmal Da Vinci zu beeindrucken, das wäre su-per-cool. Es wäre auch interessant, ihm die Zukunft zu zeigen und alles, was er quasi miterfunden hat und dann zu schauen, was er davon hält. Vielleicht kann er uns auch bei den Requisiten helfen. Da wir kein Italienisch sprechen, würden wir eine App zum Übersetzen benutzen und ihn damit gewaltig beeindrucken. Ein Problem dieser Gespräche wäre allerdings, dass Ilanit nicht gerne mit Toten redet.

Euer Lieblingsort in Düsseldorf? 

Ilanit: Studio, Werkstatt oder da, wo die Sonne gerade ist.

Slb: Der dunkle Overheadprojektorraum in unserer Werkstatt ist aktuell meine Nr. 1. Außerdem liebe ich das Paul-Janes-Stadion, wo die zweite Mannschaft von Fortuna spielt, auch wenn ich dort seit Corona nicht mehr war. Ansonsten mag ich das Tomo Café auf der Klosterstraße und Kaffee Handwerk auf der Birkenstraße, wo es auf dem Weg zu unserem Atelier den besten Kaffee Düsseldorfs gibt. Und: Die neue Stadtbücherei ist toll!

Vielen Dank!

“Wonderland Incorporated Trilogie”

What Robots Need to Learn
Freitag, 17. März 2023, 20 Uhr 
Samstag, 18. März 2023, 20 Uhr 
Sonntag, 19. März, 18 Uhr 

FFT Düsseldorf
Konrad-Adenauer-Platz 1
40210 Düsseldorf

Weitere Infos und Tickets findet Ihr hier… 

Das Buch „See the World like a human being“  ist im Handel oder  hier erhältlich.

Das Album „30,000 Days“ könnt Ihr bei Bandcamp anhören und kaufen.

Interview: Franka Büddicker 
Fotos: half past selber schuld
© THE DORF 2022

Mehr von FRANKA

Metropolitan-Trilogie & Kolorit-Soundkollektiv im Live-Stream

Die Tonhalle Düsseldorf zeigt im Rahmen des “Schönes Wochenende” Festivals 2021 am...
Weiterlesen