FLORIAN HEINZEN-ZIOB „DANCING PINA“

Der aus Düsseldorf stammende Regisseur Florian Heinzen-Ziob findet Inspiration vor allem dann, wenn man nicht nach ihr sucht. Damit stößt er auf Geschichten, die er filmisch vor allem aus der Beobachterperspektive erzählen will. In seinem neuen Film “Dancing Pina” lässt er Tänzer*innen an der Semperoper in Dresden und an der Ècole des Sable im Senegal zu Wort kommen, die sich aus verschiedenen Richtungen dem Werk von Pina Bausch nähern und aus anfänglich einzelnen Bewegungen berührende Geschichten formen. Trotz der unterschiedlichen Hintergründe der Tänzer*innen sind sie darin vereint, dass sie sich vor der besonderen Herausforderung befinden, Pina zu verstehen und für sich authentisch zu interpretieren. Ein Weg, der Mut, Reflexion, Scheitern, Erfolg und viel Übung beinhaltet und der nicht nur für tanzinteressierte Zuschauer*innen spannend ist. Florian Heinzen-Ziob hat uns vom Drehprozess erzählt, warum einfache Reproduktion nicht ausreichend ist, um etwas lebendig zu halten und welche Besonderheiten er an der vergangenen und gegenwärtigen Düsseldorfer Kinolandschaft schätzt. 

Könntest Du Dich zu Beginn einmal kurz vorstellen und erzählen, wie Du zum Film gekommen bist? Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen und habe hier unter anderem nach dem Abitur am Schauspielhaus hospitiert und Regieassistenz gemacht. Auch in der Schule habe ich schon ganz früh mit Film experimentiert und bei Hausarbeiten immer versucht, die Aufgabe filmisch umzusetzen. Es gab also auf jeden Fall schon immer die Vorstellung, das zu machen. Danach habe ich an der KHM – der Kunsthochschule für Medien – in Köln sechs Jahre Film studiert. Das Schöne dort war, dass ich die Schwerpunkte Medienkunst und Filmregie machen konnte. Da habe ich meine ersten Filme gemacht, die sowohl fiktional als auch dokumentarisch waren. Vor etwa zehn Jahren bin ich dort fertig geworden und bin freier Filmemacher. “Dancing Pina” ist jetzt mein dritter Kino-Dokumentarfilm.

Im Jahr 2020 ist bereits der Tanzfilm “Dancing at Dusk” erschienen, in dem Tänzer*innen an der Ècole des Sables “Das Frühlingsopfer” von Pina Bausch performen. Handelt es sich dabei um ein Nebenprojekt von “Dancing Pina”? Das ist Teil des Films. Durch Corona wurde das Projekt im Senegal an der Ècole des Sable abgesagt und ist erst einmal gar nicht zur Aufführung gekommen. Es war für eineinhalb Jahre nicht klar, ob es jemals aufgeführt wird. In der ganzen Zeit gab es nur diese Aufnahmen, womit vor allem für die Tänzer*innen nicht verloren gehen sollte, was sie dort geleistet haben. Das Stück wird in ganzer Länge gezeigt und ist dann in “Dancing Pina“ zu sehen.

Du hast bereits einige Dokumentarfilme, unter anderem über ein altes Kino in Mumbai (Original Copy, 2015) oder über eine Schulklasse mit Kindern, die nicht in Deutschland geboren sind (Klasse Deutsch, 2018), gedreht. Wie wählst Du Deine Projekte aus und wie bist Du zum Werk von Pina Bausch gelangt? Es ist ein riesiges Privileg, dass man als Dokumentarfilmer immer wieder in verschiedene Welten gucken darf. Oft haben sich die Dinge einfach aus meinem Alltag ergeben, sodass ich nicht zuerst etwas überlegt habe und damit auf die Suche gegangen bin. Bei “Original Copy” war es so, dass mein Vater ein halbes Jahr in Mumbai gelebt hat, weil er dort ein Autorenstipendium hatte. Er hat dieses Kino gefunden und dachte, dass man darüber etwas Dokumentarisches machen müsste. Wir sind dort hingefahren und haben überlegt, was sich erzählen lässt über dieses eigentlich sterbende Kino mit dem letzten Filmplakate-Maler Bombays und die wahrscheinlich einzige Kinobesitzerin, die dieses Kino als Frau nie bekommen sollte.

Bei “Klasse Deutsch” war es so, dass ich Filmkurse zum Thema Schuldenprävention an einer Realschule in Köln-Chorweiler gegeben habe und wir mit den Schülern Kurzfilme gedreht haben. Der Raum, in dem wir waren, gehörte einer Vorbereitungsklasse, in der Kinder, die vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, auf den deutschen Schulunterricht vorbereitet werden. Das war zu der Zeit, als die “Flüchtlingskrise” in den Medien sehr präsent war und mir ist aufgefallen, dass man sich dort in einem Zentrum dieser Ereignisse befindet. Ich dachte, es wäre spannend den Prozess des Spracherwerbs, des Ankommens und auch diesen “Clash” mit dem deutschen Schulsystem zu begleiten. Das ist auch das, was sich in meiner Arbeit durchzieht. Ich arbeite im Dokumentarischen sehr gerne beobachtend, um gerade die Arbeit, Prozesse und die generative Weitergabe einzufangen. Das war in Bombay die Kunst der Malerei oder auch der Betrieb des Kinos, was sich mit der Zeit auflöst.

Diese Dinge finden sich auch bei “Dancing Pina” wieder. Vorher hatte ich keine großen Berührungspunkte mit Pina Bausch, obwohl ich in Düsseldorf aufgewachsen bin und Wuppertal so nahe liegt. Ich hatte aber keinen Zugang dazu. Vielleicht auch, weil niemand in meinem Umfeld getanzt hat. Dann habe ich auch die Kontroversen am Tanztheater in den 70er Jahren nicht mitbekommen. Dafür bin ich ein bisschen zu spät geboren. Ich habe von der Kunststiftung NRW, die hier in Düsseldorf sitzt, den Auftrag bekommen, einen kurzen Beitrag über das Pina Bausch Archiv zu machen, das von ihrem Sohn Salomon Bausch gegründet wurde. Ich habe den Auftrag als guten Anlass gesehen, mich dem Werk anzunähern. Das Archiv bestand auf den ersten Blick aus grauen Wänden und Kisten und der Tanz war noch nicht da. Kunstformen, die im Moment und von Menschen leben, lassen sich nicht einfach so konservieren.

Mir wurde klar, dass die zugrunde liegende Frage ist, wie man dieses Werk von Körper zu Körper weitergeben kann, wie eine neue Generation damit umgeht und ob ihnen das noch etwas sagt. Dadurch ist die Idee entstanden, einen langen Film zu machen und diesen Fragen nachzugehen. Da gibt es dann auf der einen Seite diejenigen, die in den 70er Jahren mit Pina die Rollen erarbeitet haben, deren Lebensgeschichte das ist. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die das Werk jetzt neu für sich entdecken müssen. Auch hier liegt wieder ein starker Fokus auf Prozessen und Arbeit und weniger auf den fertigen Stücken, denn mir ist vor allem der Weg dorthin wichtig.

Wie genau sah dieser Weg aus? Der filmische Vorgang von “Dancing Pina” war ein besonderer, da alles ein großes Experiment war. Ich hatte mich entschieden, diese beiden doch sehr unterschiedlichen Welten zu verbinden. In der Semperoper kommen die Tänzer*innen eher aus einer klassischen Ballettausbildung und in der Ècole des Sable gibt es ganz unterschiedliche Hintergründe. Die Tänzer*innen kommen vom Streetdance, von traditionellen und modernen Tänzen und nähern sich aus diesen verschiedenen Richtungen Pinas Werk an, so wie ich. Für mich war das auch neu und ich hatte das Gefühl, dass es Sinn ergibt, diese Projekte zu begleiten.

Was ich spannend fand, war, dass viele Fragen dann doch auch universell waren. Fragen wie: Wie finde ich mich selbst in den Choreographien, wenn ich sie einmal beherrsche? Wie viel Raum ist da für mich, um mich auszudrücken? Resoniert das mit mir und meiner Biographie? Wir haben erst in Dresden die komplette Produktion gedreht, wo im Dezember 2019 Premiere war. Eigentlich hätten wir damit schon einen ganzen Film machen können. Danach haben wir Anfang 2020 im Senegal angefangen, zu drehen, wo wir eigentlich wieder einen ganzen Film gedreht haben. Ich hatte immer ein Gefühl dafür, wie es sein könnte, wenn beides zusammenkommt. Aber so ganz konnte man erst im Schnitt sehen, was passiert und wie beides miteinander kommuniziert.

Im zweiten Drehblock im März, kurz bevor es zur Premiere nach Dakar gehen sollte, wurde das ganze Projekt abgesagt. Mit den Enttäuschungen der Tänzer*innen umzugehen, die zwei Monate lang psychisch und physisch unglaublich hart gearbeitet haben, war eine große Herausforderung. Dann stellte sich die Frage, wie man filmisch damit umgeht. Weil es sich um einen Dokumentarfilm handelt, ist die Realität immer da und bahnt sich ihren Weg. Es gab dann den Impuls, dass das Stück noch einmal getanzt werden soll und wir haben mit den Tänzer*innen besprochen, es noch mal bei Sonnenuntergang am Strand zu machen. Das Besondere daran war, dass sie mit dieser Krise, die die ganze Welt betrifft, tänzerisch umgehen und das am Ende auch am Strand ausdrücken. Dadurch kam die Frage auf, warum sie eigentlich tanzen, ob nur für das Publikum oder weil sie es selbst in sich tragen. Am Ende guckten an diesem Strand drei Leute und ein Hund zu und trotzdem ist es ein magischer Moment geworden.

Auch der Düsseldorfer Filmemacher Wim Wenders hat einen Dokumentarfilm zu Pina Bauschs Werk gemacht und fand dabei in der 3D-Technologie ein Mittel, um die Ausdruckskraft adäquat überbringen zu können. Welche Herausforderungen gab es für Dich beim Dreh von Tanz und Tänzer*innen im Vergleich zu vergangenen Arbeiten? Darin liegt das Dilemma. Denn wenn man es einfach so abfilmen könnte, dann müsste man es nicht wieder aufführen, sondern kann es einmal filmen und speichern und das Thema wäre durch. Der Film kann das aber nicht adäquat abbilden. Deswegen lag hier neben dem Prozess auch der Fokus auf den Menschen, die tanzen. Wie sie versuchen, sich selbst darin zu finden, was sie mitbringen und zu erzählen haben. Wir hatten nie den Anspruch, Pinas Arbeit eins zu eins ins Kino zu bringen oder technische Hilfsmittel einzusetzen.

Technisch haben wir uns trotzdem sehr einfinden müssen. Die Tänzer*innen haben nie für die Kamera getanzt, sondern wir waren oft am Rand und mussten aufmerksam sein, dass wir das Geschehen während der Proben oder den Aufführungen mitbekommen und einfangen können. Das war eine große Herausforderung. Wir haben uns dazu entschlossen, keine bewegte Kamera zu verwenden, damit die Bewegung der Kamera nicht mit der Bewegung der Tänzer*innen in Konkurrenz steht. Wir haben versucht, das Bild ruhig und mit wenig Schnitten aufzunehmen, um auch Pinas Arbeit nicht zu sehr auseinanderzunehmen.

Worauf können sich Zuschauer*innen – neben eindrucksvollen Bildern der Performances – außerdem freuen? Für diejenigen, die vom Tanz kommen oder sich mit Pinas Werk beschäftigen, ist es spannend, weil man hierbei sehr stark in den Prozess eintauchen kann und die Leute aus den 70er Jahren wiederentdeckt, die die Choreographien früher getanzt haben. Der Film war aber auch immer als eine Handreichung für diejenigen gedacht, für die Tanz vielleicht eine neue Kunstform ist und aufschlüsselt, woher das Besondere kommt und was dahinter steckt, auch emotional. Man erlebt die Hingabe, mit der sich die Menschen während eines Probenprozesses ausliefern und sich mit Schwierigkeiten durchkämpfen. Man sieht, wie das Stück von den allerersten, ganz zarten Bewegungen wächst, bis es dann auf der Bühne explodiert und lebt.

Für mich ist es aber auch ein Film über das Leben, denn es geht um Fragen wie Tod und Erinnerung. Dann geht es natürlich um Scheitern, um Schicksalsschläge und wie man damit umgeht. Von Anfang an war klar, dass das Werk mit Leben gefüllt werden muss, wenn es Menschen berühren soll. Es ist immer wieder der Satz gefallen: „Man muss man selbst sein.”, aber was bedeutet das überhaupt? Mein Zugang war, dass ich im Senegal die Tänzer*innen gefragt habe, worum es für sie in dem Stück geht. Das waren Tänzer*innen, die mit Pina Bausch keine Berührung hatten. Das heißt, es hätte sein können, dass es für sie nur Bewegungen sind. Aber dann hat zum Beispiel Gloria angefangen, von ihren Erfahrungen als Tänzerin in Nigeria zu erzählen und welche familiären und gesellschaftlichen Anforderungen an sie gestellt werden. Ich habe das Gefühl, dass sie das Ganze mit ihrer eigenen persönlichen Geschichte, mit ihrem eigenen Schmerz zum Ausdruck und zum Leben bringt, wenn man sie am Ende am Strand tanzen sieht.

Hat sich Dein Verständnis oder Deine Sicht auf den Tanz durch die Arbeit an dem Film verändert? Absolut. Natürlich ganz stark bezogen auf Pinas Werk. Es ist für mich eine Offenbarung, diesen riesen Schatz zu haben. Ich war seitdem auch ein paar Mal im Tanztheater in Wuppertal und war glücklich, mir die Aufführungen dort anzusehen. Ich habe mir Aufnahmen angesehen und finde, dass Pinas Werk ein offenes ist. Man muss überhaupt kein Experte für irgendetwas sein, um in ein Pina Bausch Stück zu gehen. Man muss sich vorher nichts angelesen haben oder besonders tanzaffin sein, um damit resonieren zu können. Was mit der eigenen Lebensgeschichte zu tun hat, erkennt man wieder, weil das Werk so stark an menschliche Grundthemen anknüpft.

Ich habe auch viel für meine Arbeit als Regisseur mitgenommen und wie man mit Körper und Rhythmus, aber auch mit Menschen im Raum umgeht. Es gibt Momente im Film, bei denen man das Gefühl hat, wir würden da filmisch schneiden. Nahaufnahmen und Weiten, die die Kamera nicht macht, sondern die nur durch die Körper entstehen. Natürlich auch der Aspekt, wie detailliert die Probenleiter*innen mit den Tänzer*innen zusammengearbeitet haben, wie dort über Charaktere und über Motivation gesprochen wurde.

Es gibt einen Kurzfilm über das Ende der Buchhandlung Stern-Verlag auf der Friedrichstraße hier in Düsseldorf. Gibt es weitere Themen, mit denen Du Dich in Düsseldorf gern filmisch auseinandersetzen würdest? Ich finde Düsseldorf ist kulturell sehr reich. Ich war als Jugendlicher gern im Ehrenhof oder im K21. Die Auseinandersetzung mit Kunst ist hier sehr unmittelbar. Zusätzlich hat man die ganzen kleinen Kinos, wie das Bambi oder die Black Box im Filmmuseum, die immer verrückte Filme gezeigt haben. Ich bin als Kind aber auch gern in die UFA-Kinos gegangen, die die Blockbuster-Filme gezeigt haben. Ich wollte immer im Schauspielhaus arbeiten, weil ich mir die Stücke dort angesehen habe. Das war ein Sehnsuchtsort für mich. Deswegen ist es jetzt auch so, dass ich immer wieder hierher komme, um eine Ausstellung zu sehen, um etwas mitzunehmen. Da würde ich sagen, hat mich die Stadt stark geprägt. Direkte Themen ergeben sich bei mir, wie gesagt, aus dem Alltäglichen. Im Sternverlag habe ich früher als Kind immer gerne gesessen und Bilderbücher angeguckt.

Du lebst und arbeitest zwar in Köln, gibt es dennoch auch Orte in Düsseldorf, die Dich inspirieren? Ich war immer viel am Rhein und bin es heute noch. Den Blick von den Rheinwiesen, von wo aus man sich Düsseldorf einerseits annähern kann und es andererseits mit einem Blick begreifen kann, mag ich sehr. Das ist für mich ein Kraftort, an den ich gerne gehe.

Dein Film wird in einem der Filmkunstkinos, dem atelier im Savoy-Theater stattfinden. Hast Du die Kinos, als Du noch in Düsseldorf gelebt hast, besucht und gibt es einen persönlichen Favoriten für Dich? Ein wichtiges Kino war damals das “Lichtburg” auf der Königsallee, das es schon lange nicht mehr gibt. Das hatte einen tollen Saal und war ein Grund, aus dem man mal auf die Kö gegangen ist. Dessen Schließung war ein großer Verlust. Einen Favoriten kann ich gar nicht festlegen. Ich war früher – das gibt es heute aber auch nicht mehr – im UFA Residenz-Kino. Das war ein besonderes Ereignis, wenn man dort die Blockbuster-Filme der 90er gesehen hat. Ich finde es aber gerade schön, dass man nicht nur ein bestimmtes Kino hat, sondern eine Kinolandschaft. Auch das Souterrain in Oberkassel ist toll, weil es ganz klein ist und man einen eigenen Tisch hat und die Filme in einer Bar-Atmosphäre guckt. Mit jedem Kino ist man in einem anderen Viertel, wodurch man das Viertel dann auch mitgenießen kann und trotzdem sind sie nicht weit weg voneinander. Bei einem hat man mehr die Bahnhofsatmosphäre oder beim Cinema ist man mitten in der Altstadt, wo man danach etwas trinken gehen kann, um über die Filme zu reden und alles sacken zu lassen. Es gibt einfach viele schöne Kinos hier.

„Dancing Pina“
Ab dem 15. September 2022 im Kino
Premiere in Düsseldorf am Samstag, den 17. September 2022 um 18 Uhr im atelier

atelier im Savoy Theater
Graf-Adolf-Straße 47, 40210 Düsseldorf

Vielen Dank!

Text: Lisa-Marie Dreuw
Filmstills: mindjazz pictures 
© THE DORF 2022

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