‚Ich Schreib Dir Von Zuhause‘ in der Galerie BaustelleSchaustelle

Bis zum 15. Juni 2021 lohnt sich ein Besuch bei der BaustelleSchaustelle, um sich die Ausstellung ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause‘ anzusehen. 65 Künstler*innen, 65 Postkarten, 1 Bitte: ein Bild zu finden für die Fragen, die im Raum stehen, vielleicht die Frage selbst, eine Hoffnung, einen Wunsch, einen Impuls, eine Sehnsucht, einen Auftrag. Ganz frei! 

Der Blogger Kai Eric Schwichtenberg hat Künstler*innen aus seinem Freundes und Bekanntenkreis – unbekannte und bekannte, etablierte und junge, immer suchende – im Frühjahr 2020 gebeten, das beschränkende Maß einer Postkarte kreativ zu nutzen, um ihren Gefühlen und Gedanken zu den Herausforderungen der Zeit Ausdruck zu verleihen. Zurückgekommen sind so zahlreiche wie individuelle, persönliche, ernsthafte, humorvolle, zuversichtliche und überraschende Antworten. Sie erlauben nun — auch noch ein Jahr später — in der Galerie BaustelleSchaustelle, unter dem Titel ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause‘, eine sich ganz gegenwärtig anfühlende Rückschau auf das vergangene Jahr.

Im Interview spricht THE DORF mit dem Initiator Kai Eric Schwichtenberg und findet heraus, wie die Idee für die Ausstellung entstanden ist, welche der Postkarten Kai am meisten berührt haben und warum, was seine Wünsche für die Zukunft sind und es gibt schon hier ein paar kleine Einblicke in die Ausstellung.

Stell Dich doch erst einmal vor: Wenn ich nicht gerade für die Ausstellung ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause’ zwischen Münster und Düsseldorf hin und her pendele oder — nach Möglichkeiten, durch die Gegend fahre und Ausstellungen in Galerien, Museen oder Kunstvereinen besuche, um darüber für meinen Blog zu schreiben, habe ich als Buchhändler jeden Tag mit einem der schönsten und vielfältigsten Produkte zu tun, die ich mir vorstellen kann. Seit 16 Jahren berate ich Menschen auf der Suche nach einem guten Buch und seit 6 Jahren teile ich meine Begeisterung für Kunst in Texten und Bildern. Wenn nicht gleich im direkten Austausch mit Künstler*innen, dann fühle ich mich in Kunstvereinen am wohlsten.

Nach dem Atelier sind sie vielleicht die spannendsten Räume, um aktuelle Kunst in Werden und Wirkung zu begleiten. Ich bin darum nicht nur Mitglied in einigen von ihnen, unter anderem auch im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf, sondern auch bis vor einigen Monaten als Beiratsmitglied aktiv engagiert im Westfälischen Kunstverein in Münster, für den ich außerdem den Kultursalon ‚Westfälische Küche‘ mitentwickelt und einige Jahre mitorganisiert und moderiert habe. Seit Februar bin ich Vorstand des Freundeskreises der Kunsthalle Münster und kann es kaum abwarten, in dieser neuen Position und Verantwortung endlich ein Programm für die Mitglieder und alle interessierten Besucher*innen zu starten (starten zu dürfen), das auch so diesen großartigen Ausstellungsort als Ort der Begegnung von Menschen und Kunst wieder mit Leben füllt.

Auch Zuhause umgebe ich mich gerne mit Kunst. Die Wände sind hier meine ganz private Ausstellung und die Regale ächzen unter den zahllosen Ausstellungskatalogen, und mein Freund teilt diese Begeisterung glücklicherweise. Ach und etwas verbindet mich natürlich und schließlich noch mit Düsseldorf, jenseits von Kunstverein, Kunsthalle, Kunstsammlung, Altbier usw.: Ich wurde hier vor 45 Jahren geboren. Daran erinnere ich mich zwar nicht, aber vergessen will ich es trotzdem nicht.

Wie ist das Projekt „Ich Schreib Dir Von Zuhause“ entstanden? Viele von uns waren zu Beginn des vergangenen Jahres gezwungenermaßen viel oder gar ausschließlich Zuhause. Corona hatte unser soziales und berufliches Leben in einem ersten, heftigen und unbekannten Beben im Griff. Stillstand überall und Gefühle von Angst, sei es um die Gesundheit oder um die berufliche Zukunft, prägten zunehmend unsere Gespräche, die in gleichem Maße immer mehr nur noch aus der Distanz zueinander möglich waren. Zu zweifeln, zu bangen, zu leiden und sich dabei nicht mehr nahe sein zu dürfen, war der emotionale Teil einer alltäglichen Gegenwart, deren rationaler Part die Fehlstellen beruflicher Entfaltung, finanzieller Unterstützung und öffentlicher Wahrnehmung waren. Ich hatte im März 2020 das Gefühl, mit all den Künstler*innen und Kulturschaffenden, die ich kenne, in Kontakt bleiben zu wollen und zu müssen.

Nicht um mich „bei Laune“ zu halten, sondern um ein Augenmerk auf ihre Situation, ihre Abhängigkeiten und die Unwägbarkeiten zu richten, vor denen gerade sie jetzt standen. Und ich wollte von Beginn an diesen Kontakt zu etwas Bleibendem werden lassen. Keine WhatsApp oder Mail, keine Story bei Instagram oder ein schnelllebiges Video auf TikTok. Eine Postkarte ist so aus der Zeit gefallen wie sie beständig ist, ein so beschränkendes Format wie sie auch eine kleine Leinwand ist. Ich habe 75 Briefe, die mein Anschreiben waren, meine Bitte und meinen Wunsch formuliert haben, mit beigelegten, leeren, frankierten und an mich adressierten Postkarten ausgeschickt. Mir war klar: Sie würden auch eine Herausforderung sein, aber eben auch eine Möglichkeit für beide Seiten, auf sich aufmerksam zu machen, sich nicht zu vergessen und schließlich und vor allem die Künstler*innen nicht zu vergessen.

Was oder wen willst Du mit dem Projekt erreichen? Ich befürchte, dass uns die Folgen der Pandemie auch beim Blick auf die Kunst wie Kulturlandschaft noch lange beschäftigen werden. Und das bedeutet vor allem, diese Folgen werden die Kulturschaffenden noch lange beschäftigen. Ziel von ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause’ war es den Freund*innen und Bekannten, den etablierten wie jungen Stimmen dieser meiner Meinung nach so wichtigen wie in ihrer positiven Wirkung auf und in die Gesellschaft so notwendigen Akteur*innen, eine Möglichkeit zu geben, ihren Gedanken, Sorgen und Hoffnungen Ausdruck zu verleihen. Ich wollte und will mit ihnen in Kontakt bleiben, sie erreichen, damit sie auch so mit uns allen in Kontakt bleiben und wir nicht vergessen, wie sehr wir ihre Arbeit schätzen sollten und brauchen.

‚Ich Schreib Dir Von Zuhause’ soll mein kleiner Beitrag dazu sein, dass wir künstlerisches Arbeiten nicht als Selbstverständlichkeit, gar ‚nur’ als Hobby oder im schlimmsten Fall als selbst gewählten Weg in eine prekäre Lage verstehen. Die ausgestellten Arbeiten sollen zum Nachdenken anregen und sollen unterhalten, sie sollen die Vielfältigkeit von Stimmen und Ausdrucksmöglichkeiten verdeutlichen, die man auch hören und sehen kann und sollte, wenn rundherum alles stiller wird. Sie sollen von den Künstler*innen erzählen und genauso auch von den Besucher*innen der Ausstellung. Und wenn ein paar Gedanken, Inspirationen, Ideen oder Erkenntnisse hängen bleiben, wäre mir das natürlich auch sehr recht. Darüber lässt sich dann ja vielleicht gemeinsam reden, diskutieren oder lachen und damit wäre für mich alles erreicht.

Es haben ganze 60 Künstler*innen insgesamt am Projekt teilgenommen. Hast du mit dieser großen Anzahl gerechnet? War es von Anfang Dein Plan, so viele Menschen zusammen zu bekommen? Als ich den ersten Schwung an Briefen losgeschickt habe, hatte ich schon etwas Schiss, dass vielleicht kein einziger eine Antwort findet und keine Postkarte zurückkommt. Ich war natürlich überzeugt von dem Projekt und von der Idee dahinter, aber das musste ja noch lange keine geteilte Überzeugung sein. Und dann kamen schon nach wenigen Tagen die ersten Karten und jeden Tag wurden es mehr. Zum Briefkasten zu gehen war wie eine Wundertüte zu öffnen und die Erleichterung wuchs mit der Begeisterung. Am Ende sind von etwa 75 ausgeschickten Briefen und Karten 65 zurückgekommen.

Darauf hatte ich natürlich gehofft, denn erst die große Resonanz machte ja aus der Idee ein echtes Stimmungsbild. So viele Karten verschickt zu haben, steigerte natürlich die Chance auf viele Antworten, aber so berechnend habe ich das nicht verfolgt. Wie viele es schließlich wurden, habe ich auch erst kurz vor der ersten Ausstellung in Münster im August 2020 gesehen, als es darum ging, für jede Karte den passenden Rahmen zu finden. Die Karten kamen ja zwischen März und Anfang August zurück zu mir und erst jetzt lagen sie alle zusammen auf einem großen Tisch, eine riesige Collage der zurückliegenden Monate, und vielleicht auch der Beweis, dass an meiner Idee vieles richtig war und einfach in die Zeit passte.

Welche Antwort hat Dich besonders berührt?
 ‚Hast du eine Lieblingspostkarte?‘ werde ich oft gefragt und ich bin ganz glücklich, dass das nicht so ist. Ich sehe immer noch jede Karte in jeder Ausstellung und bei jedem Besuch wie zum ersten mal und weiß dann, dass das keine Kategorie sein kann, nach der ich sie auf mich wirken lassen möchte. Ich würde mich gar nicht erst auf die Suche nach dieser Lieblingspostkarte machen. Aber die Frage lautet ja nun ‚Welche Antwort hat Dich besonders berührt?‘ und tatsächlich bin ich mir da sicher, zwei Karten in dieser so diversen Sammlung zu haben, die mir sofort einfallen.

Eine Karte berührt mich, weil der so leichte, so liebevolle, so optimistische Text über die letzten Monate an Tiefe gewonnen hat, die auch von Vergänglichkeit und Trauer erzählen kann und muss, die die Autorin beim Verfassen sicher nicht mitgedacht hatte. Die andere Karte ist in ihrer Gestaltung so minimalistisch, dass man sie vielleicht zunächst übersieht oder übersieht, was man sehen könnte. Zwei transparente Klebestreifen sind hier alles, um eine ganze Geschichte zu halten, die von Wünschen erzählt und damit von Hoffnungen und die auf eine ganz feine Art besonders individuell ist.

Wie entstand die Zusammenarbeit mit der Galerie BaustelleSchaustelle?
 Viele der beteiligten Künstler*innen leben und arbeiten in Düsseldorf. Ich liebe Düsseldorf – nicht nur weil es, wie gesagt, meine Geburtsstadt ist. Das ist eine ganz gute Ausgangslage, dachte ich mir, die Ausstellung auf ihrer Reise auch hierher zu bringen. Und so sollte sie also von Münster über Dortmund nun gen Süden wandern. Einer der beteiligten Künstler hatte mich lange zuvor einmal auf die BaustelleSchaustelle aufmerksam gemacht, da ging es um deren Raum in Essen und nicht um mich.

Aber jetzt erinnerte ich mich daran und habe mein Projekt für den Raum in Düsseldorf hier vorgestellt. Eigentlich ist ja die ausstellende Person in der Bauschau Künstler*in. Darum war ich mir gar nicht so sicher, ob mein Projekt, für das ich mich wenn überhaupt als Kurator bezeichnen würde, dort eine Chance hat. Aber die positive Rückmeldung kam schon recht bald und damit auch die Verbindung und schließlich die schöne Zusammenarbeit mit Brigitte Krieger und dem Team der BaustelleSchaustelle.

Arbeitest Du bereits an einem neuen Projekt und kannst schon etwas verraten? Ich hoffe vor allem sehr darauf, bald wieder in Vollzeit meinem Beruf nachgehen zu können. Ich hoffe sehr darauf, für die Mitglieder des Freundeskreises der Kunsthalle Münster möglichst bald ein spannendes Programm anbieten zu können. Ich hoffe sehr darauf, bald wieder zu reisen, nicht nur in den Urlaub, sondern zu Ausstellungen und Kulturorten, um zu schreiben und um andere zu begeistern. Ich hoffe sehr darauf, bald wieder mit Freunden in großer Runde die Abende genießen zu können. Ich hoffe sehr auf so etwas wie das schöne Gefühl einer neuen Normalität, die uns herausfordern wird. Ich bin also sehr damit beschäftigt, (für mich) wichtige Dinge zu hoffen, da ist grad nicht viel Zeit für neue Projekte. Doch für eines:

Ich möchte, dass aus ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause‘ aus der Ausstellung, aus den Eindrücken und Arbeiten ein Katalog wird. Das ist das Projekt für den Sommer. Das wird noch mal viel Arbeit, denke ich, und ohne Hilfe und Kontakte wird es nicht gehen. Aber vielleicht kann mir ja jemand helfen, der dies hier liest?

Und vielleicht wandern ja alle Postkarten zusammen, irgendwann mal als Zeugnisse dieser Zeit in ein Ausstellungshaus, das sich diesem Thema widmen möchte. Vielleicht mache ich ein Projekt daraus, das zu erreichen.

Vielen Dank! 

Mit Arbeiten von Tatjana Doll, Claus Föttinger, Anna Haifisch, Richard Helbin, Diango Hernández, Gregor Hildebrandt, Jan Hoeft, Verena Issel, Miriam Jonas, Steffen Jopp, Stefan Marx,  Annika Kahrs, Kasper König, Mischa Kuball, Matthias Lahme, Christian Odzuck, Johanna Reich, Kai Richter, Lia Sáile, Malte van de Water, Christoph Westermeier, Tobias Zielony u.v.a.

Kai Eric Schwichtenberg 
Ausstellung „Ich Schreib Dir Von Zuhause“
@ Galerie BaustelleSchaustelle 
Brehmstraße 41, 40239 Düsseldorf
Terminvereinbarung per Mail

Interview: Amani El Sadek 
Fotos: Kai Eric Schwichtenberg
© THE DORF 2021

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