Am 18. Oktober feiert das Stück mit dem langen Titel „Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen“ im Düsseldorfer Schauspielhaus seine Uraufführung. Geschrieben wurde es vom Filmemacher Jan Bonny, der auch Regie führt, gemeinsam mit Co-Autor Jan Eichberg. Das Bühnenbild stammt vom Düsseldorfer Künstler Alex Wissel.
Das Stück basiert auf Klaus Manns Roman Mephisto und erzählt die Geschichte des Schauspielers Hendrik Höfgen, der es in den 1930er Jahren zum Star des „Neuen Reiches“ bringt. Doch der Preis für seinen Erfolg ist hoch: Er verrät seine früheren Ideale, sogar seine Geliebte, und wird, wie Klaus Mann es beschreibt, zum „Affen der Macht“ und zum „Clown zur Zerstreuung der Mörder“. Der Roman nimmt Bezug auf den in Düsseldorf geborenen Schauspieler, Regisseur und Sänger Gustaf Gründgens, der während der NS-Zeit vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring gefördert wurde und als einer der Gründer des Düsseldorfer Schauspielhauses gilt.
Jan Bonny und Alex Wissel verbindet eine seit knapp 15 Jahren anhaltende Zusammenarbeit und Freundschaft. Für unser Interview treffen wir die beiden im Bistro Agi auf der Ackerstraße – einem Ort, der auch im Stück eine Rolle spielt. Hier sprechen wir mit ihnen über ihr neuestes Theaterprojekt, das sich einem für Düsseldorf kontroversen Thema widmet: der Auseinandersetzung mit Gustaf Gründgens und den ideologischen Verstrickungen der Kunst. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Relevanz des Themas in der heutigen Zeit und die Rolle der Kunst in politischen Umbrüchen.
Wie kam es dazu, dass ihr euch diesem – gerade für Düsseldorf – kontroversen Thema gewidmet habt? Und wie entstand die Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus? Jan Bonny: Bevor wir vor zwei Jahren in Basel an Heiner Mülers „Philoktet“ gearbeitet haben, haben Alex und ich an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin das Stück Rheingold produziert, bei dem es ebenfalls peripher um einen Düsseldorfer ging, den Kunsthändler Helge Achenbach. Im Zusammenhang mit beiden Arbeiten haben wir uns mit Mephisto von Klaus Mann beschäftigt. Es geht um die Verführbarkeit des Künstlers, seinen Opportunismus angesichts ideologischer Verhärtungen. Wie passt man sich an veränderte Bedingungen an? Und welchen Preis zahlt man dafür? Letztendlich betrifft diese Frage nicht nur Künstler, sondern jeden von uns. Als sich der Kontakt zum Düsseldorfer Schauspielhaus ergab, dachten wir: Wenn wir in Düsseldorf arbeiten, müssen wir uns mit Gründgens beschäftigen. Wenn nicht hier, wo dann? Wir glauben, dass am Stadttheater immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Ort und seinem Publikum stattfinden muss. Das Schauspielhaus, der Gustaf-Gründgens-Platz – er wurde hier geboren, war Intendant und wird – je nach dem wen man fragt – verehrt.
War es einfach, die Idee für das Stück dem Schauspielhaus „zu verkaufen“, oder gab es aufgrund des Gustaf-Gründgens-Platzes und der damit verbundenen Kontroversen Bedenken? Jan Bonny: Wir haben das Glück, im Kleinen Haus zu spielen. Das gibt uns die Möglichkeit verspielter und ergebnisoffener zu arbeiten. Wir haben noch einiges über das Theater zu lernen. Und wir merken, dass das Thema Gründgens im Haus kontrovers diskutiert wird.
Alex Wissel: Dabei gab es in der Vergangenheit schon viele Stücke, die kritisch mit Gründgens ins Gericht gingen. Wir sind definitiv nicht die Ersten, die sich mit ihm beschäftigen, aber man merkt eine gewisse Nervosität.
Das Stück behandelt nicht nur die Figur Gründgens, sondern auch die aktuelle politische Lage, den Rechtsruck in Europa und die Frage, wo die Kunst heute steht. Was hat dich an dem Thema besonders gereizt, Jan? Jan Bonny: Ich denke, die Frage ist fast schon selbsterklärend. Das Stück stellt die Frage, wo die Kunst heute steht und was sie kann, und das ist auch eine Frage, die mich umtreibt.
Alex Wissel: Alle gute Kunst ist politisch, aber nicht jede politische Kunst ist gut. Auch ein abstraktes Kunstwerk kann politisch sein. Es geht darum, mit der richtigen Haltung Kunst zu machen. Für mich sind zwei persönliche Erfahrungen besonders wichtig in Bezug auf diesen Stoff. Ich bin auf einem kleinen Dorf in Unterfranken aufgewachsen, an der Grenze zu Hessen, wo nicht viel los war. Meine Oma hatte Kaffeekränzchen mit ihren Freundinnen, und sie alle hatten dieses bereits im Buch von Klaus Mann beschriebene „Mephisto-Lächeln“. Sie erzählten sich mit einem Lächeln die kleinen Gemeinheiten des Dorfes – für mich ein frühes Beispiel queerer BRD Kultur, auch wenn sie das wahrscheinlich nicht so sahen. Dieses „aasige“ Lächeln war das Markenzeichen von Gustaf Gründgens und wurde besonders wirkungsvoll in der Mephisto Rolle eingesetzt – kalt, berechnend, doch immer mit einer gewissen Ironie.
Die zweite Begegnung war während meines Studiums in Düsseldorf, wo auch Immendorff als Professor an der Kunstakademie unterrichtete. Seine Kunst hat Immendorff sehr autofiktional entworfen – er nutzte sein eigenes Leben als Bühne für seine Bilder. Bevor er bei Beuys studierte, hatte er bei Theo Otto, dem Bühnenbildner von Brecht, gelernt. Er sah das Bild als Bühne und die Bühne als Bild. Nachdem er sich von seinen Anfängen als revolutionärer, maoistischer Künstler entfernt hatte und sich ab den 80er Jahren als Maler sehr teurer, großformatiger Historiengemälde neu positionierte, stellte er sich in seinen Bildern immer wieder als Mephisto in der ikonischen Maske von Gustaf Gründgens dar. Ich bin also anfangs nie direkt über den Roman von Klaus Mann zum Stoff gekommen, sondern immer schon durch die Brille einer bundesrepublikanischen Rezeption und Interpretation.
Alex, du hast das Bühnenbild für das Stück gestaltet. War schnell klar, dass ihr das Projekt nur gemeinsam umsetzen könnt? Inwiefern fließt deine Arbeit als bildender Künstler in das Bühnenbild ein? Alex Wissel: Ich sehe mich eher als Künstler, der am Theater arbeitet, nicht als reiner Bühnenbildner. Für mich ist das einfach eine andere Ausdrucksform meiner künstlerischen Tätigkeit. Ich mache da keinen Unterschied. Ich glaube, Jan sieht das ähnlich – er trennt auch nicht strikt zwischen Film und Theaterarbeit.
Jan Bonny: Wir arbeiten seit fast 15 Jahren zusammen und haben in den unterschiedlichsten Konstellationen Projekte realisiert. Alex hat in meinen Filmen mitgespielt, er hat meinen Namen auf Plakate geschrieben, von Filmen, die es gar nicht gab. Wir haben zusammen Filme produziert, die für den Kunstbereich gedacht waren, und Alex hat wiederum in meinen Spielfilmen mitgespielt. Wir haben viel zusammen gemacht. Hier am Theater bringt Alex seine Perspektive als bildender Künstler ein und ich gehe als Filmemacher ans Theater. Es ist für uns beide etwas Neues, und das macht es interessant. Wir müssen vieles neu lernen, weil wir mit einer anderen Vorprägung an die Sache herangehen. Da gelingt bestimmt einiges gar nicht, aber manches hoffentlich schon.
Alex Wissel: Ich denke, das Bühnenbild unterscheidet sich stark von den anderen, die man derzeit in Düsseldorf sieht. Ob das gut oder schlecht ist, das entscheiden die Zuschauer. Es ist auf jeden Fall anders.
Jan Bonny: Wir bringen eigene Ideen und Intuitionen ein. Das Stück ist wahrscheinlich kein klassisches Theaterstück – es ist für uns eine Art Forschungsarbeit. Heinrich Heine, Rose Ausländer und Joseph Beuys waren für mich immer die wichtigsten Düsseldorfer Figuren. Jetzt bei Gründgens zu landen, ist eigenartig, auch wenn ich immer wusste, dass er in der Graf-Adolf-Straße geboren ist, am Stresemannplatz, wo heute die Palmen von Tita Giese stehen. Unser Stück ist keine einfache Bewertung von Gründgens. Es geht vielmehr um die Frage: Warum sind wir heute wieder an diesem Punkt? Es fragt nach der Verantwortung, die jeder von uns in Krisenzeiten trägt. Wie verhalten wir uns in Momenten der Bedrohung? Am Ende muss sich das Publikum selbst ein Urteil bilden. Das Stück ist kein Lehrstück, und Ideologien betreffen nicht nur die Rechten, sondern auch die Linken. Die Vorstellung, dass Kunst per se heilend sein muss oder einen Zweck erfüllen soll, sehen wir skeptisch. Gründgens‘ Kunst hatte sicher einen Zweck.





Ein Thema, das sicherlich auch schmerzhaft sein kann. Was erwartet das Publikum bei eurem Stück? Was wollt ihr damit auslösen? Alex Wissel: Das Spannende an dem Stoff ist auch die Zwickmühle. Klaus Mann hat den Roman aus Abneigung zu Gründgens geschrieben. Da Mann keine negative schwule Hauptfigur darstellen wollte, schuf er stattdessen eine misogyne, rassistische Karikatur einer Schwarzen Frau, mit der der Protagonist eine sadomasochistische Beziehung führt– um dessen Homosexualität zu verschleiern. Außerdem kommt Gründgens aus dem Kleinbürgertum, während Klaus Mann, als Sohn von Thomas Mann, ein Großbürger war. Die Verachtung des Großbürgers für den Aufsteiger und auch des Aufsteigers auf Nepo Babies und das Großbürgertum überhaupt sind ebenfalls zentrale Themen. All diese Spannungen und Konflikte machen die Geschichte so interessant.
Jan Bonny: Das spiegelt sich auch in unserem Stück wider – die Figur von Klaus ist Teil der Erzählung, und ihre Beziehung steht im Mittelpunkt. Ein Schlüsselmoment war die Premiere eines gemeinsamen Stücks in Berlin: Ein Zeitungsfoto zeigte Klaus, Erika und Gustaf, doch Gründgens wurde abgeschnitten. Das war vermutlich der Moment, in dem Gründgens erkannte, dass er, solange er den Regeln des Anstandes folgte, nie ganz nach oben kommen würde. Wir verknüpfen reale und fiktionale Ebenen, die Vergangenheit und das Heute, zu einem erzählerischen Amalgam. Es lohnt sich auf jeden Fall, bis zum Schluss sitzen zu bleiben! (lacht) Das Stück hat für Düsseldorfer Verhältnisse vielleicht eine ungewöhnliche Form: Es ist kein klassisches Erzähltheater, sondern eher unmittelbar und ruppig.
Alex Wissel: Es passiert viel. Man kann mit den Gedanken abschweifen, aber später wieder einsteigen. Es soll kein endgültiges Urteil über die Geschichte fällen, sondern aus heutiger Perspektive einen Blick auf das Thema bieten.
Jan Bonny: Im Prinzip ist es eine Skizze unseres eigenen Denkprozesses, von uns und dem Ensemble. Es ist ein offener und spielerischer Ansatz.
Ihr arbeitet mit einem Teil des Düsseldorfer Ensembles, aber habt auch den Schauspieler Thomas Schubert geholt. Mit ihm hast du ja schon bei der Netflix-Serie „King of Stonks“ zusammengearbeitet. Warum hast du ihn für dieses Stück geholt? Du sagtest eingangs, dass du mit Alex seit fast 15 Jahren zusammenarbeitest. Schätzt du diese Kontinuität? Jan Bonny: Ja, ich versuche immer, eine Kontinuität in meiner Arbeit zu schaffen, auch mit den Schauspielern. Thomas Schubert zählt definitiv dazu. Ebenso Julian Sark, der in einer weiteren Rolle dabei ist. Mit beiden habe ich bereits oft in Spielfilmen oder Serien zusammengearbeitet. Ich habe auch oft mit Matthias Brandt, Bibiana Beglau oder Lars Eidinger gearbeitet, manchmal auch in kleineren Rollen. Es ist gut, kontinuierlich gemeinsam weiter zu arbeiten, weil man sich in neuen Situationen viel mehr zutraut. Beim Film kommt der Ensemblecharakter seltener vor, aber gerade deshalb ist es so viel Wert, diese Zusammenarbeit beizubehalten.
Thomas Schubert spielte wie Matthias bei „King of Stonks“ mit, einer Netflix Serie, die hier in Düsseldorf gespielt hat, und in unserem Film Wintermärchen, einer NSU-Allegorie. Lars Eidinger war schon im „Single Club“-Film dabei und hat dabei auch Alex, nun ja, verkörpert. Aber genauso wichtig wie der Beitrag den Thomas Schubert und Julian Sark bei Mephisto einbringen, sind die Leistungen der hinreissenden Kolleginnen und Kollegen des Düsseldorfer Schauspielhauses. Cathleen Baumann, Claudius Steffens, Blanka Winkler und Mila Moinzadeh sind fantastische Schauspieler und ich habe viel von ihnen gelernt.
Für unser Interview treffen wir uns im Bistro Agi auf der Ackerstraße, wo auch Szenen für die Videoebene des Stücks gedreht wurden. Jan Bonny: Im Theaterstück gibt es eine parallele Ebene zu den Motiven des Romans. Es geht darum, dass die „Alternativen Steiger für Deutschland“ versuchen, die Kulturhegemonie zu erringen. Dafür brauchen sie einen charismatischen Schauspieler – Gustaf Gründgens – und ein Theater. Sie graben also einen Tunnel durch ganz Deutschland bis unter das Düsseldorfer Schauspielhaus, um sich Gründgens zu holen. Und ein ordentliches Theater, denn Tik Tok, das ist jetzt vorbei. Es gibt eine Spielebene und eine Videoebene, in der man diese Steiger bei ihrer Arbeit sieht, wie sie den Tunnel graben. Wenn man mit dem arbeitet, was man kennt, bekommt es mehr Tiefe und Verantwortung. So sind wir hier im Keller des Bistro Agi gelandet und haben hier gedreht. Wir hatten schon länger die Idee, den Keller wiederzubeleben. Ursprünglich wollten wir die „Volksbühne West“ im Bistro Agi als Pendant zur Berliner Volksbühne gründen, mit einem Radschläger anstelle des Räuberrads.
Glaubst du, dass eine kulturelle Belebung dieses Ortes, also rund um den Worringer Platz, die derzeitige Situation hier verbessern könnte? Jan Bonny: Ja, natürlich. Ich kenne den Worringer Platz seit meiner Kindheit, den türkischen Imbiss Izmir gab es damals schon. Ich bin mit meiner Mutter als Kind noch durch die Unterführung gegangen. Der Platz hatte immer gute und schlechte Phasen. Alle zehn Jahre verändert sich etwas. Als Alex Wissels „Single Club“ hier war und der Projektraum von Julia Stoschek sah es sofort ein bisschen anders aus. Aber so ist der städtische Raum einfach, er ist immer im Wandel. Agipet Iljazi, der hier das Bistro Agi betreibt, ist eine Art Mutter Ey Figur der Gegenwart. Er macht hier seit 10 Jahren enorm viel möglich für die Kunst und die Stadt sollte dankbar sein, dass er diese Verbindungen herstellt.
Alex Wissel: Wenn man den Raum mit manch städtisch geförderten Einrichtungen vergleicht, hat er viel mehr ermöglicht. Düsseldorf gibt sich gerne international, aber die Strahlkraft des Bistro Agi war international größer als die manch geförderter Projekte.
VIELEN DANK!
Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen
Gründgens, Mann und die deutsche Seele
von Jan Bonny und Jan Eichberg nach dem Roman von Klaus Mann
Uraufführung am 18. Oktober 2024
Schauspielhaus, Kleines Haus
Tickets und Infos hier…
(c) THE DORF, 2024
Text/Interview: Tina Husemann
Fotos: siehe Bildbeschreibung