MICRORILLE

Gut ausgeschlafen treffen wir Richard Rilinger – auch bekannt als „Microrille“ – auf Zoom für ein Gespräch über Miniaturkunst, Street-Art und Schönheit im urbanen Alltag. Der 34-jährige Digitalkünstler und Miniaturist ist passionierter Langschläfer und frischgebackener Vater, zwei Dinge, die nicht so recht zusammenpassen und erklären, warum das Interview „Hauptsache nicht zu früh morgens“ stattfinden sollte. Zur vereinbarten Uhrzeit am frühen Nachmittag wirkt Richard nun hellwach, konzentriert und gut gelaunt. Er erzählt uns von seiner Heimat Münster, seinem Kommunikationsdesignstudium an der HSD Düsseldorf und warum nach seiner Aussage Müll so eine große Rolle in seinem Leben spielt. Aber eins nach dem anderen. Wer überhaupt ist der Mann, der uns freundlich vom Bildschirm entgegenlächelt? 

Richard Rilinger arbeitet im Bereich 3D-Animation. Man kennt seine Bildwelten sowohl aus Werbung („wenn es schlecht läuft“) als auch aus künstlerischen Projekten wie Musikvideos („wenn es gut läuft“). Doch wir sind auf anderem Wege auf ihn aufmerksam geworden: durch seine im Stadtraum versteckten Miniatur-Nachbildungen von bisweilen ranzigen Alltagsobjekten. Inspiriert von Düsseldorfs „abgefucktem Charme“ radelt Richard durch die Straßen und fotografiert Graffiti in Form von Schriftzügen wie „Rapper sind Nutten“ und Bildern wie der Grinsekatze. Diese druckt er dann aus und klebt sie in passender Größe auf 3D-Druck-Miniaturmodelle von Gegenständen, die vielen von uns zwar tagtäglich begegnen, die wir aber nicht zwangsläufig als etwas Besonderes wahrnehmen. Richard nennt seine Kunst eine Art „dreidimensionale Collage“, die das 3D-Modell als Eigenkreation spielerisch mit Einflüssen aus der Stadt paart. Die fertige Miniatur präsentiert er manchmal in Galerien, meist aber im öffentlichen Raum zwischen Asphalt, Schienen und Reklame – genau dort, wo sie ihren Ursprung finden.  

Miniaturkunst hat eine lange Geschichte, die Jahrtausende zurückreicht. Nun erlebt das Genre seit einiger Zeit eine Renaissance: der aus Japan stammende Trend der Niedlichkeit („Kawaii”) hat auf Instagram Konjunktur (z. B. auf dem „Tiny Kitchen“ Account), der Miniaturist Dan Ohlmann hat im Jahr 2005 ein Miniatur- und Kinomuseum in Lyon gegründet und es gibt zig Youtube-Dokus, die sich mit Miniaturisten aus aller Welt beschäftigen. Was ist der Reiz von Miniatur?  Was genau der Reiz von Miniaturen ist, kann ich mir selber gar nicht genau erklären. Aber wie Du schon richtig sagst, geht auf jeden Fall eine ganz diffuse, langanhaltende Faszination von Miniaturkunst aus. Ich glaube, dass die Renaissance, die wir heutzutage erleben, durch Neue Medien wie Instagram und YouTube zustande gekommen ist. Zwar haben Menschen schon immer Miniaturen gemacht, doch jetzt bekommen wir einfach mehr davon zusehen. 

Wie bist Du zur Miniaturkunst gekommen und warum hast Du Alltagsgegenstände wie Straßenbänke und Zigarettenautomaten zu Deinem Sujet gemacht? Das ist relativ einfach zu erklären. Normalerweise mache ich digitale Kunst, aber das wurde mir irgendwann zu langweilig. Mir hat das Haptische gefehlt. Dann bin ich auf das Thema 3D-Drucker gestoßen, habe ein bisschen recherchiert und schließlich einen bestellt, der Modelle aus Epoxidharz herstellt. Anfangs habe ich Sachen gedruckt, die ich aufgrund meines Berufs eh schon als 3D-Modelle angefertigt habe. Und das waren halt schon immer eher so düstere und schmutzige Objekte wie ein Zigarettenautomat, denn ich habe ein Faible für diese Art von urbaner Müll- und Graffiti-Ästhetik. Das Trashige reizt mich mehr als möblierte Puppenhäuser und so’n Zeug. 

Miniaturkunst erfordert viel Fingerspitzengefühl und Geduld. Hast Du gelegentlich mal Ausraster oder bist Du stets die Ruhe selbst? Ich bin eigentlich gar kein geduldiger Mensch, sondern total hibbelig. Wer mich kennt, fragt sich immer, woher ich diese Geduld hernehme, winzig kleine Objekte zu machen. Ich denke, für mich ist das eine Art Therapie oder Meditation. Ich kann mich problemlos stundenlang mit Zeichnen, Malen, Basteln und Konstruieren beschäftigen. 

Viele Miniaturisten erstellen Mini-Versionen von Straßenszenen oder Gebäuden wie Theatern, Museen und Restaurants. Interessierst Du Dich ausschließlich für einzelne Objekte im öffentlichen Raum oder hast Du vor in Zukunft auch umfangreichere Repliken zu schaffen? Ich habe schon angefangen, etwas größere Szenen zu machen, so richtige Dioramen. Gerade arbeite ich an zwei Kompositionen: die eine sind Glascontainer, wo ganz viel Leergut rumsteht, und die andere mit E-Scootern, die die Straße blockieren. Von größeren Szenen wie diesen werde ich in Zukunft mehr machen. Aber einzelne Objekte finde ich besonders cool, weil es relativ kurze Projekte sind, circa eine Woche. Ich mag das Gefühl, etwas fertigzustellen und dann zur nächsten Herausforderung überzugehen. Große Projekte sind für mich auf Dauer anstrengend, gegen Ende muss ich mich da oft durchquälen. 

Was hat Dich dazu bewegt, Deine Arbeiten im öffentlichen Raum, anstatt in Museen und Galerien auszustellen? Ist das für Dich eine Art urbane Intervention oder geht es Dir um etwas anderes? Die Miniaturen haben als Hobby angefangen. Mein Ziel war nicht, Geld damit zu verdienen, sondern einfach Spaß zu haben. Damit andere Leute daran teilhaben können, habe ich mich für den direktesten Weg entschieden, um meine Arbeiten zu präsentieren: im öffentlichen Raum. Ich finde, das passt auch einfach gut, weil meine schmutzigen, mit Graffiti beschmierten Zigarettenautomaten wiederum an schmutzigen, Graffiti beschmierten Orten angebracht werden. Allerdings wurden meine Werke bis jetzt ziemlich schnell geklaut und ich komme nicht wirklich hinterher mit dem Neuanbringen. Deswegen habe ich mit dem Montieren vorerst eine Pause eingelegt. Auf der einen Seite ist es schön, dass die Leute sich die Arbeiten mitnehmen und sich irgendwo in die Wohnung hängen. Anderseits ist es natürlich auch schade, weil man will, dass so viele Menschen wie möglich die Miniaturen sehen können. Also ist das Klauen etwas demotivierend. Mittlerweile werde ich auch von der Galerie Töchter und Söhne in Reisholz vertreten.

Was erhoffst Du Dir für Reaktionen auf Deine Kunst? Ich sehe ja, wie die Leute in den sozialen Medien auf meine Miniaturen reagieren. Das Schöne ist, dass die Resonanz sehr positiv ist. Und da wären wir wieder bei Frage eins: Alle sagen, sie finden, was ich mache, supercool, können aber nicht genau erklären, warum. Vielleicht ist es wirklich dieses Niedlichkeitsschema, aber ich glaube, da steckt noch mehr dahinter. Wie dem auch sei, manchmal äußern meine Follower*innen sogar Wünsche und Vorschläge. Neulich hieß es: Mach doch mal eine alte Bushaltestelle! Ich kriege also jede Menge Inspiration, somit gehen mir die Ideen nicht aus. 

Hat Deine Beschäftigung als Miniaturist Deine Wahrnehmung in irgendeiner Weise verändert? Hat sich Dein Blick auf die Stadt gewandelt? Total. Zum Beispiel habe ich letztens eine triste Häuserfassade gebaut und da ist in der Ecke ein Gasschild. Wenn man mal auf Häuserwände achtet, sieht man immer diese blau-gelben Schilder mit irgendwelchen Zahlen. Jeder kennt sie, aber nimmt niemand sie so richtig wahr, das finde ich interessant. Sobald ich angefangen habe, aktiv auf die Schilder zu achten, habe ich plötzlich nur noch diese Schilder gesehen. Ein anderes Beispiel: Wenn ich mit meiner Frau spazieren gehe, freue ich mich immer über Güllefässer, die in der Natur stehen. Sie fragt mich dann meist, warum ich gerade dieses ranzige Gerät so toll finde. Und meine Antwort ist halt, dass es mich anspricht, dieses Wechselspiel zwischen Natur, Idylle und menschengemachten Nutzgegenständen. Der Kontrast und die Kombination aus dem Schönen und allgemein als Hässlich angesehenen empfinde ich als Ästhetik. 

Welche Orte in Düsseldorf inspirieren Dich? Gibt es bestimmte Stadtmomente, die bei Dir kreative Einfälle fördern? Meine direkte Umgebung in Friedrichstadt bietet mir viel Inspiration. Am besten gefallen mir die Zugbrücken, also diese U-Bahn-Brücken, die mit Graffiti vollgesprayt sind. Manchmal steht nahe den Gleisen noch ein Saxofon-Spieler und man hat irgendwie das Gefühl, in New York zu sein. Bahnhöfe und Haltestellen sind meine Lieblingsunorte, wenn man so will. Überall gibt es Ecken, wo man interessante Sachen sieht.  

Was hält ein Miniatur-Streetart-Künstler wie Du von Pop-Art-Künstlern wie Claes Oldenburg, dessen gigantischen Nachbildungen von Alltagsgegenständen so ziemlich das genaue Gegenteil Deiner Kunst sind? Finde ich klasse. Im Prinzip macht Claes Oldenburg wirklich das Gleiche, es geht eben darum, die Größe zu verändern, ob kleiner oder größer ist im Grunde egal. Skulpturen wie der riesige Federball von Oldenburg wirken natürlich noch mal ganz anders als Miniaturen, wo man ganz genau hinschauen muss. Also sind die Ansätze irgendwie ähnlich, aber doch anders. 

Ganz grob runtergebrochen, war die Message von Claes Oldenburg in meinen Augen, dass hinter jedem noch so banalen, scheinbar unauffälligen Gegenstand das Potenzial der Kunst steckt. Würdest Du das so unterschreiben? Ja, auf jeden Fall. Im Prinzip kann man da auch den Künstler Marcel Duchamp zu zitieren. Mit dem Readymade hat er genau das Gleiche gemacht: Einen einfachen Gegenstand, ein Pissoir, verziert mit Unterschrift, ins Museum gestellt. So ähnlich ist das bei mir auch. Ich nehme einen alltäglichen, oft superhässlichen Gegenstand und gebe ihm dadurch, dass ich ihn naturgetreu als Miniatur nachbaue, einen neuen Kontext und eine neue Sichtweise. Dadurch wird er dann irgendwie zu Kunst, das finde ich spannend. 

Meine letzte Frage an Dich ist: Gibt es irgendeinen Gegenstand, der sich überhaupt nicht für die Miniaturdimension eignet? Puh, gute Frage…Eigentlich kann man so ziemlich alles machen. Natürlich sind so kleinteilige, detaillierte Sachen schwieriger als die grobe Form, aber an und für sich sind der Miniatur keine Grenzen gesetzt. Ich kann im 3D-Programm ja wirklich alles darstellen, was ich mir irgendwie nur vorstellen kann. Das ist eine unfassbare Freiheit. 

Danke für das Gespräch, Richard! Wir sind ganz gespannt, welche Miniaturen wir in Zukunft von Dir erwarten können und halten in der Stadt weiterhin die Augen offen. 

Text: Merit Zimmermann
Fotos: Richard Rilinger
© THE DORF 2022

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