Der Name Sipgate ist kulturinteressierten Düsseldorfer:innen sicherlich schon das ein oder andere Mal begegnet – sei es beim Ehrenhof Open, New Fall Festival oder Lieblingsplatte Festival. Doch wer oder was steckt eigentlich dahinter? Die Telefoniegesellschaft Sipgate wurde 2004 in Düsseldorf gegründet. Sigurd Jaiser, Business Development Manager bei Sipgate, ist seit den Anfängen dabei. Er agiert als Schnittstelle zur Öffentlichkeit und liefert zugleich kreative Impulse für Veranstaltungen. THE DORF durfte die modernen Räumlichkeiten des Unternehmens mitten im Medienhafen zu besuchen, um mehr über die außergewöhnliche Arbeitsweise von Sipgate und die Ursprünge des Engagements für die Düsseldorfer Kulturszene zu erfahren. Im Interview verrät Sigurd Jaiser mehr über das Unternehmen und die Arbeitskultur seiner 250 Mitarbeiter:innen.
Wer oder was ist Sipgate? Was bietet Ihr an? Wir sind eine inhabergeführte Gesellschaft aus Düsseldorf. Genauer gesagt sind wir ein Düsseldorfer Telefonieunternehmen und bieten Telefonielösungen für Unternehmen an. Unser Angebot ist deutschlandweit erhältlich und darüber hinaus gibt es uns noch in England. Auch wenn Sipgate weltweit einsetzbar ist, braucht man für eine deutsche Rufnummer auch einen Sitz in Deutschland. Unser Produkt ist eine Cloud-Telefonanlage, also ein Softwareservice, auf den man über das Internet zugreifen kann. Dort werden die Endgeräte konfiguriert und eingehende sowie ausgehende Anrufe werden gemanagt. Die gesamte Telefonanlage hat ihren Sitz bei Sipgate. Dabei müssen sich beide Seiten des Calls nicht in demselben Netz befinden – über Sipgate kann in jedes Netz angerufen werden und umgekehrt. Wir nutzen außerdem GSM und bieten physische und eSIM-Karten an.
Sipgate gibt es nun seit 20 Jahren. Wie hat das Unternehmen für Internettelefonie begonnen und was hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verändert – sowohl im Bereich der Internettelefonie als auch bei Sipgate? Früher gab es ausschließlich Anschlüsse bei einem Nachfolger der Post, der Telekom. Diese hat zu Beginn der Telefonie und des Festnetzes die Leitungen bereitgestellt, an die Nutzer:innen gebunden waren. Ihre Rufnummern waren vom Wohnort abhängig. Wir bei Sipgate hatten die Idee, eine Alternative anzubieten: Wir haben Rufnummern und Anschlüsse verschenkt. Nutzer:innen, die diese nutzten, konnten untereinander kostenlos telefonieren und ihre Rufnummer unabhängig vom Wohn- oder Aufenthaltsort signalisieren. Angerufen zu werden, war kostenlos, während für ausgehende Anrufe ein Guthaben ausreichte. Bei den Tarifen orientierten wir uns an unseren Einkaufspreisen, um insbesondere Anrufe ins Ausland erschwinglich zu machen. Das waren die Anfänge von Sipgate – das Verschenken von über einer Million Anschlüssen und Rufnummern.
Von dort aus entwickelten wir weitere innovative Produkte, die unsere große Nutzerbasis ausprobieren konnte. Dabei war es uns wichtig, nichts nachzubauen, das es bereits gab. Heute gehen wir noch einen Schritt weiter und implementieren Schnittstellen zur künstlichen Intelligenz, um das Leben unserer Kund:innen zu erleichtern. Damit bieten wir nicht nur Telefonie, sondern verknüpfen diese stärker mit ergänzenden Services, die ein gutes Telefonieprodukt bereichern.
Wie unterscheidet sich das Arbeitsmodell von Sipgate im Vergleich zu anderen Unternehmen? Unser Ziel ist es, im Service die Besten zu sein – was auch immer das bedeuten mag. Wenn bei uns zum Beispiel die Hotline klingelt, möchten wir sofort abheben und die Anrufer:innen nicht in langen Warteschleifen hängen lassen. Auch E-Mails beantworten wir schnell – nicht nur, wenn jemand etwas bei uns kaufen möchte.
Ein entscheidender Unterschied bei Sipgate ist unser Arbeitsmodell: Wir arbeiten in crossfunktionalen Teams. Das bedeutet, dass alle Kompetenzen, die für ein Produkt notwendig sind, in einem Produktteam vereint sind. Dazu gehört auch die Kundenbetreuung, die bei Änderungen am Produkt informiert ist und somit bei Fragen kompetent beraten kann. Dadurch gelangt Kundenfeedback direkt zum Team, das das Produkt anpasst. Das vermeidet die typischen Abhängigkeiten und langen Kommunikationswege, die in Unternehmen mit klassischen Abteilungen auftreten. Wir verzichten auf starre Abteilungen und setzen auf ein leanes, agiles Arbeitsmodell, in dem Entscheidungen schnell und direkt getroffen werden.
Innerhalb der Teams ermutigen wir uns gegenseitig, Entscheidungen zu treffen, und unterstützen einander. Das bedeutet auch, Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen – ein Ansatz, den wir „Failure Culture“ nennen. Dabei geht es darum, durch viele kleine Experimente den richtigen Lösungsweg zu finden. „Failure Demand“ hingegen beschreibt konkrete Probleme, die wir auf diesem Weg gezielt angehen. Dieses Arbeitsmodell unterscheidet uns klar von anderen Unternehmen und ermöglicht es uns, flexibel und kundenorientiert zu arbeiten.
Wie sieht ein Arbeitstag bei Sipgate aus? Bei uns arbeiten 250 festangestellte Vollzeitkräfte. Hinzu kommen Auszubildende sowie Mitarbeitende, die in der Kinderbetreuung im Mini-Club tätig sind. An gut besuchten Tagen sind zwischen 100 und 120 Personen vor Ort. Wenn sie nicht im Büro sind, arbeiten sie im Homeoffice, im Urlaub, auf Fortbildung oder anderweitig beschäftigt. Wir verbringen mindestens zehn Prozent der Arbeitszeit im Büro – das entspricht im Durchschnitt zwei Tagen pro Monat. Einige kommen gerne und regelmäßig ins Büro, während andere lieber von zuhause aus arbeiten.
Ein typischer Arbeitstag beginnt häufig mit einem Daily Standup. Dabei wird besprochen, was am Vortag erreicht wurde, und die Aufgaben für den Tag werden geplant. Anschließend verabredet man sich zum gemeinsamen Arbeiten. Ein zentraler Bestandteil unserer Arbeitsweise ist das sogenannte Pairing. Hierbei arbeiten zwei Personen eng zusammen: Eine Person setzt die Aufgabe um, während die andere zusieht, Tipps gibt oder konstruktive Kritik äußert, bis die Rollen getauscht werden. Diese Methode, die besonders in der Softwareentwicklung Anwendung findet, reduziert Fehler, erhöht die Geschwindigkeit und fördert kontinuierliches Lernen. Wenn beide unsicher sind, können sie Experimente mit zwei Lösungsansätzen durchführen und anschließend bewerten, welcher Ansatz besser funktioniert.
Das Pairing-Prinzip wird bei uns nicht nur in der Entwicklung genutzt. Sogar unser Personalteam sichtet Bewerbungen im Tandem und entscheidet gemeinsam, wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Dadurch sparen wir viele unnötige Prozesse und arbeiten insgesamt effizienter. Die Idee des Pairings stammt von Richard Sheridan, Gründer der Firma Joy, Inc. Er hielt einen Vortrag bei uns, in dem er sein Buch und Konzept vorstellte. Generell haben wir viele innovative Ansätze aus dem Silicon Valley übernommen, die in Deutschland, besonders im Mittelstand oder Handwerk, oft noch unbekannt sind. Seit 2010 arbeiten wir bewusst lean und agil – auch wenn wir diese Arbeitsweise vorher bereits intuitiv genutzt haben, ohne sie so zu benennen.
Bei Euch gibt es keine Überstunden und flexible Arbeitszeiten für alle. Trotzdem wird bei Euch die Arbeitszeit mit einer Stempeluhr erfasst. Was sind die Vorteile dieser Herangehensweise? Kommt es auch zu Problemen bei dieser „Selbstkontrolle“ der Mitarbeiter:innen? „Trotzdem“ würde ich gar nicht sagen. Gerade weil die Arbeitszeit erfasst wird, gibt es bei uns keine Überstunden. Die Stempeluhr dient dazu, jede:n vor Überengagement zu schützen. Früher hatten wir Kolleg:innen, die einfach nicht nach Hause gehen wollten und kaum Urlaub genommen haben. Diese Problematik existiert jetzt nicht mehr. Die Frage, ob jemand viel mehr oder weniger arbeitet, stellt sich nicht, weil jede:r stempelt.
Ein weiterer Vorteil unseres Systems ist, dass niemand arbeiten muss, wenn er oder sie nicht eingestempelt ist. Wir sind nicht ständig und überall erreichbar, denn das würde einer Rufbereitschaft entsprechen, die anders vergütet wird. Wenn jemand während des Arbeitstages private Termine hat, kann diese Zeit später nachgeholt werden – einfach durch Aus- und Einstempeln. So entsteht ein Vertrauensverhältnis, das sicherstellt, dass niemand sich selbst ausbeutet oder zulasten anderer nicht arbeitet. Unser Ziel ist es, Probleme nicht durch mehr Arbeit zu lösen, sondern durch bessere Prozesse. Wenn 40 Stunden pro Woche nicht ausreichen, stellen wir uns die Frage, wie die Prozesse verbessert werden können.
Wir haben uns bewusst für die 40-Stunden-Woche entschieden, da mehr Arbeitszeit nicht automatisch bessere Ergebnisse bringt. Dieses Konzept ist keineswegs neu – schon Henry Ford und Robert Bosch erkannten diesen Zusammenhang. Es geht bei uns nicht um Kontrolle, sondern um gemeinsames Arbeiten in Teams, das die Suche nach Lösungen fördert.
Viele IT-Unternehmen sind männlich dominiert. Wie geht Ihr mit dem Thema Diversität um? Wir haben uns intensiv mit dem Thema Diversität auseinandergesetzt und erkannt, dass sie dem Unternehmen guttut. Diversität umfasst dabei nicht nur die Geschlechtszugehörigkeit, sondern auch Aspekte wie Ethnie, Sprache oder Alter. Wenn diese Faktoren vielfältig vertreten sind, entstehen bessere Ergebnisse: Man zeigt mehr Rücksicht und entwickelt ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Kund:innen.
Um Diskriminierung zu vermeiden und Diversität aktiv zu fördern, haben wir uns entschieden, in bestimmten Bereichen gezielt Stellen auszuschreiben. So haben wir beispielsweise Positionen speziell für weibliche Bewerberinnen angeboten. Wir sind überzeugt, dass Geschlechtszugehörigkeit zwar kein klassischer Skill ist, aber dennoch eine Kompetenz darstellt, die zu einer vielfältigeren und kompetenteren Unternehmenskultur beiträgt. Auch Stellenausschreibungen, die explizit nichtbinäre Personen ansprechen, haben sich bei uns als erfolgreich erwiesen.
Nicht nur Diversität hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, sondern auch Nachhaltigkeit. Wie umweltbewusst ist Sipgate? Nachhaltigkeit spielt bei uns eine wichtige Rolle, und das zeigt sich in vielen Bereichen. Unser Ziel ist es, den CO2-Ausstoß auf sinnvolle Weise zu reduzieren. Durch unsere eigene Küche können wir darauf direkt Einfluss nehmen und bevorzugen regionale Zutaten. Dabei legen wir Wert auf nachhaltige Landwirtschaft: Auch ohne Bio-Zertifikat beziehen wir Produkte von Höfen, die sinnvoll bewirtschaften oder eine Lieferung per Fahrrad ermöglichen. Zusätzlich betreiben wir einen eigenen Kräutergarten und halten Bienenvölker. Wir achten darauf, möglichst wenig Müll zu produzieren und fungieren als Sammelstelle für Internetbestellungen, um Lieferwege zu reduzieren.
Mit dem Jobticket können alle Mitarbeiter:innen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen – sogar am Wochenende. Unsere Solaranlage deckt während der Sommermonate unseren gesamten Strombedarf und auch darüber hinaus setzen wir ausschließlich auf Ökostrom. Wir haben eigene Ladesäulen und unsere Fahrzeugflotte, die auch privat genutzt werden kann, ist komplett elektrisch. Für Fahrräder gibt es bei uns eine eigene Garage. Ein weiterer Aspekt unserer Nachhaltigkeit ist unser Standort. Seit Jahren sind wir am selben Ort im Medienhafen, was viele Kolleg:innen dazu motiviert hat, in der Nähe zu wohnen und mit dem Fahrrad ins Büro zu kommen. Ein Umzug wäre aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll, da er unnötigen Aufwand und neue Wege bedeuten würde. So bleiben wir nachhaltig – für die Umwelt und unsere Kolleg:innen.
Beim Thema Internettelefonie denkt man natürlich sofort ans Programmieren, an Computer und IT. Im Düsseldorfer Stadtbild ist uns allerdings in den letzten Jahren immer wieder die Präsenz von Sipgate aufgefallen, etwa bei Veranstaltungen wie dem Lieblingsplatte Festival oder dem New Fall Festival. Wie sieht Euer Support für die Düsseldorfer Kulturszene aus? Wenn wir Veranstaltungen unterstützen, mischen wir uns nie in deren Inhalte ein. Wir prüfen anhand unserer Kriterien, ob das Event zu uns passt, und tauschen unseren finanziellen Support gegen Marketingleistungen. Viele unserer Mitarbeiter:innen besuchen diese Veranstaltungen selbst als Gäste. Vor Ort tragen wir zusätzlich zur Sichtbarkeit bei – sei es durch das Verschenken von Goodies, Plakate oder die Unterstützung auf unseren Social-Media-Kanälen, damit das Event noch mehr Reichweite erhält.
IT und Kultur – wie passen diese vermeintlichen Gegensätze zusammen, und woher kommt das Engagement für den Kulturbereich Unser Engagement für Kultur hat seinen Ursprung in der Entscheidung, als Unternehmen in Düsseldorf zu bleiben. Im Laufe der Zeit sind wir auf viele Veranstaltungen gestoßen, die uns begeistert haben. Damit diese weiterhin stattfinden konnten und unsere Stadt lebendig und attraktiv bleibt, haben wir begonnen, sie zu unterstützen. Anfangs war unser Support breit gefächert – wir förderten, was wir spannend fanden, oder arbeiteten mit Veranstalter:innen zusammen, die wir kannten oder die auf uns zukamen. Später haben wir uns gefragt, wie wir die Menschen auch zu uns bringen können. Sipgate war damals kaum bekannt, weshalb wir Events direkt an unserem Standort organisiert haben, wie zum Beispiel Pre-Concerts vor gesponserten Festivals. Diese Veranstaltungen ermöglichten uns den Austausch mit neuen Menschen und waren ein Gewinn für uns, die Veranstalter:innen und die Stadt.
Ein weiterer Aspekt unseres kulturellen Engagements ist die Kunst, die bei Sipgate eine lange Tradition hat. Schon immer hingen Kunstwerke an unseren Wänden. Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass alles besser wird, wenn man Expertise hinzuzieht. Deshalb haben wir einen eigenen Kurator, der gleichzeitig bildender Künstler ist. Er hat von jeder:m Mitarbeiter:in ein Porträt gezeichnet, unsere Sammlung katalogisiert und zusammen mit den Firmengründern entschieden, wie die Kunst bei Sipgate weiterentwickelt werden soll. Unser Kurator denkt nicht nur über die auszustellenden Medienformen und ihren Bezug zu Düsseldorf nach, sondern achtet auch auf die Diversität der Künstler:innen. Außerdem betreut er unseren Ausstellungsraum „Sipgate Shows“, in dem alle vier Monate eine neue Ausstellung kuratiert wird. Dabei orientiert er sich thematisch an unserem bestehenden Bestand und setzt frische Akzente.
Wie wählt Ihr die Veranstaltungen aus, die Ihr supportet? Wenn man’s genau nimmt, liegt unser Fokus vor allem auf Musik. Uns ist wichtig, welche Events die Menschen, die bei uns arbeiten, selbst besuchen. Dadurch können wir auch besser einschätzen, was potenzielle neue Kolleg:innen spannend finden könnten. Allgemeiner gesagt: Wir unterstützen Veranstaltungen, die breite Teile unserer Belegschaft begeistern. Natürlich haben wir auch klare Ausschlusskriterien. Wir würden keine Events unterstützen, die in irgendeiner Weise diskriminierend sind. Glücklicherweise treten solche Anfragen bei uns aber so gut wie nie auf.
Was fehlt Eurer Meinung nach noch in der Düsseldorfer Kulturszene? Was bringt die Zukunft für Sipgate, und welche neuen Projekte plant Ihr zur Unterstützung des Kulturbereichs? Wir hören vor allem auf das, was andere aus der Kulturszene berichten. Viele Menschen erzählen uns, dass es in Düsseldorf schwierig ist, Ateliers oder Proberäume anzumieten und langfristig zu behalten. Es mangelt an Räumlichkeiten, die gleichzeitig inspirierend und bezahlbar sind. Der starke Zuzug nach Düsseldorf macht nicht nur Wohnraum knapp, sondern erschwert auch die Suche nach geeigneten Gewerbeflächen für Kunstschaffende. Leider verschwinden immer mehr Räume, die für die Kulturszene essenziell sind. Während es viele spannende Ausstellungsräume gibt, fehlen häufig Orte, an denen Kunst und Kultur entstehen können. Neue Projekte oder Events planen wir aktuell nicht, bleiben aber offen für zukünftige Ideen. Wir interessieren uns besonders für Veranstaltungen, die von anderen organisiert werden, weil wir dort auf neue Menschen treffen und uns austauschen können.
Vielen Dank!
(c) THE DORF, 2024
Text & Interview: Antonia Lauterborn
Bilder: Lars Dargel