In digitalen Untiefen von Düsseldorf lässt eine Kreativagentur die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen: grotesk.group. Das Kollektiv aus Künstlern und Codern verbindet künstliche Intelligenz mit visueller Kunst zu aufregenden audiovisuellen Erlebnissen. Von dystopischen Musikvideos bis hin zu datengetriebenen Installationen – ihre Werke sind gleichermaßen faszinierend wie verstörend. In Videos und Visuals für Modebrands wie Iris van Herpen und Ottolinger, Marken wie BMW und Mercedes und Musiker wie RIN, Bilderbuch oder Oddworld schafft grotesk.group mit Hilfe von Daten und Algorithmen visionäres Artwork mit Störfaktor. Wir trafen Harald Schaack, einen der Köpfe hinter grotesk.group, zum Gespräch über Trotzreaktionen, generative Tools und die Zukunft KI-gestützter Kreativität.
Eure Agentur hat sich durch innovative Projekte und die Integration von KI einen Namen gemacht. Was war die Initialzündung für die Gründung der grotesk.group? Harald Schaack: Wir sehen uns als eine Art Trotzreaktion. Die grotesk.group ist zu einer Zeit entstanden in der wir – Nelly Selcho, Denis Sokolowski, Tim Hunkemöller und ich – alle im selben Moment unsere typischen Arbeitsprozesse brechen und was Neues wagen wollte. Wir wollten uns ausleben und so wenig Regeln wie nur möglich folgen und hatten keine Lust mehr uns vor den Regeln der Industrie zu beugen. Wir waren trotzig und wollten rebellieren – und das machen wir mittlerweile seit drei Jahren.
In welchen Bereichen seid ihr tätig? Mit wem habt ihr schon zusammengearbeitet? In vielen und am liebsten allen. Wir sind vernarrt darin, Wege zu finden unsere Prozesse und Techniken auf die verschiedensten Bereiche zu adaptieren und arbeiten deswegen so breit gefächert, wie nur möglich. Im Moment verbringen wir viel Zeit in den Bereichen der Installationen und visuellen Perfomances, machen aber auch viele Musikvideos.
Eure Arbeit für Bands und Marken hebt sich durch eine besondere ästhetische und inhaltliche Tiefe ab. Was macht für euch den Reiz aus, gerade in diesen Bereichen tätig zu sein, und wie bringt ihr eure eigene künstlerische Handschrift ein? Musikvideos sind in unseren Augen wieder on the rise. Nachdem uns der Konsum von endless-social-media-streams in Sachen Aufmerksamkeitsspanne zunichte gemacht hat, entwickelt sich das Musikvideo zu einer Kunstform, die man aufwendig und mit Ideen ausarbeiten kann. Ähnliche Entwicklungen sehen wir auch in der Zusammenarbeit mit Marken – die Kunst rückt immer prominenter in das Rampenlicht der ganzheitlichen Arbeit und Kollektive wie wir können ihre Handschrift komplett einbringen.
Wie geht ihr den Prozess an, KI und Daten in eure Designs, Visuals und Projekte einzubinden? Wir arbeiten gerne lokal auf unserem eigenen System und verlassen uns nicht auf externe Services. Das bedeutet, dass wir großen Wert darauf legen, unsere eigenen Datensätze für bestimmte Projekte anzutrainieren und somit Abhängigkeit zu möglichen Drittanbietern von Services kappen können. Wir werden open source closed source immer vorziehen und sind große Verfechter von communitygetriebenen Systemen und versuchen dadurch immer ein offenes Auge auf die Entwicklung von Machinelearning zu haben – und so herauszufinden, welche Technik uns auf der einen Seite momentan interessiert, aber vielleicht auch zu der Thematik des Projektes passen kann.
Entstehen eure Projekte aus einem datengetriebenen Ansatz durch die Analyse von Zielgruppen und Trends, oder lasst ihr euch zuerst von kreativen Ideen leiten, bevor die Daten ins Spiel kommen? Gute Frage, mit einer zweigleisigen Antwort. Natürlich gibt es oft Projekte, bei denen die Idee zuerst kam und wir Techniken finden, die sich damit kombinieren lassen. Oft ist es aber auch so, dass wir von Entwicklungen in den Bereichen von generativen Tools, Machinelearning oder datengetriebener Überwachung erfahren, und im Dialog versuchen, Wege zu finden, wie man sie (zweck-)entfremden und mit Ideen verknüpfen kann. Letzteres ist unser Weg, die Tools, die wir lieben, mit einem sehr kritischen Auge zu betrachten – das ist etwas, das in unseren aktuellen Zeit sehr wichtig ist.
Inwiefern unterscheidet sich die kreative Atmosphäre Düsseldorfs von anderen Städten, in denen ihr vielleicht tätig seid? Die kreative Atmosphäre in Düsseldorf strahlt Ruhe aus. Das liegt an ihrer Größe, aber auch an ihrer Geschichte. Das ist schön, denn in Städten wie Berlin schwingt eine Geschwindigkeit mit, die oft in ‘fomo’ oder Stress münden kann. Das ist schön, denn hier lässt sich gut basteln.
Viele sehen KI als Bedrohung für kreative Berufe, aber ihr nutzt sie als Werkzeug zur Erweiterung eurer Möglichkeiten. Wie seht ihr das Zusammenspiel von menschlicher Kreativität und maschinellem Lernen? Das Zusammenspiel sehen wir in erster Linie als – zumindest momentan – unumgänglich. Die Techniken und Tools werden uns noch eine Zeit begleiten, und gerade deswegen führt in unseren Augen kein Weg daran vorbei, seinen persönlichen Umgang mit diesen neuen Möglichkeiten zu finden. Das Zusammenspiel sollte ein Kritisches sein, denn das maschinelle Lernen birgt wahnsinnige Möglichkeiten, aber es sollte in jedem Falle nicht unreflektiert stattfinden. Der kreative Dialog insgesamt ist ein bisher für unmöglich gehaltener.
Kannst du uns ein Beispiel für aktuelle Projekt geben? Wir haben momentan zwei Projekte, die in den nächsten Tagen zu Ende gehen werden, und die, wenn man sie zusammen betrachtet, ganz gut die Spannweite der grotesk.group darstellen. Auf der einen Seite finalisieren wir gerade ‘DUSfighter’, eine interaktive Arbeit in Form eines Computerspiels, das an ‘Street Fighter II’ erinnert, im NRW-Forum gezeigt wird und eine Hommage an unsere Liebe zu Games und dem Modifizieren von Daten ist. Man spielt darin vor bekannten Stellen in ganz Düsseldorf. Auf der anderen Seite erarbeiten wir gerade Visuals für eine internationale Brand für den Berlin Marathon. Wir extrahieren messbare Daten aus dem Marathon, wie zum Beispiel die Strecke, und visualisieren sie auf abstrakte Art und Weise auf den Screens im Store.
Wer oder was inspiriert euch? Ganz klar: das Internet. Wir sind alle Kinder des Internets und wurden von ihm erzogen, geprägt und gebettet. Der soziale Impact dieses Netzwerkes mit allen seinen Vor- und Nachteilen, Höhen und Abgründen und Nährboden für subkulturelle Entwicklungen – all das ist, was uns formt und inspiriert. Die Meme-Kultur, die besorgniserregende Entwicklung von Datensammlung und Analysen, die zig Techniken und Tools, die jeden Tag geboren werden, sind für uns ein unendlicher Spielplatz für Ideen.
Welche Herausforderungen siehst du in der Verwendung von KI in der kreativen Arbeit, besonders in Bezug auf ethische Fragen und die Authentizität der produzierten Inhalte? Eine klare Herausforderung – und das ist auch unser Appell – ist das Finden seiner eigenen Handschrift in einer Zeit in der sich alles mit wenigen Worten prompten und generieren lässt. Wir laufen Gefahr, in eine faule Zeit des kreativen Schaffens zu geraten und heute gilt –vielleicht mehr denn je –, den aufwendigen und mühseligen Prozess der künstlerischen Kreation auf sich zu nehmen und für sich Herauszufinden, wie man denkt und sich darstellen möchte. Rebellion in der Kunst war noch nie so wichtig wie jetzt.
Dein Traumprojekt? Ich glaube, ich spreche für die komplette Group wenn ich sage, dass eine multimediale, reaktive Installation ganz oben auf unserer Wishlist steht. Begehbar, alle Sinne einnehmend und auf das Publikum reagierend – definitiv ein Traumprojekt.
Für wen würdest du gerne ein Visual oder Video realisieren? Björk und Rosalia stehen momentan recht weit oben auf unserer Bucketlist! Wir glauben, dass sich da viele Möglichkeiten für einen kreativen Dialog ergeben könnten. Das Thema ist eigentlich schon durch, aber wir waren sowohl für Kanye West als auch Travis Scott im Gespräch – aber die Projekte wurden last minute gekippt. So polarisierend und kritisch die beiden auch sind, eigentlich wäre es auch spannend, mit ihnen zu arbeiten.
Gibt es bestimmte Aspekte der Stadt, die eure Kreativität besonders anregen oder beeinflussen? So sehr wir Düsseldorf lieben, so ehrlich darf man auch sagen: Die Stadt trägt oft ein sehr teures, weißes Kleid. Und dieses Kleid – Düsseldorfs Hang zur leichten Dekadenz – der regt die Trotzreaktion ‘grotesk.group’ an. Gerade deswegen und gerade hier möchte man Regeln brechen und nicht verstanden werden, kaputt machen anstatt zu polieren.
Wenn ihr Düsseldorf als KI-generiertes Kunstwerk realisieren würdet, welche Elemente würdet ihr hinzufügen, um die kreative Essenz der Stadt zu erfassen? Diamant-bestückte Aldi-Tüten. So zu finden auch in unserem DUSfighter Spiel. 🙂
What’s next? Als grotesk.group haben wir vor kurzem den ‘talkative’ ins Leben gerufen. Eine bunt gemischte Runde von Gästen aus den verschiedensten Bereichen kommt zusammen und diskutiert mit uns über KI-Thesen, die wir aufstellen. An diesem Abend geht es uns darum, so viele Meinungen wie nur möglich an einen Tisch zu bekommen und uns über Ideen, Sorgen und Gedanken im Bereich der Entwicklung zu KI auszutauschen. Der erste talkative war ein voller Erfolg – diese Abende wollen wir bald wiederholen.
Wo trifft man dich ansonsten in Düsseldorf? Meistens wahrscheinlich vor dem Rechner, aber wenn nicht dort, dann überall. ☺
Danke!
Weitere Informationen findet Ihr auf www.grotesk.group
© THE DORF, 2024
Interview: Karolina Landowski
Fotos: grotesk.group