ZU TISCH MIT POLA SIEVERDING

Foto: Orson Sieverding

Name: Pola Sieverding
Beruf: Künstlerin

Pola Sieverdings Arbeiten zeigen die Intimität und Individualität von Körpern, ihr Potenzial, ihre Kraft, ihre Geschichte. Die in Düsseldorf geborene Künstlerin betrachtet den menschlichen Körper als Träger historischer Narrative, die den zeitgenössischen Diskurs über den sozialen Körper prägen, oft untersucht sie dabei Geschlechterrollen und Machtstrukturen. Ihre fesselnden Fotografien, Videos und Sounds lassen die Betrachter*innen in intensive, oft intime Welten eintauchen. Pola lebt und arbeitet in Berlin, doch Düsseldorf bleibt ein zentraler Bezugspunkt in ihrem Schaffen – etwa als Kuratorin und Mit-Initiatorin der Biennale düsseldorf photo+, die Düsseldorf als wichtigen Standort für zeitgenössische Fotografie etabliert hat.

Was fasziniert dich am menschlichen Körper? Grundsätzlich fasziniert es mich, zu betrachten, wie mit dem Körper kommuniziert wird. Wie wir uns innerhalb von Gemeinschaften, innerhalb von Interessensgruppen, vor uns selbst und gegenüber der Welt über unseren Körper ausdrücken und positionieren. Mich interessiert es, wie Körper zu Bildern werden und wie sich in diese Körper Geschichte, Gesellschaft, Politik und Begehren einschreiben. Außerdem verstärkt sich mein Bedürfnis, mich mit dem Körper zu beschäftigen, den physischen und sinnlichen Körper ins Zentrum meiner Arbeit zu stellen mit der zunehmenden Entkörperlichung durch die Digitalisierung und des virtuell Werdens unserer menschlichen Interaktionen.

Du begreifst die Fotografie als eine Art zu denken. Wie sieht dein künstlerischer Prozess aus? Sehr oft ist der Ausgangspunkt, um mich einem Thema zu nähern, die Literatur. Sowohl fiktive als auch wissenschaftliche, theoretische oder dokumentarische, poetische oder lexikalische Texte inspirieren mich. Was Literatur ermöglicht, ist eine Art Zwiegespräch mit diesen Texten. wodurch man sich einen Zugang zur Welt erarbeitet und zu eigenen Perspektiven gelangt, durch das Zurückgreifen auf Erfahrungen und Blickwinkel, die man selbst nicht alle erleben kann. Das Spannende an der Fotografie ist, dass sie nie ohne Weltbezug ist, dass sie gleichzeitig aber alles andere als ein neutrales oder indexikalisches Abbild ist. Vielmehr sind es Perspektiven auf die Welt, die uns dazu anregen, über unseren eigenen Blick zu reflektieren, unser Sehen nicht als rein physikalischen Akt des Reizempfangs zu begreifen, sondern als einen Vorgang, der durch unsere eigenen Interessen, durch die Geschichte(n), mit denen wir groß geworden sind, die Vorstellungen, die wir von der Welt haben, das Bild erst abschließend gestaltet. Es gibt eine antike Sehtheorie, die Sehstrahltheorie, die davon ausging, dass wir durch unsere Augen Licht auf die Welt werfen, wo immer wir hinblicken, dass also etwas vom Auge und vom Blick ausgeht, das die Welt gleichsam berührt und erst zum Vorschein bringt. Ich kann damit sehr viel anfangen und finde, dass das ein sehr produktives Bild ist, um mit und über die Fotografie zu denken.

Du bist als Tochter der Medienkünstler Katharina Sieverding und Klaus Mettig in Düsseldorf geboren. Deine ersten Erinnerungen an die Fotografie? Meine Eltern haben auf einer Etage eines Fabrikgebäudes in einem Studioloft gewohnt, das aus einem großen Raum bestand, in dem Studio, Schlafzimmer, Küche, Dunkelkammer und Badezimmer mehr oder weniger ineinander übergingen. Dort wurde ich geboren. Man könnte also sagen, dass ich in der Dunkelkammer das „Licht der Welt“ erblickt habe. Fotografie ist immer integraler Bestandteil meines Lebens gewesen.

Du wolltest erst Schauspielerin werden. Wie kamst du am Ende doch zur Kunst und zur Fotografie? Ich würde es als eine Art Sichelbewegung beschreiben, von vor der Kamera zu hinter der Kamera, wobei das Grundinteresse gleichbleibend dem Körper-Bild, dem Performativen und einer gewissen dramatischen Zuspitzung gilt. Es dauerte aber, bis ich die richtige Perspektive gefunden habe, die nicht der Blick auf meinen Körper, der performt, war, sondern mein Blick auf performende Körper. Fast zwanzig Jahre später wurde es dann für kurze Zeit eine Kreisbewegung und ich bin vor kurzem für einen gemeinsamen Film mit Marc Comes wieder auf die andere Seite und somit als Darstellerin vor die Kamera gewechselt. Das war eine interessante und gute Erfahrung auch um sozusagen am eigenen Leib zu überprüfen, was das eigene Verständnis vom Verhältnis und Vertrauen zwischen Fotografierender und Fotografierter, zwischen Modell und Kamerablick angeht.

Deine Arbeit bringt dich oft nach Düsseldorf. Hast Du bestimmte Orte, die du hier immer wieder aufsuchst? Ich gehe gerne an den Rhein, mit ihm strömt immer etwas von der Welt in die Stadt und das Fließen des Wassers relativiert die persönliche Perspektive, indem sie sie in den großen Zusammenhang der Elemente bringt. Aber auch in die Sammlung von Julia Stoschek gehe regelmäßig, weil es kaum ein Museum gibt, in dem Medienkunst so exzellent präsentiert wird wie dort. Und der Salon des Amateurs ist eben mehr als ein Club, er ist in den besten Nächten ein Ort, an dem sich seit 20 Jahren Kunst und Nachtleben vereinen, der damit eine Geschichte fortschreibt, die mit Orten wie dem Creamcheese oder dem Ratinger Hof begonnen wurde und wo ich fast sicher jemanden treffe, den ich gerne sehe, ohne mich aber vorher verabredet zu haben.

Du bist, neben Ljiljana Radlovic und Rupert Pfab, Mitbegründerin und Kuratorin der Biennale for Visual and Sonic Media düsseldorf photo+. Welche Idee verfolgt die Biennale? Düsseldorf und das Rheinland können auf eine lange Geschichte der Verschränkung von bildender Kunst und fotografischen Medien zurückblicken – von Performance und ihrer Manifestation in der Dokumentation, technischen Entwicklungen und sie analysierender Diskurse, oder auch zeitbasierten Medien und ihrer Rückbindung an gesellschaftliche Fragen. Stellvertretend seien hier Nam June Paik, Ute Klophaus und Joseph Beuys, die Filmgruppe Düsseldorf oder ANT!FOTO, Nan Hoover oder Dominique Gonzales-Foerster genannt. An diese reiche Geschichte wollen wir einerseits anknüpfen und gleichzeitig alle zwei Jahre neue Impulse setzen und Fragen stellen zum Verhältnis fotografischer Bilder und ganz generell technischer Medien, mit denen wir uns heutzutage ein „Bild“ der Welt machen und dem, wie sie diese „Welt“ maßgeblich mitgestalten. 

Dieses Jahr ging es bei düsseldorf photo+ unter dem Titel ’On Reality‘ um das Verhältnis von visuellen Medien zur Realität – gerade hinsichtlich von KI und Deepfakes ein aktuell wichtiges Thema. Welche Positionen haben dich dabei besonders bewegt? Die Fotografie ist nicht ohne ihr Verhältnis zur Wirklichkeit zu denken, sie ist das Medium, dem mehr als jedem anderen Medium ein Bezug zu dem, was wir Realität nennen, eingeschrieben ist. Dass der Begriff der Realität nicht so eindeutig ist, wie seine Aura suggeriert, ist eine Debatte, die nicht erst mit dem Aufkommen der Fotografie geführt wird und die darauf abzielt, einen tradierten Wirklichkeitsbegriff, der auf Zweiteilung basiert, durch eine als Medienrealität wahrgenommene Wirklichkeit zu ersetzen. Es gilt unseren Glauben an die indexikalische Beweiskraft des fotografischen Bildes herauszufordern, was ja durch KI-generierte Bilder und Deepfakes nun uns allen ganz klar vor Augen geführt wird. Wir werden von Bildern beherrscht, und die einzige Möglichkeit, uns aus diesem Regime zu befreien, besteht darin, zu Agenten zu werden, die in der Lage sind, diese Bilder zu hinterfragen. Das ist ein Impuls, der von den dennoch ganz unterschiedlichen Positionen, die bei dem international besetzten Symposium, das wir zum Eröffnungswochenende im K21 veranstaltet haben, ausging. Und der sich auch in vielen der rund 50 Ausstellungen auf die eine oder andere Weise finden ließ, wo es darum ging, die Macht der Bilder, die Erfahrung von Wirklichkeit, das fiktionale Potential von Massenmedien und technisch erzeugten Bildern auszuloten. Ich habe aus den vielen Ansätzen und Vorschlägen eins ganz klar herausgezogen: hinter jeder künstlichen Intelligenz steckt eine menschliche Agenda und das eröffnet uns allen viele Möglichkeiten, uns mit den aktuellen Herausforderungen zu beschäftigen und Verantwortung suchen und übernehmen zu können.

In Zeiten, in denen wir in einer Bilderflut versinken, wir zehntausende Bilder auf dem iPhone haben… wie hat sich aus einem Blickwinkel die Bedeutung von Fotografie verändert? Wenn es um eine Art Exklusivität geht, hat die Fotografie diese lange nicht mehr, aber wenn es darum geht, welche Bedeutung ich der Auseinandersetzung damit beimesse, wie fotografische Bilder unser Wirklichkeitsverständnis nicht nur beeinflussen, sondern geradezu bedingen und was der Unterschied zwischen Fotografie und z.B. Fotorealismus (von beispielsweise promptinduzierten Bildern) bedeutet, könnte die Bedeutung „der“ Fotografie heute kaum größer sein. Das Bild ist scheinbar zum wichtigsten Kommunikationsmittel und wir alle zu Fotografinnen geworden und es werden heute mehr Bilder produziert, geteilt und gesehen als je zuvor in der Geschichte. Gleichzeitig verschwimmt die Unterscheidung zwischen capture und creation, zwischen Aufnahme und Erstellung immer mehr und unser Glaube an die indexikalische Beweiskraft des fotografischen Bildes ist zu Recht erschüttert, es gilt neu Sehen, Bilder lesen und decodieren zu lernen.

Hast du besondere Kindheitserinnerungen an die Düsseldorfer Kunstszene, an bestimmte Orte oder Momente? Gerne erinnere ich mich an die rauschenden und großzügigen Feste von Carmen und Imi Knoebel, bei der die Kunstszene mit der Musikszene aufeinandertraf, getanzt, gestritten und gelacht wurde. Gerade eben gab es wieder so ein Fest, dieses Mal ausgetragen von 3 Generationen, ein Familienfest im besten Sinne.

Aber es gibt viele große und kleine Momente, an die ich mich weiter erinnern könnte, die vielleicht alle vereint, dass Arbeit und Freizeit, Kunst und Leben nie voneinander getrennt stattfanden, sondern alles in Verbindung steht. 

Mit welchen Themen beschäftigst du dich aktuell in deiner künstlerischen Arbeit? Im Rahmen meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich derzeit mit der Sexualität von Pflanzen und finde interessante Ansätze in unterschiedlichen Perspektiven queerer Pflanzenphilosophie. Es geht darum, das tierische Modell der Sexualität, also das binäre Modell von männlich und weiblich, nicht weiter unhinterfragt auch auf Pflanzen, die in überragender Mehrheit mehrgeschlechtlich sind, anzuwenden. Neben dem, dass ich es spannend finde, davon ausgehend über unsere Körperbilder, über das Verhältnis von sozialem, kulturellem und biologischem Geschlecht nachzudenken, glaube ich, dass die Beschäftigung mit Pflanzen, ihren Gemeinschaftsformen und Interdependenzen untereinander und mit anderen menschlichen wie nichtmenschlichen Lebewesen, einem sehr viel vermitteln kann, um eine zeitgemäße planetarische Perspektive zu entwickeln.

An welchen Projekten arbeitest du gerade? Nachdem ich mich viel mit dem Tastsinn, seiner sozialen und ganz existenziellen Bedeutung für uns auseinandergesetzt habe – das Spüren des „Anderen“, eines anderen Körpers ist ein Grundbedürfnis– beschäftige ich mich nun mit dem Geruchsinn und dem Hörsinn, was meine Arbeit mit Körpern auf interessante Weise erweitert, vertieft und um neue Medien und Rezeptionsebenen bereichert. Sinnlichkeit war immer sehr wichtig in meiner Kunst. Nun entwickele ich Arbeiten, die ganz explizit die einzelnen Sinnesorgane ansprechen. Mit dem Parfümeur Ted Rohn von Rear Scents, einem Parfum Atelier, das ausschließlich mit botanischen Düften aus nachhaltigen Rohstoffen arbeitet, habe ich eine Duftedition für meine nächste Ausstellung entwickelt. Geruch ist der älteste der Sinne, der bereits bei den ersten Lebewesen zu finden ist. Lange bevor die Evolution aus dem Wasser ans Land ging. Und der ganz direkt mit unserer Erinnerung verknüpft ist. Geruch ist grenzüberschreitend und im wahrsten Sinne immersiv, er geht in uns hinein und durch uns hindurch, ist absolut flüchtig und dennoch in der Wahrnehmung unweigerlich körperlich. Ich bin gespannt, wie diese Sensibilisierung den Blick auf meine Bilder beeinflussen wird. Zum anderen arbeite ich an einer Schallplatte, die auf dem Label Flipping the Coin Records veröffentlicht wird, das akustisches Material von bildenden Künstlerinnen als Dubplate-Editionen publiziert.

Vielen Dank!

Das Interview erschien im neuen THE DORF THE MAG No. 8 – das Magazin könnt Ihr hier auf shop.thedorf.de bestellen.

Text: Karolina Landowski
Fotos: siehe Bildbeschreibungen
© THE DORF 2024



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