“Theater der Welt” zu Gast in Düsseldorf

Archipel © Martin Rottenkolber
Archipel © Martin Rottenkolber

Jubiläen soll man feiern – und das zünftig: So zumindest hat es den Anschein in Düsseldorf, denn mit dem Festprogramm zum 50-jährigen Bestehen des Schauspielhauses ist noch lange nicht Schluss. Was letztes Jahr aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden musste, findet nun vom 17. Juni bis 4. Juli 2021 an den verschiedensten Standorten der Stadt und zusätzlich digital statt. Das Renommierfestival „Theater der Welt“ gastiert in Düsseldorf und 350 Künstler*innen von fünf Kontinenten und insgesamt 17 Ländern werden Kulturbegeisterten einen Einblick in ihr kreatives Schaffen geben. Von der Literaturbearbeitung über zeitgenössisches Stück bis hin zu Filmvorführungen und Performancedarbietungen im öffentlichen Raum: Das vielfältige und spannende Programm von Theater der Welt lässt die Herzen von Kulturliebhaber*innen höher schlagen – die Vorfreude ist groß!

1981 vom deutschen Zentrum des Internationalen Theaterinstituts gegründet, gastiert “Theater der Welt” im Drei-Jahres-Turnus in einer anderen deutschen Stadt. Zum Jubiläumsjahr 2020 wollte das angesehene Theater- und Performancefestival erstmals in Düsseldorf haltmachen, wurde jedoch Pandemie-bedingt auf dieses Jahr verschoben und gastiert nun tatsächlich in Düsseldorf!  Schon seit Monaten laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, denn Programmdirektor Stefan Schmidtke hat in 18 Festivaltagen Großes vor: Zusammen mit den Akteur*innen sollen Zuschauer*innen auf “eine Reise durch die Welt und durch höchst unterschiedliche Theaterformen” gehen. Um dies zu ermöglichen, besuchte er rund 400 verschiedene Vorstellungen rund um den Globus. Seine Erkenntnis daraus: Trotz geographischer Entfernung sind wir gedanklich sehr nah aneinander. Deswegen ist es ihm wichtig, “nicht einfach nur wegweisende neue Leistungen und Entwicklungen im Theater zu präsentieren, sondern auch gemeinsam Themen zu diskutieren, die uns verbinden”.

Theater der Welt soll soziale, kulturelle und politische Impulse geben. Aber wirft man zu viele Steine gleichzeitig ins Wasser, kann keiner mehr seine Kreise ziehen. Deshalb hat Stefan Schmidtke alle Programmpunkte von Grund auf so konzipiert, dass sie “nicht nur einen diskursiven, sondern auch einen stark metaphysischen Wert haben”. Ausgangspunkt seiner kuratorischen Überlegungen ist die Stadt Düsseldorf, deren Geschichte und aktuellen Gegebenheiten. Zum Lokalkolorit gehören zum Beispiel die elektronische Musik und Kunst im öffentlichen Raum – das ist klar. Weniger verbreitet ist unter anderem das Wissen um die zur Kolonialzeit beliebten Völkerschauen, die Zuschauer*innen einen vermeintlich authentischen Einblick in das Leben sogenannter “exotischer Völker” präsentierten. 

Es geht ihm darum, im 21. Jahrhundert klar zu machen, dass es einzig für uns Unbekanntes gibt: “Alle Menschen sind im Grunde gleich, sie leben aber unter unterschiedlichen Bedingungen, dennoch zusammen in einer Welt”. Pandemiebedingt sehnen sich die Menschen ein Jahr später nach dem Anderen, dem ihnen Unbekannten und nach Begegnungen. Und genau das soll das „Theater der Welt“ sein ein Ort der Begegnungen, ein Fest der Begegnungen. Denn nicht nur politisch, sondern auch aufgrund eines Virus, entgleiten entgrenzende Perspektiven, von Kontinental- bis hin zu Stadtgrenzen. Theater der Welt 2021 möchte sich davon nicht beirren lassen und soll zeigen, wozu der Mensch mit seinen Träumen und Utopien in der Lage ist. Weitere Programmschwerpunkte bilden aktuelle Themen unserer globalen Gesellschaft wie zum Beispiel Geschlechtergerechtigkeit, Migration und Umwelt.

Erstmals in der Geschichte von “Theater der Welt” wird es auch ein Programm für junges Publikum geben. Das sei “eine höhere professionelle Weiheprüfung”, erzählt Stefan Schmidtke. Denn Kinder- und Jugendtheater verfügen über eine andere institutionelle Struktur und werden in vielen europäischen Ländern eher als Sozialprojekt statt als künstlerisch zu fördernde Größe wahrgenommen. Im Hinblick auf die Förderung von Nachwuchstalenten ist Düsseldorf ein leuchtendes Vorbild und auch das Junge Programm von “Theater der Welt” lässt nichts zu wünschen übrig: Neben sieben Theaterarbeiten wie “Die Geschichte von der Geschichte” in der Regie von Jetse Batelaan gibt es ein Modellprojekt im Bereich Bildung und Vermittlung, das durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützt wird.

Ein besonderes Highlight von Theater der Welt ist die Deutschlandpremiere von “Siren Song”. Die Sound-Installation von Byron J. Scullin, Thomas Supple und Hannah Fox wird an allen 18 Festivaltagen einmal täglich das Kulturareal um das Schauspielhaus in außergewöhnliche Klänge einhüllen. Inspiriert vom Ton als eine Form der autoritären Kontrolle, erforscht Siren Song die sinnliche, psychologische und soziale Wahrnehmung von Lautsprechersystemen im öffentlichen Raum – also Ohrstöpsel raus!

Außerdem empfehlenswert ist der avantgardistisch angehauchte European Philosophical Song Contest. Der Song Contest ist eine Art popmusikalischer Wettbewerb, in dem zehn Lieder, dessen Texte von Intellektuellen aus europäischen Ländern geschrieben wurden, vom Orchester vertont vor einer ausgewählten Jury vorgetragen werden. Der künstlerische Tausendsassa Massimo Furlan hat dieses Projekt in Zusammenarbeit mit Claire de Ribaupierre, Dramaturgin und Expertin für Anthropologie, entwickelt und überschreitet die Grenzen der allseits bekannten Theaterformate. Ein weiteres Must-See ist das sogenannte Musical von Sibylle Berg „GRM.Brainfuck“ , in dem Misstände und Fehlentwicklungen unserer Zeit aufgedeckt werden. Der ursprüngliche Roman spielt im Großbritannien des Post-Brexits und fokussiert an den Rand gedrängte Jugendliche, deren Überlebenselixier die Musik ist. 

Die Inzidenzzahlen sinken und es wird live gespielt! Als Open Air finden Veranstaltungen auf dem Gustaf-Gründgens-Platz statt, im Schauspielhaus, im Central und im jungen Schauspielhaus in den Theatersälen statt. Dazu gibt es 18 Soundperformances in der Innenstadt, 18 Veranstaltungen von Weltfoyer in der Kunstinstallation Third Space des Architekturkollektives raumlaborberlin, die das Festivalzentrum darstellt, zwei live gestreamte Live-Aufführungen aus Südafrika und Chile und zusätzlich zwei Produktionen als TV-Aufzeichnungen. Für Besucher*innen, die trotz der Corona-Lockerungen noch nicht reisen können, gibt es ein Online-Angebot. Ein großer Teil der Veranstaltungen gibt es auch als Live-Stream und am zweiten Veranstaltungstag als Video on Demand. 

Doch das ist bei weitem nicht alles: Euch erwarten Theater- und Musikveranstaltungen von insgesamt 350 Künstler*innen aus 17 Ländern! Wer mehr über die verschiedenen künstlerischen Sparten, Festivalorte und Programmpunkte von Theater der Welt erfahren möchte, findet alle Infos auf www.theaterderwelt.de und www.dhaus.de.

Text: Merit Zimmermann / Franka Büddicker
Fotos: siehe Bildtitel
© THE DORF 2021

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