„Europe in THE DORF“ • Maryvonne Wellen im Gespräch – THE DORF x Curated Affairs

Wie viel Europa steckt in Düsseldorf? Und was ist typisch „europäisch“? Gibt es das überhaupt? Das und vieles mehr fragen sich THE DORF & Curated Affairs im Hinblick auf das Veranstaltungsformat „Europe in the City“, das vom 1. bis 9. Mai 2021 die europäische Vielfalt, Solidarität und Offenheit in Düsseldorf feiert. Die Interviewserie „Europe in THE DORF“ ist nur ein Beitrag des umfangreichen Rahmenprogramms, das in diesem Jahr fast ausschließlich digital stattfindet.

Für Teil 3 der Serie „Europe in THE DORF“ trifft THE DORF die niederländische Schmuckdesignerin Maryvonne Wellen. Neben ihrer Design-Tätigkeit lehrt sie digitale Technologien im Fachbereich Design an der Hochschule Düsseldorf. Im Interview erzählt sie, wie der Prozess des Launches ihres neuen Labels 202 EDITIONS während Corona ablief und welche niederländische Stadt Düsseldorf am meisten ähnelt.

 

Womit beschäftigst Du Dich? Was sind Deine aktuellen Projekte?
Aktuell geht ein Großteil meiner Zeit in das Schmucklabel 202 EDITIONS. Das Label wurde Ende 2020 von den Schmuckdesignerinnen Karin Heimberg, Sarah Regensburger und mir gelauncht. Wir kreieren hochwertige Schmuckkollektionen in limitierten Auflagen von 202 Stück pro Design. Jedes Schmuckstück wird nachhaltig, saison-unabhängig entwickelt und on-demand von uns im eigenen Atelier handgefertigt. Obwohl wir erst vor Kurzem gegründet wurden, läuft es sehr gut an. Für dieses Jahr stehen schon einige schöne Kollaborationen und Präsentationen auf dem Plan.
 Neben der Arbeit für 202 EDITIONS nehme ich im Fachbereich Design der Hochschule Düsseldorf eine halbe Stelle als Lehrerin für besondere Aufgaben der 3D Digitalisierungtechniken wahr. Wegen des Zeitmangels entwickle ich derzeit keine neuen Schmuckkollektionen oder Serien mehr unter meinem eigenen Namen. Nur die schönsten Aufträge und Kollaborationen nehme ich noch an. So freue ich mich zum Beispiel sehr auf ein neues Projekt, das für Künstler Stefan Rinck ansteht. An einem anderen wichtigen Projekt arbeite ich seit letztem Frühjahr zusammen mit meiner Tochter Florentine: Sie ist drei und wir haben gemeinsam eine Beerenzucht mit Erdbeerpflanzen und Himbeersträuchern auf dem Balkon gestartet. Wir hoffen auf schmackhafte Erfolge in den nächsten Monaten.

Wo findest Du Europa in Düsseldorf? 
Europa finde ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Der ist bunt durchmischt. Viele Menschen in meinem Umfeld haben Wurzeln über die Grenze hinaus und sind für Studium, Arbeit, Lifestyle oder Liebe nach Düsseldorf gekommen.

Was ist für Dich typisch Düsseldorf? Was ist für Dich typisch europäisch“?
Typisch Düsseldorf ist für mich die Kunstakademie, die Kunstszene und Historie. Aber auch die Menge an gut ausgestatteten, gepflegten und teuren Wägen, die regelmäßig auf der Kö ausgeführt werden. Das Parkverhalten in der ganzen Stadt und von allen unterschiedlichsten Arten von Fahrzeugen ist ebenfalls einzigartig. Mit dem Parkplatzproblem wird in Düsseldorf ganz eigen umgegangen, das habe ich so nirgendwo anders gesehen.

Wo findest Du gerade in der Düsseldorfer Kulturlandschaft Europa wieder?
Europa finde ich in der Düsseldorfer Kulturlandschaft und in der Diversität des Angebots. Wegen der langen Durststrecke habe ich diese Verbindung momentan mit der Düsseldorfer Kulturlandschaft ein wenig verloren. Gespürt habe ich sie damals bei Vorführungen im Tanzhaus NRW, Veranstaltungen in der Kunstakademie, Salon, zakk, Museen, Manko, Galerien oder Offspaces. Zum Beispiel aber auch auf der Rennbahn während des Open Source Festivals oder einfach auf der Straße zu Karneval.
 Diesbezüglich muss ich weiter an ROOOOOM e.V. denken. ROOOOOM fördert die kulturelle Diversität der Kreativszene. Es dient der Vernetzung und bildet eine Plattform für junge Kunst. Es schafft den Spagat zwischen Off-Szene, angewandter Kunst und Design für ein vielfältiges Publikum und ist für alle Interessierten zugänglich. Deren Haltung, Initiativen und Projekte in Bezug auf soziales Geschehen, Politik und Kultur finde ich spannend, zeitgemäß und in Düsseldorf einzigartig und irgendwie europäisch.

Fällt dir eine europäische Stadt ein, die Düsseldorf sehr ähnlich oder unähnlich ist?
Da würde ich Rotterdam sagen, eine niederländische Stadt, die ich selber sehr gerne mag. Vielleicht ist der „Vibe“ vergleichbar. Rotterdam hat ein überschaubares großes Innenzentrum, eine ähnliche Einwohnerzahl wie Düsseldorf und wird geteilt vom Fluss Nieuwe Maas. Die Stadt hat mit ihrer prägnanten Skyline voller architektonischer Ausraster etwas mehr Großstadt Feeling und ist insgesamt ein wenig extremer als Düsseldorf. Sie ist divers, dynamisch, rau und sachlich. Kultur wird großgeschrieben. Man findet eine unglaubliche Zahl von Kunstwerken moderner und zeitgenössischer Meister*innen, die den öffentlichen Raum füllen. Zahlreiche Kulturräume, Museen, Theater, Konzertsäle und Programmkinos. Plus, die älteste Tanzkompanie der Niederlande, das Scapino Ballet kommt aus Rotterdam. Also absolut einen Besuch wert, sobald dies wieder entspannt möglich ist.

Was macht Düsseldorf in Europa einzigartig?
Für mich ist das die Lage. Die niederländische Grenze und andere westeuropäische Großstädte sind nicht weit entfernt. Ist man fit und hat ein gutes Rad, sind es drei Stunden nach Venlo, vier nach Roermond oder sechs nach Maastricht, Nijmegen oder Eindhoven. Mit dem Zug geht’s schneller und entspannter nach Amsterdam, Brüssel, Paris oder London. Kopenhagen, Prag oder Mailand erreicht man innerhalb von einem Tag mit dem Auto. Ach, wie ich mich sehne der Bewegungsradius wieder zu erweitern und mehr rumzukommen.

Wann bemerkst Du, dass Du in Europa bist?
Ich habe die Möglichkeit, mich frei über Landesgrenzen zu bewegen, mich weiter zu bilden, hier zu wohnen und zu arbeiten. Ich denke oder merke nicht, dass ich in Europa bin. Über die Grenze sieht alles ein wenig anders aus, Sprache, Bräuche und Sitten unterscheiden sich. Es gibt für mich keine Kontrolle an den Grenzen, keine Zusatzkosten für Daten-Roaming, keine Umstände mit der Währung, keine Probleme bei dem Eröffnen eines Bankkontos und ich brauche keine Aufenthaltsgenehmigung. Dass ich in Europa bin, wird mir dann bewusst, wenn ich die Nachrichten verfolge und realisiere, dass die Vorteile und Bewegungsfreiheit in Europa, die mir als privilegierte EU-Bürgerin geboten werden, nicht für alle zugänglich ist.

Was macht die Menschen in Düsseldorf zu Europäer *innen?
Das kann ich nicht sagen. Europäer*innen sind diejenigen, die sich so fühlen. Ich denke nicht, dass das für alle Menschen in Düsseldorf gilt und das ist auch okay.

Was würdest Du sagen, denken andere europäische Städte über Düsseldorf?
Ich glaube, Düsseldorf könnte mehr in seine Außenwirkung investieren. Unsere Stadt ist für viele relativ wenig präsent. Ich musste mich erst mal gut erkundigen, um die Kunstszene, die Akademie und den Weihnachtsmarkt kennenzulernen.

Du bist ursprünglich aus den Niederlanden und hast deine Ausbildung zur Goldschmiedin sowohl in Schoonhoven beendet und Dein Designstudium hier in Düsseldorf abgeschlossen. Ende 2020 hast du mit zwei weiteren Designerinnen das neue Label 202 EDITIONS ins Leben gerufen. Wie hat sich der kreative Prozess während Corona verändert und mit welchen Schwierigkeiten wurdet Ihr bei der Gründung des neuen Labels konfrontiert? Durch Corona wurde der Designprozess wesentlich beeinflusst. Anstatt gemeinsam im Atelier zu arbeiten, saßen wir getrennt voneinander zu Hause vor dem Bildschirm, um unsere Ideen und Konzepte auszuarbeiten. Der direkte Austausch und die Arbeit mit dem Material haben uns gefehlt. Da wir unsere Schmuckkollektionen vorher schon im Wechsel zwischen analogen und digitalen Prozessen entwickelt haben, konnten wir uns die Situation aber doch relativ gut anpassen. Wir haben uns digital die Bälle zugeworfen und so ist wirklich eine gemeinsame Kollektion entstanden. Ein feierlicher Launch von 202 EDITIONS und die Präsentation der ersten Schmuckkollektion konnte erst später stattfinden als geplant – im November haben wir dann nachträglich in ganz kleinem Kreis angestoßen. Wir haben uns festgehalten an dem Motto: „Gut Ding will Weile haben“ und uns die Zeit genommen, unsere Ideen weiter zu vertiefen und die geschäftlichen Aspekte sowie Konzept und Philosophie unseres Labels auszuarbeiten. Die extra Zeit hat sich bewährt. Das Label sitzt und der Laden läuft. Doch hoffen wir auf Besserung der aktuellen Situation. Dies würde für uns alle eine enorme Freude und Erleichterung darstellen und uns die Möglichkeit geben, den Launch nach zu holen und unseren Schmuck in real-life der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Wie würdest Du typisch „niederländisches Design“ beschreiben? Gibt es das? Was ist typisch niederländisches Design für Dich?
Dutch Design ist seit Anfang 20. Jahrhunderts im Aufstieg und hat sich mittlerweile zu einem Phänomen entwickelt. Niederländisches Design ist unkonventionell und unprätentiös, hat Schwung und ist mit einer Prise Humor gewürzt. Material, traditionelle Handwerkstechniken und neue Produktionsverfahren werden auf überraschende Weise eingesetzt und kombiniert. Designkollektiv Droog Design steht am Start der Erfolgsgeschichte und hat wesentlich zur Bekanntheit beigetragen. Marcel Wanders handgeknüpfter grobmaschiger Stuhl „Knotted Chair“ (für Droog), der seine Stabilität allein aufgrund der mit Kunststoff imprägnierten Seile erreicht oder der Chest of drawers von Tejo Remy (auch für Droog) sind für mich Stellvertreter von typisch niederländisches Design geworden. Die jüngere Generation Produktgestalter*innen hält die Tradition lebendig. Der Endless Chair von Dirk van der Kooij finde ich dafür ein schönes Beispiel.

Wie viel Deiner niederländischen Herkunft fließt in Sachen Stil oder Geschichte in Deine Designs ein?
Mir ist aufgefallen, dass sich mein Stil und Gestaltungsanspruch über die letzten Jahre gewandelt haben. Ein bisschen niederländischer Spritz ist noch dabei, aber ich bin vielleicht doch auch ein wenig verdeutscht. Es kann an meinem Alter, meiner Persönlichkeit oder daran liegen, dass ich schon über 10 Jahre in Deutschland lebe und hier mein Designstudium absolviert habe.

Woher kommt der Großteil Eurer Kund*innen? Aus Deutschland, den Niederlanden oder ganz Europa?
Unsere Kund*innen befinden sich im westeuropäischem Raum: den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Deutschland.

Du lehrst auch an der Hochschule in Düsseldorf. Was ist ein Aspekt, der Dir bei deinen Studierenden besonders wichtig ist, wenn es um Designs geht?
Dass Design mehr ist als Ästhetik, schönen Formen und einer hübschen Farbpalette. Mittels guter Gestaltung können Inhalte effektiv kommuniziert und bestehende Produkte verbessert und weiterentwickelt werden. Dabei sollen Studierende sich nicht nur auf technische Möglichkeiten verlassen, sondern vor allem auf Nutzbarkeit, Verständlichkeit und Langlebigkeit setzen. 
Ich unterrichte 3D-Digitalisierungstechnicken und bemühe mich, die Studierenden im Fachbereich einen einsteigerfreundlichen Zugang in die Welt von 3D Scanning, 3D Modelling und 3D Visualisierung zu verschaffen. Aufgrund der immer nahtloser werdenden Verschmelzung von realer und digitaler Welt ist solides Grundwissen in diesen Bereich für die Gestalter*innen der Zukunft essenziell. Ich finde es wichtig, dass die Studierenden die neuen Möglichkeiten kennen und als Werkzeug für sich nutzen können. Als Gestalter*innen sollen sie eine kritische Haltung einnehmen, einen Mehrwert kreieren und überlegen, wie Produkte, Systeme und die Kommunikation der Welt von morgen aussehen könnte.

VIELEN DANK!

Neugierig geworden? Mehr über das komplette Programm von „Europe in the City“ erfahrt Ihr hier…

„Europe in THE DORF“ • Europäer*innen im Gespräch ist ein Gemeinschaftsprojekt von THE DORF und Curated Affairs.

(c) THE DORF, 2021
Text & Interviewserie: Amani El Sadek & Tina Husemann

Fotocredits: © W.R.

 

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