„Europe in THE DORF“ • Monika Kumiega im Gespräch – THE DORF x Curated Affairs

Wie viel Europa steckt in Düsseldorf? Und was ist typisch „europäisch“? Gibt es das überhaupt? Das und vieles mehr fragen sich THE DORF & Curated Affairs im Hinblick auf das Veranstaltungsformat „Europe in the City“, das vom 1. bis 9. Mai 2021 die europäische Vielfalt, Solidarität und Offenheit in Düsseldorf feiert. Die Interviewserie „Europe in THE DORF“ ist nur ein Beitrag des umfangreichen Rahmenprogramms, das in diesem Jahr fast ausschließlich digital stattfindet.

Monika Kumięga ist Kultur- und Filmwissenschaftlerin und seit 28 Jahren Projektmanagerin im Bereich Kunst und Design am Polnischen Institut Düsseldorf. Ihr Ziel ist es, die gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen durch die Präsentation der polnischen Kultur in all ihren Facetten sowie der Politik, der Geschichte, der Gesellschaft und der Bildung zu intensivieren. Die Polin koordiniert und leitet die Projekte im Bereich der visuellen Kunst und Design. Ihre Arbeitskolleg*innen bespielen Bereiche wie Literatur, Film, Theater, Musik, Kreativwirtschaft, Geschichte und Wissenschaft. Sie sagt selbst: „Wir alle sind mit ganzem Herzen bei der Sache und tauchen auch manchmal tief in die Bereiche, was die Arbeit noch spannender macht.“ Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Arbeit, aktuellen Projekte und ihre persönliche Sicht auf Europa.

Was sind Deine aktuellen Projekte?
Momentan arbeite ich an vier Projekten: Ende April haben wir die Kunstausstellung „Die Gleichgültigkeit der Welt“ von einem Klassiker der polnischen Gegenwartsmalerei Jaroslaw Modzelewski eröffnet. Die Ausstellung kann Corona bedingt nur von zwei Personen gleichzeitig betreten werden, aber das hat auch seine Vorteile: Man kann die Kunst genießen und einen Moment lang nur für sich selbst haben. Die Bilder von Modzelewski erzählen vom Menschen, von der Landschaft und der vergehenden Zeit. Die für den Künstler typische „achtsame” Wahrnehmung der Welt ist uns heute in Zeiten von Pandemie-Beschränkungen und erzwungener Isolation allen vertrauter geworden. Deshalb kann man in der Stille in die Atmosphäre der Bilder wirklich eintauchen.

Das zweite Projekt ist eine Herausforderung, an die wir uns ohne die Pandemie vielleicht nicht herangewagt hätten. Aber wir haben „ja“ gesagt und sind nun der Herausgeber eines interaktiven E-Books: „Notizen zur Geschichte der polnischen Fotografie“. Gemeinsam mit den Autoren des Buches, der Kunsthistorikerin Ania Diduch und dem bekannten polnischen Foto-Künstler Wojtek Wieteska laden wir alle, die sich für neue Medien, Video und besonders für die Fotografie interessieren, zu einem interaktiven Erkundungsgang durch die Geschichte der polnischen Fotografie ein. Das E-Book erscheint gleichzeitig in deutscher und polnischer Sprache. Das erste Kapitel „Das Zeitalter des Monochroms“ ist schon ab dem 27. April auf unserer Homepage kostenlos zum Download in epub-Format verfügbar.

Das dritte Projekt ist eine Kooperation mit dem Internationalen Fotoszene-Festival und dem Deutschen Tanzarchiv, beide aus Köln. Vom 20. Mai 2021 bis zum 22. Februar 2022 zeigt die polnische Fotografin Anna Orlowska im Tanzarchiv ihre speziell für die Ausstellung „Inszenierung | Inspiration – Tanz und Fotografie“ erschaffenen und konzipierten Werke.

Außerdem wird das Institut im Bereich der visuellen Kunst Ende August noch eine Ausstellung der polnischen Künstlerin und Klimaaktivistin Diana Lelonek präsentieren. Danach schließen wir uns im November dem „Beuys Jahr“ an und zeigen in Kooperation mit dem Museum Łódź die Ausstellung „Die Ökonomie des Geschenks: Joseph Beuys, Polentransport 1981″.

Wo findest Du Europa in Düsseldorf? 
Düsseldorf hat die europäische Kultur mit vielen großartigen Persönlichkeiten, Ideen und Werken bereichert. Dazu zählen für mich die Musikgruppe Kraftwerk, die Theorie der sozialen Plastik von Joseph Beuys, die Gedichte und Reisereportagen von Henrich-Heine, die Künstlergruppe Zero, die filmischen Werke von Wim Wenders oder die Düsseldorfer Fotoschule mit ihren großartigen Fotograf*innen. Das sind nur einige, deren Werk und Schaffen mich persönlich geprägt haben. Diese Bereicherung ist Teil des gemeinsamen Schaffens, der Identität und des Kulturerbes Europas. Je mehr wir gemeinsam haben und teilen, desto besser werden wir uns verstehen, kennen und mögen, oder? Und darin sehen wir, das Team des Polnischen Instituts Düsseldorf, unsere Aufgabe.

Wir möchten mit Europäer*innen und Düsseldorfer*innen die Gedanken, die Mentalität, die Kreativität, das Wissen und Schaffen der Pol*innen teilen, um darauf ein gemeinsames europäisches Kulturerbe weiter aufzubauen. Das mag einfach klingen, aber bei allem, was die Stadt Düsseldorf den Einwohner*innen zu bieten hat, ist es nicht immer einfach, das Publikum für polnische Filme, Literatur oder Musik zu gewinnen. Deshalb arbeiten wir häufig mit Kooperationspartner*innen vor Ort wie den Düsseldorfer Filmkunstkinos, der Kunstsammlung NRW oder dem Hetjens Museum, aber auch mit verschiedenen Festivals in Düsseldorf zusammen. Jetzt sind wir ebenfalls ein Teil des Programms „Europe in the City“. Ein Teil von etwas Großen zu sein, macht Sinn und natürlich Riesenspaß.

Fällt Dir eine europäische Stadt ein, die Düsseldorf sehr ähnlich oder unähnlich ist?
Wroclaw. Eine lebendige Stadt mit einer spannenden Kunstszene und Kunstakademie mit ähnlicher Einwohnerzahl (ca. 643.000) wie Düsseldorf. Gelegen am Fluss (an der Oder) und mit einer Affinität zu japanischen Gärten. Wrocław ist keine stressige Metropole, trotzdem eine wichtige Stadt Polens mit zahlreichen Museen wie dem National Museum Wrocław, dem Architektur Museum und dem Museum für Zeitgenössische Kunst und internationalen Festivals wie beispielsweise Jazz nad Odrą, Era Nowe Horyzonty oder Festiwal Wratislavia Cantan. Die 1913 auf dem Oval Plan erbaute Jahrhunderthalle ist wie die Tonhalle hier in Düsseldorf ein bedeutender Konzertsaal und ein Markenzeichen der Stadt.

Was macht die Menschen in Düsseldorf zu Europäer*innen? Was ist typisch Düsseldorf?
Ich denke, die Düsseldorfer*innen fühlten sich schon immer als Europäer*innen, noch vor der EU-Gründung 1993. Sie sind offen und selbstbewusst. Aber die Düsseldorfer*innen sind vor allem Düsseldorfer*innen. Sie lieben ihre Stadt ohne „Wenn und Aber“, was mir persönlich manchmal zu weit geht. Es ist keine Kritik, sondern eher eine Feststellung. Letztendlich schließe ich mich als Düsseldorferin, die seit 28 Jahren hier lebt und arbeitet, der Liebe für die Stadt an.

Du arbeitest seit 1993 im Polnischen Institut. Gibt es eine besondere Veränderung in der Wahrnehmung der polnischen Kultur hier in Düsseldorf über diesen langen Zeitraum?
Ja, denn es hat sich seit 1989 generell sehr viel in Europa verändert. Jede*r hat einen Pass zu Hause, man braucht kein Visum, es gibt keine Grenz-Kontrollen, keine Beschränkung des Aufenthalts. Wir sind in dem Sinne frei. Viele Deutsche „wagten es“, nach dem Beitritt Polens zur EU 2004, eine Reise nach Polen zu unternehmen und viele sind dort auch geschäftlich unterwegs. Anfang der 90er-Jahre, als ich als 25-jährige junge Polin hierhergekommen bin, hatte ich den Eindruck, dass man sich im Westen aus der polnischen Kultur nur das Beste und Selbstverständlichste wie Rosinen aus dem Kuchen herauspickte.

Man kannte und bewunderte Persönlichkeiten wie Theaterregisseur Tadeusz Kantor, Bildhauerin Magdalena Abakanowicz, Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, Politiker Władysław Bartoszewski, Filmregisseur Andrzej Wajda oder Schriftsteller Bruno Schulz – und dann kam lange nichts. Es gab zwar Neugierde, doch kein Gefühl der Zugehörigkeit. Jetzt ist Polen keine Rosine mehr, sondern wie andere EU-Mitglieder auch ein Stück eines ganzen Kuchens, der Rosinen enthält, die man mit allen anderen teilt und genießt.

Seit 1993 hat sich unsere Welt nicht nur politisch geändert. Wir sind durch neue Technologien, das Internet und Reisemöglichkeiten global besser vernetzt und somit zusammengewachsen. Jegliche Kontakte der Kulturschaffenden und den Kulturvermittler*innen haben sich sehr intensiviert, sind direkter und schneller geworden. Kurator*innen melden sich und fragen: „Ich bin auf etwas Interessantes in Polen gestoßen, ich würde es gerne hier in Deutschland präsentieren. Helfen Sie uns dabei?“.

Es ist schön, wenn die Initiative nicht immer von uns kommt. Manchmal erfahre ich, wie auch jetzt gerade, dass die polnische Fotografin Joanna Piotrowska, die in Großbritannien lebt, in der Stiftung Insel Hombroich eine Einzelausstellung haben wird. Wohnort und Herkunft spielen keine so große Rolle mehr, sondern künstlerisches Können und künstlerische Position. So tritt die polnisch-britische Künstlerin Goshka Macuga mit ihrem 3D-Wandteppich „Make Tofu Not War“ (2018) in „Dialog mit Beuys“ bei der aktuellen Ausstellung „Jeder Mensch ist ein Künstler Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ im K20 auf oder Małgorzata Mirga-Tas, eine polnisch-roma Künstlerin, die sich mit ihrer Arbeit an dem künstlerischen Diskurs der Ausstellung „Resist – Die Kunst des Widerstands“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln beteiligt.

Die Arbeit des Instituts hat sich in der Zeit auch sehr verändert, während es früher vor allem aus Polen importierte Kunstpräsentierte, werden jetzt Veranstaltungen co-produziert und auch Partner*innen aus Deutschland eingeladen. Ist die Ausrichtung europäischer geworden? Das wichtigste sind für uns immer noch die zeitgenössischen polnischen Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Filmemacher*innen, Musiker*innen usw. hier in Deutschland zu präsentieren. Die Kooperation und der Dialog zwischen den Kulturschaffenden aus Polen und Deutschland in allen Kulturbereichen war und ist genauso wichtig. In der Vergangenheit hatten wir nicht nur bilaterale deutsch-polnische Präsentationen, sondern auch trilateral deutsch-polnisch-französische und einmal sogar eine deutsch-polnisch-ägyptisch-libanesische Kooperation. Solche Co-Produktionen sind sehr wichtig. Hier sollte man auch erwähnen, dass das Institut mit seinem Sitz in Düsseldorf ein aktiver Mitgestalter des kulturellen Lebens, nicht nur in NRW ist, sondern auch in den benachbarten Bundesländern wie Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland. Aus Düsseldorfer Perspektive sieht man nur einen Teil unserer Arbeit. Die junge Generation der Pol*innen die hierhergekommen sind, hier leben, studieren und arbeiten sind ebenfalls in vielerlei Hinsicht wunderbare Botschafter*innen der polnischen Kultur. Deren Arbeit und Präsenz ist für unsere Wirkung auch von Bedeutung.

Das Institut stellt mit einer Postkarten-Reihe ein eigenes Projekt für “Europe in the City” vor. Erzähle uns bitte darüber:
Zusammen mit Curated Affairs und Made in Dialog haben wir zu dem Anlass eine Postkarten-Gruß-Serie unter dem Titel: „Polish Art Traces“ in Düsseldorf entworfen und vorbereitet. 12 Künstlerinnen, die in Düsseldorf leben oder arbeiten und eine Spur von polnischer Identität in sich fühlen, teilen mit uns ihre Kunstwerke auf einer Postkarten-Serie. Wir sind selbst überrascht, wie kraftvoll die Arbeiten wirken, die in unterschiedlichen Techniken, darunter: Zeichnung, Fotografie, Malerei, Performance und Skulptur, geschaffen sind.

Die Idee hinter den Postkarten ist eine Möglichkeit, in der kontaktbeschränkten Zeit der Familie, Freund*innen und Bekannten auf der ganzen Welt einen lieben Gruß, eine schriftliche Umarmung oder einfach einen positiven Gedanken aus Düsseldorf zu schicken. Es ist eine Geste der Nähe, die heute besonders an Bedeutung gewonnen hat. Und es ist ein bisschen so wie mit dem Kulturleben momentan, man kann sich zwar das Theaterstück, den Film oder das Konzert zu Hause ansehen, dennoch vermissen wir das Kino, das Theater, den Konzertsaal. Gleichzeitig macht uns die Postkarten-Serie die polnischen künstlerischen Positionen aus Düsseldorf, auf eine andere Art und Weise sichtbar. Und die Künstlerinnen hatten die Gelegenheit, sich gegenseitig zu entdecken und kennenzulernen.

Die Postkarten können bei uns im Institut oder in anderen städtischen kulturellen Institutionen, unseren langjährigen Partnern (dem Rathaus, der Kunsthalle, dem Hetjens Museum, dem Filmmuseum, dem Henrich-Heine-Institut, dem Stadtmuseum usw.), gefunden und mitgenommen werden. Mehr Informationen zu den 12 Künstlerinnen, zu dem Projekt und unserem Programm findet Ihr auf Facebook und auf unserer Webseite.

VIELEN DANK!

 

Neugierig geworden? Mehr über das komplette Programm von „Europe in the City“ erfahrt Ihr hier…

„Europe in THE DORF“ • Europäer*innen im Gespräch ist ein Gemeinschaftsprojekt von THE DORF und Curated Affairs.

(c) THE DORF, 2021
Text & Interviewserie: Amani El Sadek & Tina Husemann

Titelbild: Monika Kumięga, 2021, Foto: Hanne Brandt © Polnisches Institut Düsseldorf

 

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