Auf zur Akademie: Ein Rundgang durch die Kunst

Jonas Bechtloff

Ein Streifzug durch die Räume der Düsseldorfer Kunstakademie am Eiskellerberg lohnt immer. Diese Woche aber besonders – denn zum Rundgang zeigen über 600 Student*innen ihre Abschluss- und Semesterarbeiten. Wie schon im Vorjahr strömten die Besucher*innen bereits am Eröffnungstag in Scharen herbei. Trotz des starken Andrangs ist es schön, zu erleben, wie die Düsseldorfer “ihre” Kunstakademie neu entdecken und sich Auswärtige begeistert von den verschiedenen künstlerischen Arbeiten zeigen. 

Im langen Flur im Erdgeschoß der Kunstakademie tanzt ein Raum aus der Reihe. Warum das so ist, wird beim Eintreten schnell klar, denn hinter den Türen von Zimmer 004 ist nichts als große Leere. Dabei sollte sich hier doch eigentlich eine Arbeit von Yaël Kempf befinden. Vielen offenbar irritierten Besucher*innen fällt erst bei genauerer Betrachtung auf, dass sich der Raum-Titel “Open it” auf ein Buch bezieht, das einsam auf der Fensterbank liegt. Beim Durchblättern der Seiten folgt aus dem Nichts der nächste Hinweis: “Call me”. Wählt man die dort angegebene Telefonnummer, ertönt auf der anderen Leitung eine Stimme und sagt: “Hello, I will send you a message, have a nice day”. Und tatsächlich: Per SMS kommt wenig später ein kryptisches Gedicht und die Aufforderung, an einem Ort mit spezifischen Koordinaten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erscheinen – wie bei einer digitalen Schnitzeljagd.

Auf der Suche ist man auch im Raum 223 der Klasse Gallagher. Vor der großformatigen Leinwand von Dawn Chun steht man staunend, wie wenn der Blick auf eine mit Reizen übersäte Landschaft fällt. Das Auge kann sich gar nicht sattsehen, schwelgt in einem wahren Farben- und Symbolrausch, versucht jedes noch so kleine Detail zu erfassen. Ähnlich ist das ästhetische Empfinden, wenn man die Textilarbeiten von Dahye Son (Klasse Fritsch) betrachtet. Denn sie orientieren sich am Organischen der Natur und wirken durch ihre reliefartige Struktur wie farbenfrohe Korallenriffe aus der Vogelperspektive.

Ein besonderes Seherlebnis erwartet Besucher*innen ebenfalls in der Klasse Gonzalez-Foerster. Mit Begeisterung entdeckt man in Raum 122 unter anderem eine eindrucksvolle digitale Malerei auf Stoff von SALAT Magazin-Herausgeber Roland Sonnabend sowie ein interaktives Twisterspiel von Pablo Guzman Beck, welches ermöglicht, sich musikalisch und kreativ auszutoben.

Für durstige Kehlen schenken Fabian Ruzicka und Sean Mullan einen höchst verführerischen Birnen-Rosmarin Crémant in ihrer Titantic-Bar aus. Was nach außen hin wie eine Kunstkneipe aus Sperrmüll wirkt, ist nach innen weitaus tiefgründiger gedacht – sowohl räumlich, als auch inhaltlich: Ziel der beiden Studenten ist es, tief verwurzelte Strukturen der Kunstakademie aufzubrechen und einen Zufluchtsort für Außenseiter zu schaffen. Eine Talk-Reihe zu Themen wie #MeToo und Girlsplaining vervollständigt das Programm im “House of Dominique Gonzalez-Foerster”.

Gratulation an Deniz Saridas (Klasse Gregor Schneider) und Yuni Hwang (Klasse Newton), die diesjährigen Empfänger des Deutschlandstipendiums. In ihren Videoarbeiten beschäftigen sich beide auf ganz individuelle Art und Weise mit der Narration zwischen Anonymität und Sichtbarkeit, Fremdheit und Vertrautheit. Während Deniz von einem Sockel ein medienreflexives, mit musikalischer Semantik operierendes Geister-Video auf fluoreszierendes Acrylglas projiziert, führt uns Yuni zusammen mit der Robert-Schumann-Studentin Suhyun Park in ein kosmisches Universum, das reale und imaginäre Sprachen miteinander verbindet, um das Konzept der Rasse und die mit ihm verbundenen Kategorien zu untersuchen. Anders – aber gleichermaßen beeindruckend sind die Videoarbeiten in dem Sinne, dass sie einen uninterpretierten Raum erzeugen, der unmittelbar Emotionen und Affekte hervorruft.

Über den Rundgang ist ein grundsätzlich positives Fazit zu ziehen. Einzig den Mangel an kuratorischer Leitung könnte man kritisieren. Ausdehnen kann die Akademie ihre zwar Fläche nicht, und umkämpft ist der knappe Raum sowieso. Aber wenn an allen Ecken und Enden ausgestellt wird, hat die Kunst keine Luft zum Atmen. Anstatt das Steuer selbst in die Hand zu nehmen, sollten Student*innen womöglich fachlichen Rat von Kurator*innen einholen und gemeinsam Konzepte zur Präsentation ihrer Arbeiten entwickeln.

Der Rundgang an der Düsseldorfer Akademie ist nur noch bis diesen Sonntag, den 9. Februar, geöffnet. Wer mehr Kunst der Absolventen des Jahrgangs 2019 sehen will, sollte die K21-Ausstellung “In order of appearance” nicht verpassen. Mehr Infos findet ihr hier.

Text: Merit Zimmermann
Fotos: Kristof Puller
© THE DORF 2020

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