Buch-Release: „Strolling is walking along or through at a leisurely pace“

Während die Welt 2020 im Stillstand verharrte, entstand für die beiden Kunstschaffenden Janina Kempkens und Kendra Katharina Witzel aus der Corona-bedingten Alternativlosigkeit heraus ein unerwartetes Projekt, das ein auf den ersten Blick unscheinbares, aber im letzten Jahr unvermeidbares Thema in den Mittelpunkt stellte: den Spaziergang. Mit ihrer Buchpublikation Strolling is walking along or through at a leisurely pace widmen sie sich dem Thema durch verschiedenste Blickwinkel.

Inspiriert von unzähligen Spaziergängen zu Beginn der Quarantäne nahm die Idee, eine interdisziplinäre Sammlung von Werken rund um das Thema zu erstellen, Gestalt an. Das Projekt, das als Spielwiese für Erkundung und Zusammenarbeit gesehen wird, entstand mit Hilfe von Expert:innen aus den Bereichen Kunst, Psychologie, Mathematik, Architektur, Chemie, Medizin und allgemeiner Lebenserfahrung, die einen offenen Ansatz zu einem Spaziergang rund um die Kultur des Flanierens verdichteten. In diesem Wissenscluster findet ein demokratischer Umgang mit verschiedenen Ausdrucksformen statt, bei dem die Grenzen zwischen dem täglichen Leben, der Kunstpraxis und der wissenschaftlichen Debatte verschmelzen. 

Gemeinsam mit 13 Kollaborateur:innen unterschiedlicher Expertisen, darunter fünf Studierende der Kunstakademie Düsseldorf, stellen die zwei Editorinnen Fragen der kulturellen und politischen Des-/Orientierung. Künstlerische Arbeiten stehen neben wissenschaftlichen, Text neben Bild, Fließtext neben reflexiver Bestandsaufnahme. Das Projekt ist außerdem ein Experiment kuratorischer Möglichkeitsspielräume und fungiert als Ausstellung in Printform in einer Zeit, in der physische Ausstellungen nicht möglich waren. 

Strolling is walking along or through at a leisurely pace soll wie ein Spaziergang sein, bei dem man von Zeit zu Zeit die Orientierung verliert und sich fragt, wo zur Hölle man sich befindet, aber schließlich durch das, was man liest und betrachtet, wieder in Sicherheit gebracht wird, während man sich einen Weg um die Eckpfeiler des Konzepts bahnt. Im Interview stellen Janina Kempkens und Kendra Katharina Witzel sich vor und geben Einblicke in ihre Arbeit.

Stellt Euch doch erst einmal kurz vor!
Wir sind Janina und Kendra und haben uns 2017 im Studium der Medien- und Kulturwissenschaft in Düsseldorf kennengelernt. Seitdem arbeiten wir künstlerisch häufig im Rahmen unterschiedlicher Projekte zusammen. Bei Kendra sind vor allem Schrift und Symbolik die Basis ihrer künstlerischen Arbeit, welche sie mit einem analytischen sowie selbstreferenziellen Blick auf soziokulturelle Praxen in unterschiedliche mediale Formen übersetzt. Zuletzt leitete sie nebenbei ein Online-Kunstmagazin. Janina beschäftigt sich sowohl in Foto- und Videoarbeiten als auch installativ mit Fragen der Identität, Ekel, Materialität von Raum sowie Humor und studiert zurzeit an der Kunstakademie Düsseldorf. 

Wie kamt Ihr auf die Idee, Euch aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive mit der Thematik des Spazierengehens zu beschäftigen?
Im ersten Lockdown im März 2020 haben wir uns oft zu Spaziergängen oder auch Treffen in leeren Außenbereichen von geschlossenen Gastronomien verabredet. So wurde das Thema immer wichtiger und hat sich auch inhaltlich in unsere Gespräche eingeschlichen. Im Zuge dessen haben wir uns häufig gefragt, wie sich unsere Gespräche inhaltlich und formell verändern, wenn wir dabei spazieren.

Als dann auch die Politik darüber diskutierte, ob Spaziergänge Grundrecht sind, wurde das Thema allgemein sichtbar. Bald haben wir festgestellt, wie weitläufig das Thema Spaziergang mit all seinen Facetten kulturwissenschaftlich lesbar ist und unsere Assoziationen gesammelt. Unsere allererste Gliederung der Themengebieten entstand sehr schnell und blieb tatsächlich so.

Wie kamen die Kollaborationen mit den anderen Beitragenden zustande und welche Forschungsbereiche und Sichtweisen werden dadurch in Euer Projekt integriert? Schon früh ist uns die Idee gekommen, andere Positionen mit unterschiedlichen Expertisen in den Diskurs mit einzuweben, da sich das Thema von so vielen Blickwinkeln betrachten lässt. Daraufhin haben wir Freunde und Bekannte kontaktiert, die sich entweder bereits mit dem Spazieren und dessen benachbarten Themenfeldern beschäftigen, oder eine interessante Sichtweise beitragen könnten. Hieraus ergaben sich neben dem Schwerpunkt einer medienkulturwissenschaftlichen sowie künstlerischen Herangehensweise Überlegungen aus den Feldern Psychologie, Medizin, Chemie, Architektur, Kunstgeschichte, Mathematik und genereller Lebenserfahrung mit dem Wandern.

Dabei war uns ein interdisziplinärer Blick wichtig, der den Versuch darstellt, alle Positionen gleichwertig in einen Dialog miteinander zu setzen. Wir sind keine Fans davon, wenn Dinge im Vakuum stattfinden und sich von der Umwelt entfernen, die sie behandeln – vor allem, wenn diese Vorangehensweise noch als erstrebenswert angesehen wird. Wir glauben fest daran, dass sich die Dinge nicht voneinander trennen lassen und es  dazu noch super viel Spaß und Einblick gibt sich mit verschiedenen Herangehensweisen auseinanderzusetzen.

Inwiefern hat sich Euer Blick auf das Spazierengehen gewandelt?
Kendra: Vor allem die Selbstverortung im Gehen und im Außen hat durch unsere Recherche an Wichtigkeit gewonnen. Wir sind besonders anfangs noch mehr spaziert, weil uns schnell klar geworden ist, wie bereichernd das Spazieren fürs Denken sein kann. Im Prozess und im praktischen Spazieren haben wir uns immer wieder selbst beobachtet und unsere Arbeiten und Gedanken zu Raum und Zeitlichkeiten sind im Gehen entstanden. Diese vielleicht erstmal nicht klar ersichtlich in Verbindung stehenden Gedanken sind in Form der Reflexionen Teil des Buches geworden, weil sie uns als essentieller Bestandteil für die Auseinandersetzung mit dem Thema und der Selbstverortung darin erschienen. 

Janina: Unsere Herangehensweise war durch ein tiefes gegenseitiges Verständnis sehr intim, welches immer wieder rekalibriert werden musste, sowohl zwischen uns als zwei Entitäten als auch in der Bewegung im Raum. Vielleicht scheint das auf den ersten Blick zweitrangig oder zeitverschwenderisch, ebenso wie ein Spaziergang überflüssig erscheinen kann, aber genau diese Pausen sind wichtig für Freundschaften und kreative Prozesse. 

Wo spaziert Ihr am liebsten in Düsseldorf?
Beide: Zueinander (lachen). Im Prozess des Buches sind wir vor allem zwischen Pempelfort und Grafenberg gependelt.

Janina: Abgesehen davon finde ich das Morper Bachtal und alles darum toll, aber auch der Weg am Rhein entlang zwischen Altstadt und Nordpark ist beliebt. Kendra spaziert am liebsten durch den Norden und lässt sich dann gerne in ihrem Lieblingspark nieder, den sie geheim hält. 

Was bringt die Zukunft?
Janina: Ich arbeite zur Zeit an mehreren Videoarbeiten. Eine davon ist das experimentelle Filmprojekt „Ein spannender Krimi“, das ich zusammen mit meinem guten Freund Yan Knobloch gedreht, geschnitten und geschauspielert habe. Der Film wird voraussichtlich Ende September seine Premiere in einem der Filmkunstkinos in Düsseldorf haben. Es geht dabei vor allem um Menschlichkeit, Stereotype der Gesellschaft, Humor und Dynamiken zwischen Menschen. 

Kendra: Ich beschäftige mich momentan mit Sound und Text im Raum sowie dem Blick auf menschliche Gefühle durch die Linse kultureller Codesysteme. Meine Konzeptarbeit Fantasy World Romance Channel, welche aus Reflexionen zu Strolling hervorgegangen ist, wird nächstes Jahr Teil einer Gruppenausstellung in Paris sein, die von Ala Cherif, einem unserer Kollaborateure für Strolling, kuratiert wird.

Vielen Dank!

Strolling is walking along or through at a leisurely pace erscheint am 10. September 2021 und ist für 14 € im Present Books Verlag sowie im velvet, manko café + workspace, Salon des Amateurs und in der Walther König Buchhandlung in Düsseldorf und Köln erhältlich.

Am Freitag, den 10. September 2021 findet die Release Party im velvet statt. Ein Spaziergang dorthin lohnt sich! Jede:r ist willkommen zusammen mit den Editorinnen, den Kollaborateur:innen und Freund:innen einen tollen Abend zu verbringen. Um 19 Uhr geht’s los und alle Details zum Event findet Ihr hier…

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Interview: Maren Schüller
Titelbild: Janina Kempkens

Fotos: Present Books
© THE DORF 2021

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