GUIDO DE BOER

Am Sonntag, den 6. April 2025, war der niederländische Künstler und Grafikdesigner Guido de Boer zu Gast im Kunstpalast Düsseldorf. Im Rahmen der Reihe „beyond lines – LAMY creative sessions“ lud er gemeinsam mit LAMY unter dem Titel „Making Work Together“ zu einem ganztägigen Workshop ins Palast Studio. Guido de Boer ist Mitbegründer des Kollektivs High on Type, lebt in Utrecht und unterrichtet Typografie an der Royal Academy of Arts in Den Haag. Seine Werke changieren spielerisch zwischen Design, Kunst und Text – mal experimentell, mal strukturiert, oft großformatig und gerne im öffentlichen Raum. De Boer denkt wie ein Künstler, arbeitet aber wie ein Designer, wie er selbst sagt. Seine Materialien? Am liebsten flüssige Tinte. Seine Werkzeuge? Notizbücher mit Rasterpapier – immer griffbereit. Seine Motivation? Weniger die große Eingebung als vielmehr ein gut gepflegtes kreatives Ökosystem aus Inspiration, Motivation und Transpiration. THE DORF hat ihn zum Gespräch über kollektives Arbeiten, Handschrift als Ausdrucksform und die Frage, warum es manchmal hilft, auf einer Leiter nervös zu sein, getroffen.

Hi Guido, wie hat dein heutiger Tag begonnen? Normalerweise gehe ich dienstags morgens schwimmen, aber weil ich leider erkältet war, habe ich das heute ausfallen lassen und bin stattdessen gemütlich in der Sonne zu meinem Studio in Utrecht gelaufen – ein Spaziergang von knapp einer halben Stunde. Ein ruhiger, schöner Start in den Tag, bei dem ich mich umsehen konnte. Im Studio beginne ich immer damit, ein paar Zeilen in mein Tagebuch zu schreiben und eine kleine Zeichnung zu machen. Diesmal war es ein Ziegelmuster, das ich aus einem Buch abgezeichnet habe – einfach als Übung. Danach habe ich ein weiteres Design gezeichnet, für das mein Praktikant bereits ein Raster vorbereitet hatte.

Wir arbeiten gerade an einer selbst initiierten Serie von Seidenschals. Gegen zehn bin ich dann wie immer auf einen Espresso in mein Lieblingscafé gegenüber gegangen und habe noch kurz auf der Brücke über die Oudegracht gestanden – dann kann der Tag richtig starten. Dienstags versuche ich immer, so viel wie möglich an eigenen Projekten zu arbeiten. Heute Morgen habe ich ein Mosaik gemacht. Die Materialien hatte ich gestern schon vorbereitet, sodass ich heute direkt loslegen konnte. Ich hatte schon eine grobe Idee, und nach einer kleinen Skizze konnte ich direkt loslegen. Nach dem Mittagessen war es fertig – jetzt liegt es zum Trocknen.

Deine Arbeit bewegt sich zwischen Typografie, Grafikdesign und Kunst. Wie würdest du deine künstlerische Praxis selbst beschreiben? Ich versuche, meine Tätigkeiten so wenig wie möglich zu definieren – das würde mich nur in meiner Entwicklung einschränken. Ich interessiere mich für alle Arten von Ausdrucksformen, die mit Text und Sprache zu tun haben – vom Spiel mit Bedeutung über die konkrete Form eines Buchstabens bis hin zur Struktur, die ich mit diesen Buchstaben erzeugen kann. Ich merke, dass ich dabei über eine unerschöpfliche Quelle an Werkzeugen und Themen verfüge, mit denen ich ganz unterschiedliche Dinge machen kann. Manchmal entsteht daraus etwas, das Menschen als Kunst sehen, manchmal als Design – und oft bewegt es sich irgendwo dazwischen. Solange ich Freude am Schaffensprozess habe, sollen andere ruhig selbst entscheiden, wie sie es einordnen. Ich sage manchmal: Ich denke wie ein Künstler, aber arbeite wie ein Designer. Aber das sagt eher etwas über den Prozess als über das Ergebnis.

Wenn du ein neues Projekt beginnst – was inspiriert dich? Und wie wird aus einer ersten Idee ein Werk? Ich verstehe die Frage nach der Inspiration gut, sie wird oft gestellt und regt die Fantasie an. Trotzdem möchte ich zwei andere Aspekte in den Fokus rücken: Motivation und Transpiration – Letzteres natürlich im übertragenen Sinne, aber es alliteriert so schön. Ich denke, Inspiration ist eher ein Grundzustand. Als Kreativer braucht man eine gewisse permanente Ideenbewegung. Natürlich kommt das alles irgendwoher – man muss sich ständig selbst füttern. Deshalb gehe ich viel in Museen, lese, schaue und kaufe viele Bücher. Letztlich ist es aber meine Motivation, die dafür sorgt, dass Ideen Wirklichkeit werden, Projekte starten und Werke entstehen. Ich stelle der „Inspiration“ gerne die „Transpiration“ gegenüber – weil Inspiration oft so klingt, als käme die Idee einfach aus dem Nichts: Aha! Eine Eingebung! So funktioniert das aber nicht immer. Es ist oft einfach harte Arbeit, ständiges Ausprobieren – bis irgendwann etwas Überraschendes dabei herauskommt. Ich versuche auf allen Ebenen in Bewegung zu bleiben. Und alles hat dabei sein eigenes Tempo. Es ist ein Ökosystem, um das man sich kümmern muss.

Viele deiner Arbeiten sind großformatig und im öffentlichen Raum zu sehen. Was reizt dich an dieser Art von Sichtbarkeit? Ich glaube, ich bin einfach gerne unter Menschen – und genau dort funktioniert meine Arbeit am besten. Außerdem gefällt mir das Vergrößern – so lassen sich Dinge deutlicher hervorheben, man kann mit Erwartungen spielen und überraschen. Und: Ich mag Herausforderungen. Ich finde es gut, vor einem Projekt nervös zu sein, weil ich nicht weiß, ob es überhaupt funktionieren wird. Vielleicht habe ich noch nie etwas so Großes gemacht, stand noch nie so weit oben auf einer Leiter oder lag noch nie auf dem Rücken, um eine Decke zu bemalen. Dabei stoße ich oft an die Grenzen des Möglichen – und an meine eigenen. So wie bei unserem Workshop im Kunstpalast: Ich hätte auch „einfach nur“ einen Workshop geben können – aber ich hatte den Plan, gemeinsam mit den Teilnehmer:innen ein riesiges Wandbild zu gestalten.

Gibt es Materialien, Werkzeuge oder Techniken, die dir besonders wichtig sind – oder ohne die du nicht arbeiten könntest? Auf jeden Fall – ich liebe Tinte! Ich liebe alles an ihr: ihre Fließfähigkeit, die Tiefe der Farbe, ihre Unverzeihlichkeit – und damit auch ihre Spontaneität und Kraft. Und natürlich auch ihre metaphorische Bedeutung. Ich kann sie mit dem Stift, mit dem Pinsel oder im Marker einsetzen. Ich kann damit schnelle Skizzen im Notizbuch oder sorgfältige Malereien machen. Sie passt einfach perfekt zu mir. Außerdem bin ich in relativ kurzer Zeit süchtig nach karierten Skizzenbüchern geworden – sie beschleunigen meinen Zeichenprozess und schaffen eine direkte Verbindung zwischen Machen und Denken. Ich habe immer mehrere bei mir – ich gehe eigentlich nie mehr ohne eins aus dem Haus.

LAMY ist Partner deines Workshops im Kunstpalast. Was verbindet dich mit deren Stiften – und welche Rolle spielen sie in deinem kreativen Prozess? Ich habe in der Grundschule mit einem LAMY-Füller schreiben gelernt – man kennt vielleicht das Modell: mit der roten Kappe und dem roten Knopf am Ende des Schafts. Ich schreibe übrigens bis heute jeden Tag mit einem Füller – ich besitze viele davon, auch mehrere von LAMY. Ich glaube, meine Handschrift war einer der ersten Gründe, warum ich angefangen habe, mich für Buchstaben zu interessieren. Schon als Kind hatte ich eine auffällige Handschrift. Meine Mitschüler:innen meinten immer, es sähe aus, als hätte ein vornehmes Elternteil das geschrieben. Deshalb habe ich dann auch die Entschuldigungszettel für die anderen Schüler:innen geschrieben – als wären sie offiziell. Seitdem habe ich viel Zeit und Energie in meine Handschrift gesteckt. Und es macht mich bis heute glücklich.

Du bist viel unterwegs und arbeitest international. Gibt es einen Ort, an dem du besonders gerne arbeitest oder dich besonders kreativ fühlst? Ich liebe es, für meine Arbeit zu reisen – weil ich dabei genau an die Orte komme, die ich spannend finde: Museen, Kunstakademien, Ausstellungsräume, Galerien, Werkstätten, Archive, kreative Festivals und so weiter. Der zweite große Vorteil: Ich komme sofort mit den Menschen in Kontakt, mit denen ich mich austauschen will – und habe direkt inspirierende Gespräche.

Wie sieht für dich ein perfekter freier Tag aus – ob zuhause oder unterwegs, ganz ohne Arbeit? Schöne Frage! Das kann Verschiedenes sein. Zum Beispiel mit einem guten Freund ein paar Ausstellungen und Museen besuchen. Oder eine lange Radtour, allein oder mit Freund:innen. Oder ziellos durch eine unbekannte Stadt mit meiner Partnerin streifen.

Was steht bei dir als Nächstes an – gibt es aktuelle oder kommende Projekte, die du schon verraten kannst? Es laufen immer viele Projekte parallel. Momentan arbeite ich an mehreren langfristigen Projekten, die mit Architektur und Neubauten zu tun haben. Ich kann schon verraten, dass ich für ein Bauprojekt mehrere Tore entwerfe – eine Art angewandte Kunst im öffentlichen Raum. Außerdem entstehen aktuell einige Teppiche, sehr große Gemälde, Kleidungsstücke, neue Arbeiten, ein paar Performances – und ich zeichne sowieso immer weiter.

Welche Menschen, Bücher, Orte oder Erfahrungen inspirieren dich immer wieder aufs Neue? Ich kaufe viele Bücher – um mir eine Sammlung rund um meine Interessen aufzubauen. So kann ich immer wieder eines zur Hand nehmen, wenn ich es brauche. Eine ältere Obsession von mir ist es, in die Skizzenbücher von Künstler:innen zu schauen, die ich bewundere. Daraus ist inzwischen eine kleine Sammlung von Büchern über Skizzenbücher entstanden. Ich greife oft zu einem davon – das motiviert mich enorm, noch mehr zu zeichnen!

Vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke euch!

(c) THE DORF, 2025
Text/Interview: Tina Husemann
Fotos: Guido de Boer
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