Public Art – Litfaßsäule als Massenmedium (Vol.II)

Packt das iPad weg, die Litfaßsäule is back! Das Kunststudierenden-Projekt Public Art – Litfaßsäule als Massenmedium (Vol.II) verwandelt unser Dorf ab dem 28. Januar in eine Plattform für öffentliche Kunst. Auf 250 Litfaßsäulen sind insgesamt 38 Motive zu sehen, die verschiedenste Themen behandeln. Wer und was dahintersteckt und warum der Zwischenruf der Studierenden gerade jetzt so wichtig ist, erzählt uns der Projektleiter Rozbeh Asmani. 

Während die Allgemeinheit versucht ruhig zu bleiben und Däumchen zu drehen, bis man die Stadt und ihre coolen Locations wieder sorglos genießen kann, bleibt die Kunstszene weiterhin in Bewegung. Schon seit Monaten stellen Künstler*innen und Kollektive ihre Kreativität in spannenden Konzepten unter Beweis, damit ihre Kunst weiterhin die Außenwelt erreicht. 

Ab dem 28. Januar macht ein neues, umfangreiches Projekt in Düsseldorf Halt: Unter dem Titel Public Art – Litfaßsäule als Massenmedium (Vol.II) startet eine temporäre künstlerische Intervention von Studierenden der Universität Greifswald und der Kunsthochschule für Medien in Köln. Auf unbestimmte Zeit werden in der ganzen Stadt 250 Litfaßsäulen mit insgesamt 38 Motiven der Studierenden plakatiert. In Zeiten, in denen sich der Großteil des Alltags in den eigenen vier Wänden abspielt, werden Spaziergänge durch die Stadt zu Highlights und Veränderungen in der Stadt zu einer gewünschten Abwechslung vom digitalen Bildschirm. Für alle zugänglich, erreichbar und kostenlos.

Rozbeh Asmani ist der Leiter des Projekts und Professor am Lehrstuhl für Neue Medien und angewandte Grafik im Bezugsfeld Bildender Kunst. Im Gespräch mit THE DORF erzählt er von der Zusammenarbeit der Universitäten, dem Standort Düsseldorf und der sich verändernden Position von Kunst.

Wo liegt die Verbindung zwischen der Uni Greifswald, der Kunsthochschule Köln und Düsseldorf? An der Kunsthochschule für Medien in Köln habe ich studiert. Meine eigene künstlerische Arbeit konnte ich 2019 auf 250 Litfaßsäulen in Düsseldorf zeigen und letztes Jahr wurde ich zum Professor für Neue Medien und angewandte Grafik in der Bildenden Kunst an die Universität Greifswald berufen. Jetzt möchte ich den Studierenden die Möglichkeit geben, ihre künstlerischen Ideen zu realisieren. Der hochschulübergreifende Austausch zeigt, dass die Zusammenarbeit aktuell besonders förderlich, fast notwendig ist, um künstlerisch tätig zu sein. Die Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien, Ilg Außenwerbung und Nordplakat beweist, dass auch in schwierigen Zeiten neue und spannende Projekte entstehen können. 

Sind die Plakate nur in Düsseldorf zu sehen oder auch in Köln & Greifswald? Bereits zum ersten Lockdown wurden 49 Litfaßsäulen und Großflächen im Rahmen eines Seminars mit Studierenden in Greifswald gestaltet. Diesen Winter geht die Kunstaktion im öffentlichen Raum von Düsseldorf in die zweite Runde und nimmt eine andere Dimension und damit auch überregionale Sichtbarkeit ein. Das stellt eine Besonderheit dar, denn so eine Aktion über mehrere Bundesländer zu planen ist nicht einfach. An dieser Herausforderung wachsen auch die Studierenden, die aufgrund der verschärften Reisebeschränkungen nicht die Möglichkeit haben, nach Düsseldorf zu fahren, um ihre eigenen Plakate anzusehen. 

Inwiefern hat sich das Projekt im Vergleich zu der ersten Umsetzung im August verändert? Das Projekt im Sommer war wesentlich ruhiger und familiärer. Wir haben eine Radtour zu allen Plakatflächen gemacht, vor Ort diskutiert, die Stadt kennengelernt und anschließend im Garten gesessen und angestoßen. Aktuell sind Galerien, Museen und nahezu alle kulturellen Institutionen geschlossen. Das öffentliche Leben wurde radikal zurückgefahren. 

Das aktuelle Projekt ist der Versuch eines Aufbäumens, ein Appell zum Weitermachen in Zeiten der kulturellen Dürre. Wie schon zum ersten Lockdown habe ich versucht, lösungsorientiert zu denken und neue Möglichkeitsräume zu erkennen. Künstler*innen sollten anpassungsfähig sein und es ist besser ein Licht zu entzünden, als über die Dunkelheit zu schimpfen. 

Gibt es bei den Motiven einen thematischen Rahmen? Neben den formalen Druckvorgaben der Plakate sowie den üblichen Ausschlusskriterien gewaltverherrlichender, sexistischer und rassistischer Inhalte im öffentlichen Raum, gab es keine inhaltlichen Einschränkungen. 

Eine verbindende Klammer ist der öffentliche Raum. So habe ich stets gefragt: Wo liegt der Mehrwert darin, das Motiv auf einer Litfaßsäule im öffentlichen Raum zu zeigen? Viele der Themen bewegen die Studierenden aktuell, wie der Klima- und Tierschutz, Genderfragen, Digitalisierung oder die aktuelle Pandemie. Genauso sind aber auch Entwürfe dabei, die sich mit rein ästhetischen Fragestellungen von Form, Farbe und Material auseinandersetzen. 

Wurden die Werke extra für diese Aktion gestaltet oder gab es sie schon und sie wurden anlässlich dieser Aktion gedruckt? Die Werke entstammen der jeweiligen künstlerischen Auseinandersetzung der Studierenden. Manche hatten von Beginn an klare Vorstellungen was sie zeigen wollten. Andere haben erst im Seminar einen eigenständigen Ansatz entwickelt. Die einmalige Möglichkeit, etwas öffentlich und in Düsseldorf zu zeigen hat die Entwürfe auch verändert. 

Wie wurde entschieden, welche Werke ausgestellt werden? Gab es einen Wettbewerb oder ähnliches? Es gab keinen Wettbewerb, weil die Grundsituation diesen nicht erfordert hat. 250 Litfaßsäulen boten genug Raum für alle, die interessiert waren mitzumachen. Ich denke auch, dass ein Wettbewerb in der aktuellen Situation kontraproduktiv wäre. Ein inklusives Prinzip hingegen fördert die Vielfalt und Diversität der Entwürfe. Die Herausforderung stellte sich den Studierenden eher persönlich: Wo keine gute Idee existiert, entsteht kein Konzept und somit keine Realisierung. Wenn man sich hingegen auf das Projekt einlässt, steht der Name drunter und die Kunst ist in der Stadt sichtbar. Das fördert das Selbstverständnis als Künstler*in. 

Werden die Werke nur auf der Straße zu sehen sein? Werden digitale Möglichkeiten wie Instagram/YouTube/Facebook genutzt? Wir nutzen die sozialen Medien, um auf das Projekt und die Vision aufmerksam zu machen, aber entlang der Motive wird sichtbar, dass die Studierenden gerne großflächig arbeiten und zudem ein Bedürfnis haben, außerhalb des digitalen Raums tätig zu werden. Weg vom Bildschirm und der muffigen Quarantäne, raus an die frische Luft. 

Momentan sind die Studierenden mit der digitalen Lehre überfordert. Kunst digital zu vermitteln ist zudem paradox, da sie im Wesentlichen praxisorientiert ist. Das ist so, als würde man anstelle der körperlichen Betätigung im Sport Computerspiele auf Konsolen zocken. Viele der Entwürfe leiten sich zwar aus der Auseinandersetzung mit Neuen Medien, Fotografie, 3D-Druck und 3D-Scan oder konzeptionellen Ansätzen ab. Final stehen die Plakate aber auf einem der analogsten Massenmedien überhaupt: der Litfaßsäule. 

Wo sehen Sie Kunst in der Zukunft? In Museen und Galerien ausgestellt oder als Teil eines Stadtbilds? Wird Kunst öffentlich? Heute sind die Übergänge zwischen öffentlich und privat durchlässig geworden. Das Private wird öffentlich, im Internet und in Videokonferenzen sogar oft eine Zumutung. Im öffentlichen Raum entstehen hingegen immer mehr private Bereiche, die zunehmend kommerzialisiert werden. Konzerne übernehmen Hoheitsrechte in einem Bereich, der eigentlich allen Bürger*innen gehören sollte. Nehmen wir einmal die Litfaßsäule als Beispiel: Während der Industrialisierung wurden in den Metropolen Berlin und Paris freistehende Säulen aufgestellt, um das „wilde” Plakatieren, dass man auch als „Hautausschlag der Stadt“ bezeichnete, zu ordnen. 

Im Laufe ihrer 165-jährigen Geschichte ist die Litfaßsäule zu einem der einflussreichsten Massenmedien der modernen Gesellschaft aufgestiegen. Sie ist heute über ihre Funktion zur Regulierung von Information, Werbung und Unterhaltung hinaus, zur Projektionsfläche für Kommunikation und Kunst im öffentlichen Raum geworden. Was aber, wenn darauf nichts Mitteilsames mehr steht, sondern lediglich leere Flächen die Säule umhüllen, wie es derzeit oft zu sehen ist? 

Der öffentliche Raum kann nicht als wichtigerer Ort der Kunst ausgerufen werden, um damit die Museen und Galerien als weniger relevant bezeichnen zu können. Diese Orte lösen sich nicht gegenseitig ab, sondern bedingen und inspirieren sich gegenseitig und werden immer parallel existieren, da sie ihrer eigenen Zielsetzung folgen. 

Vielen Dank.

Online könnt Ihr die Aktion ab dem 28. Januar unter #cdfi_greifswald oder auf der Website verfolgen. Dort findet Ihr auch eine Standortliste der Litfasssäulen.

Text/Interview: Maren Schüller
Fotos: Jürgen Auerswald/Andreas Endermann
© THE DORF 2021

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