TAKE IT LIKE A MAN. Unter Karosserien und Kompostwürmern

Pflanzenfresser zu sein, wäre erstrebenswert. Aber so ein Wildschweinbrötchen kann – so zeigten es THE AGENCY in Düsseldorf – das Potential entfalten, nach Orakel zu schmecken. Ganz besonders, wenn man nach dem Verzehr in die postneomaskuline Welt von TAKE IT LIKE A MAN abtaucht. TAKE IT LIKE A MAN, eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen und dem FFT Düsseldorf, war am 17. und 18. Oktober 2019 im ERGO IPSUM auf der Herzogstraße 89 zu sehen.

Unser vertrauenswürdiger Fährmann heißt dabei Ronny, ‚the Man‘, der uns vom Gestern erzählt und uns ganz sanft in die garagenähnliche Unterwelt von Morgen lenkt: „Ob dann was Neues beginnt, wissen wir nicht. Wir sind da, um uns vorzubereiten.“

THE AGENCY – das sind Belle Santos, Yana Thönnes, Magdalena Emmerig und Rahel Spöhrer, die diesmal nicht als Agentur, Fitnesssekte oder Coaches in Erscheinung treten. Im ERGO IPSUM, einem ehemaligen Versicherungslager, dessen kulturelle Zwischennutzung ebenso wie die der Botschaft am Worringer Platz in absehbarer Zeit enden wird, konfrontieren uns THE AGENCY mit den Filterblasen und Echokammern toxischer Männerbewegungen: wütend, weiß und frauenfeindlich wie die ‚Incels‘. Pelz liebend wie die ‚Furries‘.

Wir lernen: Only real man can lick a pussy. Wichtig dabei: to be prepared, allzeit bereit wie die Preppers! Oder dann doch lieber eine etwas defensivere Männerbewegung gründen? Wie wäre es mit den ‚Herbs‘, in Sympathie mit den herbivoren Männern in Japan, bei denen die Abkehr von Fleisch wie Wildschwein auch fleischliche Lust im übertragenen Sinne meint.

Die maskuline Utopie entwirft dabei ganz neue Protagonisten*: Man begegnet dem imposanten Boxer, dessen Stola zwischen Krönungsornat und Kuscheltuch changiert. Man folgt der fragil-neurotischen Motorik eines empathisch-anschmiegsamen Wesens, dessen Kopfbedeckung einer Narrenkappe ähnelt. Und indessen verunsichern die Machismo-Posen zweier Hybride aus Tier und Mobil: Auf den Vorderfüßen wandelnd, sendet das eine sein Geschlecht – ob Vulva, Penis oder Sternchen – seismographisch in den Raum, während das andere den Aggressor mimt, sein Fahrgestell verlässt und seine Körpermitte gen Gegner*in richtet. Posen, die ihnen nicht (mehr) gehören, so scheint es.

Immer wieder formieren sich an diesem Abend fragile Organismen als autopoietische Gefüge aus Karosserie, Körper und Klang. Mal wird ein Automobil beatmet und mit 1-3 PS = Performer*stärken in Bewegung versetzt. Mal fügen sich Körper in ein Fahrzeug ein, dass nur seiner Silhouette nach nach Auto aussieht. Auch wenn zwischendrin Alan Weisman‘s Idee einer „World without us“ aufscheint, wohnt man immer wieder außergewöhnlich zärtlichen Momenten der Kontaktaufnahme zwischen den Spezies bei: wuchernde Annäherungsversuche, die an Initiationsriten – rites de passage – erinnern, an dessen Ende gravierende Transformationen stehen.

Sich solidarisieren heißt in TAKE IT LIKE A MAN dem Körper des anderen – und damit auch seinem eigenen Körper – zu Neuem verhelfen. „Ob dann was Neues beginnt, wissen wir nicht.“ Die wehenden Fahnen lassen nur ahnen, welche Leitwörter gestern galten und welche morgen gelten sollen: Empathy versus Restriction, Care versus Drill, Depowerment versus Contamination.

Ebenso einvernehmend wie die zum Leben erweckten Kreaturen sind die Soundscapes des Abends: Es klingt, als rausche Wasser, als surrten Insekten, als brummten Mauern, als ergäben wir samt dem Gebäude einen einzigen sich formierenden Organismus. Bereit, sich zu wandeln. Auch wenn die drei Solisten des Münchner Knabenchors den „Chor der ausgestorbenen Tiere“ anstimmen, steht am Ende die Frage an den unermüdlichen Kompostwurm, den Ronny, ‚the Man‘, als Haustier hält: „Gibt es da draußen genug Erde für uns alle?“ Das FFT Düsseldorf sagt ja und empfiehlt, sich an THE AGENCY zu halten.

TAKE IT LIKE A MAN, eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen und dem FFT Düsseldorf, war am 17. und 18. Oktober 2019 im ERGO IPSUM auf der Herzogstraße 89 zu sehen. In 2020 geht die Produktion an die Münchner Kammerspiele.

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Text: Verena Meis
Fotos: Dirk Rose

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