Am 2. Dezember 2020 hätte die Sängerin Mariama im Rahmen der Fem_Pop Konzertreihe eigentlich endlich mal wieder Musik auf die Bühne des zakk gebracht. Aber leider kommt es wie es kommen musste: Auch dieses Konzert kann nicht stattfinden. In einem Zoom-Meeting von Düsseldorf nach Berlin, wo Mariama es sich bald auf einem Hausboot gemütlich macht, um an neuen Songs zu arbeiten, sprachen wir mit ihr über ihre bisherigen Erfahrungen im Musikbusiness, gesellschaftliche Entwicklungen und natürlich die Coronakrise.
Mariama ist eine Künstlerin, die sich nicht von Grenzen einengen lässt. In ihren Songs verarbeitet sie Elemente aus Reggae, Folk und westafrikanischer Musik. Dabei entstehen Popsongs, die mit einer verträumten Leichtigkeit von Genre zu Genre springen, dabei aber immer nach Mariama klingen. Immer überraschend, immer tiefehrlich, immer berührend. Sie vereint ihre afrikanischen Wurzeln mit der Heimatstadt Köln und ist am liebsten unterwegs. Eine besondere Verbindung hat die Sängerin zu Frankreich, wo sie lange gelebt und ihr erstes Album veröffentlicht hat. Das zweite Album “Love, Sweat and Tears” erblickte 2019 das Licht der Öffentlichkeit – und das nicht mehr nur in Frankreich, sondern weltweit.
Vor einem Jahr wurde Dein zweites Album nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland & weltweit veröffentlicht. Was hat sich seitdem für Dich verändert? Bei meinem ersten Album habe ich in Frankreich gelebt und es bei einer französischen Plattenfirma herausgebracht. Beim zweiten Album hat man dann schon gemerkt, dass das Album generell mehr auf deutschen Radiosendern gespielt wurde, neben Radio Cosmo, die mich schon immer unterstützt haben. Außerdem wurde das Album in Großbritannien und Brasilien im Radio gespielt, da habe ich eine Weiterentwicklung bemerkt. Interessanterweise habe ich durch den Release meinen Lebensmittelpunkt wieder mehr nach Deutschland verlegt – früher war ich privat viel mehr in Frankreich unterwegs.
Wie kam es zu der Entscheidung das zweite Album in Deutschland und weltweit zu releasen? Bei meinem Debütalbum hätte ich die Möglichkeit gehabt, auch über deutsche Labels zu releasen, aber meine französische Plattenfirma hat das blockiert. Meine Reaktion darauf war, dass ich mein zweites Album selber produziert, lizensiert und vertrieben habe, sodass ich mehr Entscheidungsfreiheit hatte. So wurde mein Album in Frankreich digital und physisch vertrieben und gleichzeitig konnte ich es gesondert in Deutschland anbieten. Seitdem habe ich immer mehr den Wunsch, nicht von Strukturen oder den Entscheidungen anderer abzuhängen.
Deine Musik wird der afrofuturistischen Bewegung zugeschrieben. Inwiefern kannst Du Dich damit identifizieren? Diese ganzen Zuschreibungen nehme ich eigentlich ziemlich entspannt. Ich finde total interessant, dass gerade viele richtungsweisende Musikproduktionen aus afrikanischen Ländern wie Nigeria, Südafrika oder Ghana kommen und den Rest der Welt beeinflussen. Als Künstlerin sehe ich mich als Teil dieser afrikanischen Diaspora, trage meinen Teil aber von hier aus dazu bei. Ich würde nicht hingehen und sagen “Ich will jetzt eine Produktion wie die nigerianischen Afrobeats”, denn ich will keine Identität annehmen, die nicht meine ist. Viel eher will ich gucken was aus Deutschland oder Europa kommen kann und Teil der richtungsweisenden afrikanischen Diaspora ist. Was ist musikalisch und thematisch das, was ich dazu beitragen kann? Afrofuturismus ist ein Begriff, gegen den ich nichts habe, aber ich lasse mich grundsätzlich nicht von Definitionen einschränken. Viel eher schaue ich wo ich stehe und wie ich das, was in meinem künstlerischen Prozess gerade stattfindet, umsetzen kann.
Anfang November hast Du einen alten, unveröffentlichten Song von Dir auf Instagram gepostet. Arbeitest Du bereits an neuem Material? Der Song war wie eine Erinnerung von meiner Vergangenheit an mich. Oft höre ich mir meine alten Sachen gar nicht mehr an, aber in dem Moment hat er mich gepackt, weil es um Hoffnung geht und darum, den neuen Tag immer wieder als eine Chance anzusehen und auch in dunkleren Zeiten nicht aufzugeben – passend zum Lockdown. Tatsächlich arbeite ich gerade an neuen Songs und werde den November nutzen, um mich zu isolieren und zu schreiben. Ich möchte das Songwriting jetzt so angehen, dass ich mich wieder mit dem verbinde, was mich an dem alten Song so berührt hat. Diese Anfangsenergie aus einem meiner ersten überhaupt fertig produzierten Songs nehme ich mit in die neue Schreibphase. Ich möchte während des Schreibens viel am Fluss sitzen und ins Wasser gucken.
Die Zuversicht eines Teenagers kann man sich wieder zurückholen, man braucht sie jetzt gerade. Man sollte einfach mit einem offenen Herzen in den Tag gehen und sagen: Hey, es kann heute alles passieren! Egal, wie viele Konzerte oder Pläne man als Künstler schon verloren hat, es kommt immer was Neues. Das versuche ich jetzt zu sehen. Dieses Jahr ist ja auch viel Neues passiert: Ich weiß, dass ich anders Entscheidungen treffen werde und ein bisschen ruhiger geworden bin durch diesen Lockdown. Ich glaube, dass ich in Zukunft mit einer anderen Art von Ruhe meine Entscheidungen treffen werde – das finde ich total gut.
Du äußerst dich politisch auf Instagram – wie wichtig ist dir eine öffentliche Haltung als Künstlerin? Es ist nichts, das ich von irgendwem verlangen würde, aber für mich ist das normal. Ich finde mich noch nicht mal wirklich politisch, für mich sind das einfach Themen, die in der Gesellschaft stattfinden, die ich interessant finde und nicht ignorieren kann. Dementsprechend will ich mich dazu äußern und die Menschen unterstützen, die sich dazu äußern. Indem man Stimmen zu Seawatch oder Seebrücke teilt und immer wieder ins aktuelle Bewusstsein der Leute ruft, ist das auch eine Unterstützung ihrer Arbeit. Ich finde das unglaublich wichtig. Oft bin ich selbst involviert, indem ich bei Kundgebungen, Demonstrationen oder Petitionen mitmache. Und ich finde, dass man das den Leuten ruhig zumuten kann.
Wie erlebst Du den Umgang mit dem politischen Zustand der Welt in der Musikbranche zurzeit? Ich finde den Umgang von manchen Leuten mit der aktuellen Lage schon echt gut und es gibt viele Leute, die sich konstant zu bestimmten Themen äußern oder eine Haltung haben. Es gibt Themen, die uns alle angehen und schwierig zu ignorieren sind – gerade, wenn es um unsere Gesellschaft und Umwelt geht.
Besonders stark sind mir in letzter Zeit Menschen aufgefallen, die sich eine Identität aufgebaut haben, indem sie sich von Schwarzer Kultur haben inspirieren lassen und dann zum Thema BlackLivesMatter schweigen – das ist stilles Ausüben von White Privilege und geht meiner Meinung nach nicht. Angenommen du kommst aus einer deutschen Vorstadt und bist irgendwann mit HipHop, Reggae oder Soul in Kontakt gekommen und dachtest dir: Das will ich auch machen! Dann bedienst du dich an einer Geschichte, die komplett mit Schwarzer Kultur verbunden ist, also auch mit Unterdrückung, Leid, Marginalisation. Du kannst diese Themen nicht ignorieren, wenn du diese Musik konsumierst. Es gibt Leute, die es schaffen eine Haltung dazu zu haben, sich klar antirassistisch verhalten, auf Missstände aufmerksam machen und respektvoll mit dieser Kultur umgehen. Es gibt aber auch Leute, die sagen “Wir sind doch alle gleich” und das reicht dann für die. Das ist die absolute Ausübung von einem Privileg, gegen das sich diese Kultur wendet. Das finde ich absurd und habe da auch im Moment nicht die Geduld für.
Ich finde es total interessant zu sehen, dass es auf einmal Leute gibt, die auf langfristige Sicht ihr Privileg erkannt haben. Das haben wir ja alle irgendwo. Es gibt Dinge, die ich nicht mehr ignorieren kann, sobald ich von ihnen erfahren habe. Deshalb bin ich zum Beispiel vegan geworden, weil ich diese Umweltverschmutzung, -zerstörung und Massenproduktion von Leid nicht mittragen kann. Sowas würde ich mir auch auf einer sozialen Ebene wünschen. Wenn man sich schon mit einer Kultur identifiziert und darüber seine Identität aufbaut, sollte man auch hinschauen, statt die Dinge zu ignorieren.
Frauen werden im Musikbusiness immer noch oft genug als Besonderheit gesehen. Kollektive wie Fem_Pop arbeiten dagegen an. Wie siehst Du die Entwicklung momentan? Ich finde den Status quo ziemlich frustrierend. Man will sich ja nicht in eine Opferrolle stecken, das mochte ich noch nie. Aber es gibt Initiativen wie Shequality oder She Is The Music, die Statistiken zu Charts oder Festivals veröffentlichen und die stehen in keinem Verhältnis zu den ganzen Frauen, die ich kenne, die Musik machen. Da denke ich: Es kann nicht daran liegen, dass es nicht genug Musikerinnen gibt, sondern da ist immer noch eine große Ungleichheit. Diese Ungleichheit zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Frauen bekommen immer noch niedrigere Gehälter und sind seltener in Führungspositionen vertreten. Es macht also Sinn, dass es in der Musikbranche ähnlich ist. Trotzdem ist diese Unverhältnismäßigkeit schlimm. Wenn man sieht, dass 80% der Charts von männlichen Künstlern dominiert werden, dann bedeutet das natürlich auch für einen selbst etwas. Die eigene Chance irgendwo stattzufinden reduziert sich auf die verbleibenden 20 Prozent – wenn überhaupt. Das finde ich krass, weil das ja auch heißt, dass die Leute nicht unbedingt nach Qualität aussuchen. Es gibt so viele Frauen, die tolle Musik machen. Wieso sollten sie nicht gehört werden?
Hat sich in den letzten Jahren deiner Meinung nach etwas verändert? Ich sehe immer wieder Veranstalter und Events, die das Ganze zum Thema machen. Die Fem_Pop-Reihe finde ich total cool und kannte sie schon, bevor sie sich bei mir gemeldet haben. Das Konzept, exklusiv weibliche und non-binäre Künstler zu präsentieren, um ein Gegengewicht zu schaffen, finde ich richtig gut. Es passiert schon immer mehr, aber dadurch, dass in der Industrie viele Entscheidungsträger immer noch Männer sind, ändert sich das nur sehr langsam. Auf der Künstlerseite gibt es genug Künstler*innen, die sich dafür einsetzen, aber für eine schnelle Veränderung müsste sich eben auch von der Industrieseite etwas ändern. Vielleicht müssten mehr Frauen Labels oder Verlage leiten, und den Mut haben das alles wirklich ändern zu wollen. Nur weil man eine Struktur führt, heißt das ja noch lange nicht, dass man nicht auf Gegenwind stößt, wenn man versucht Dinge zu verändern.
Was hilft Dir durch die Pandemie? Wie/Wo schöpfst Du Kraft? Sport oder Yoga in meinen Tag einzubauen tut mir total gut. Musik machen hilft natürlich. Mich mit den Instrumenten auseinanderzusetzen, die ich spiele bzw. spielen können will. Rausgehen. Die schönen Herbsttage nutzen. Ich glaube es ist auch ok, wenn man ab und zu mal mit allem überfordert ist und sich zurückzieht.
Es gibt auch Menschen, die unter diesem Produktivitätswahn, der seit Anfang der Pandemie zum Vorschein kommt, psychisch leiden. Leute, die echte Schwierigkeiten mit dieser Unsicherheit haben oder deren Existenz bedroht ist. Es gibt so viele Ebenen, auf denen es für Leute schwierig ist. Man sollte sich nicht so unter Druck setzen. Wenn man von sich selbst nichts verlangt, hilft das glaube ich. Wenn ich heute aufstehe und merke, dass ich schockiert bin vom Zustand der Welt und einfach mal eine Runde schlafen muss, dann ist das doch auch ok.
Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass wir in einer Ausnahmesituation sind und es total normal ist, wenn man mit emotionalen Zuständen zu tun hat, die schwierig sind, wie Angstzustände, Ungewissheit oder Rastlosigkeit. Um sich nicht mehr so einsam mit diesen Emotionen zu fühlen, kann es helfen sich bewusst zu machen, dass es Menschen gibt, die schon lange mit diesen Zuständen zu tun haben. Normalerweise kann man diese Zustände nicht wirklich greifen, aber momentan kann man vielleicht in etwa nachvollziehen, wie sich eine Angststörung anfühlen könnte. Oder wie es sich anfühlt, ums Überleben kämpfen zu müssen, denn es gibt immerhin Menschen, die das jeden Tag machen. Ich glaube es hilft, diese Erfahrung, die man macht, in einen Kontext zu setzen.
Inwiefern beeinflussen Corona & die Einschränkungen die Arbeit an Deiner Musik? Was hat sich geändert? Beim ersten Lockdown konnte ich gar nicht wirklich schreiben. Da ist mir aufgefallen, dass ich das kreative Arbeiten immer so nebenbei gemacht habe, am besten konnte ich das, wenn ich unterwegs war. Ich war sehr viel unterwegs. Wenn man dann die ganze Zeit zuhause sitzt, fällt es schwer, in den gleichen Zustand zu kommen. Das hat erstmal nicht so gut geklappt. Durch eine Anfrage für ein Feature hat sich das geändert. Da hatte ich eine Deadline, eine Produktion und eine Richtung, in die es gehen sollte, das hat funktioniert. Aber ich musste mich umstellen. Aus diesem Prozess für das Feature hab ich auch meinen eigenen Schreibprozess verändert: anders rangehen, vorher recherchieren, thematisch, inhaltlich, mir selbst eine Deadline setzen, das hab ich vorher immer mit Studioproduktionen gemacht. In der aktuellen Situation muss ich mir selbst Fixpunkte setzen. Jetzt werde ich mich von allem zurückziehen, mich in ein Hausboot verziehen und einfach schreiben, das hab ich vorher auch nie gemacht. Ich wollte so nah wie möglich am Wasser sein, weil mir irgendwas gesagt hat, ich muss aufs Wasser schauen, um diese Songs zu schreiben.
Was denkst Du, wird sich “nach” Corona ändern? Was können wir aus der Krise mitnehmen? Ich bin vorsichtig damit auf Änderungen zu hoffen, zum Beispiel was das Reiseverhalten angeht. Ich glaube, es wird in vielerlei Hinsicht so sein, dass die Leute sich, sobald es wieder geht, wie vorher weiterbewegen. Was ich mir vorstellen könnte und gut fände, ist, dass gewisse Missstände in der Gesellschaft, die durch diese Krise deutlicher geworden sind, weiter präsent bleiben und dauerhaft in den Medien stattfinden. Ich würde mir wünschen, dass eine Form von Empathie entsteht, die über das eigene Leid, das Leid der Familie oder der Nachbarn hinausgeht. Und man stattdessen sagt: Okay, wenn ich jetzt hier schon kämpfe, wie ist das eigentlich mit den Leuten, die immer kämpfen müssen, auch ohne Corona? Wenn ich gerade Angst habe mein Zuhause zu verlieren, wie ist das mit Leuten, die dort, wo sie leben, sowieso kein Zuhause mehr haben? Die dort, wo sie leben sowieso keinen Job finden? Ich würde mir wünschen, dass man mehr Verständnis aufbringt für die Situation anderer Menschen. Das ärgert mich auch bei den Querdenkern immer total. Denen geht es nur um ihre eigene Situation. Da steht keiner und weist auf die Seenothilfe oder die pleitegehenden Geschäfte hin. Es geht nur darum, dass sie keine Maske tragen wollen.
Worauf freust Du Dich am meisten, wenn Normalität eingekehrt ist? Veranstaltungen mit vielen Menschen. Dass man sich wieder nah sein darf, dass man wieder einen Abend verbringen darf, wo man vielen Menschen um den Hals fällt. Dass man wieder auf Konzerte gehen kann, die total vollgepackt sind. Dass man auch wirklich nicht jede menschliche Begegnung abwägen muss.
Welche Musiker haben Dich geprägt und inspiriert und tun es noch heute? Viele Songwriter inspirieren mich, aber zu meinen All-Time-Top-3 gehören:
Sade, Miriam Makeba & Joni Mitchel
Was vermisst Du, wenn du auf Tour bist? Mein Bett.
Deine Lieblingsroute zum Spazierengehen, Schlendern, Kopf-Frei-Kriegen? In Köln gehe ich sehr gerne über den Grüngürtel zwischen Aachener Weiher und dann hoch zum Herkulesberg. Ich mag auch die Ruhe auf Friedhöfen. In Köln den Melaten Friedhof und in Paris Père Lachaise. In Berlin laufe ich gerne zum Tempelhofer Feld oder am Maybach Ufer lang.
Gibt es Plätze oder Orte in der Stadt, die Dich in Deinem Job inspirieren? Ich mache sehr gerne Outdoor Office im Vevi Café in Köln oder setze mich bei gutem Wetter bei meinem lieben Freund von bob 10.5.10 vor seinen Laden am Brüsseler Platz auf die Bank. Da kann ich mich besser konzentrieren als zuhause und bin von lieben Menschen und schöner Einrichtung umgeben.
Welches Buch liegt aktuell auf dem Nachttisch? Women who run with the wolves von Dr. Clarissa Pinkola Estes und Der Gang vor die Hunde von Erich Kästner
Aktuell läuft in deiner Playlist/deinem Plattenspieler? Diese Playlist hier habe ich zusammengestellt aus Liedern, die ich alle auf repeat hören kann. Die läuft sehr oft im Moment.
Danke!
Text: Maren Schüller
Fotos: Akatre