Diana Ezerex

Diana Ezerex © Judith Ezerex

Wie es sich anfühlt in der eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden, haben die meisten von uns erst letztes Jahr im Zuge der Pandemie erfahren. Für Gefängnisinsass*innen sind vehemente Einschränkungen des Lebens jedoch Alltag. Dabei bleibt meist auch das Erleben von Kultur auf der Strecke. Die Sängerin Diana Ezerex tritt seit vier Jahren mit ihrer Musik in Gefängnissen auf, thematisiert gesellschaftliche Problematiken in ihren Songs und ist am 4. Juli 2021 in Düsseldorf beim Asphalt Festival zu Gast. THE DORF hat die Künstlerin im Interview näher kennen gelernt.

Diana Ezerex vereint soziales Engagement mit Urban Pop und arbeitet gegen die Isolation von inhaftierten Menschen an. In ihren Songtexten befasst sie sich mit Themen der Vergangenheit, Gegenwart und Perspektive und greift Tabu-Themen, strukturelle Probleme und soziale Ungerechtigkeiten auf. Das Gefängnis spielt dabei immer eine direkte oder indirekte Rolle. Ihr Debütalbum „My Past’s Gravity“, das am 25. Juni 2021 erscheint, präsentiert sie am 4. Juli 2021 im Rahmen des Asphalt Festivals zum ersten Mal live unter freiem Himmel auf der Seebühne im Schwanenspiegel.

Neben Release und einigen Open Air-Konzerten hat die Kulturvermittlung-Studentin aus Biberach allerdings noch einiges mehr als „nur“ ein Debütalbum in der Pipeline. Mithilfe von Musikvideos zu jedem Song, eines Buchs, Theaterstücks und Kurzfilms, kreativer Workshops für Jugendliche, Projekten mit Jugendorchestern, einer Remix-Version des ganzen Albums sowie einer Benefizausstellung zugunsten kreativer Resozialisierungsmaßnahmen engagiert Diana Ezerex sich zusammen mit Künstler*innen und Studierenden aus Europa dafür auf verschiedenen Ebenen auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. THE DORF traf die engagierte Künstlerin zum Gespräch und bekam Einblicke in ihre Arbeit und ihre Motivation.

Für Leute, die Dich und Deine Musik nicht kennen, wie würdest Du Deinen Musikstil beschreiben? Energetisch, basslastig, intensiv, aber auch fröhlich und optimistisch!

Wie bist Du zur Musik gekommen und wann hast Du damit angefangen? Ich bin mit Musik aufgewachsen, in unserem Haushalt lief immer viel Musik. Meine Schwester und ich haben früh Instrumente gelernt und wurden musikalisch immer gefördert. Ich war lange im Schulchor, habe immer mal wieder in kleinen Formationen gespielt, jedoch nie mit der Ambition daraus etwas zu machen. Die Musik war einfach schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Mit 9 Jahren habe ich angefangen Songs zu schreiben, und mir später Klavier und Gitarre beigebracht, hatte außerdem Saxophonunterricht – es lief alles auf die Musik zu.

 

Wann kam der Moment, wo Du dachtest, man könnte wirklich etwas Berufliches aus der Musik machen? In meinem Auslandssemester wurde ich gefragt, was ich nach der Bachelorarbeit machen möchte. Meine Antwort war: „Ich gehe auf Tour!“ Im Herbst habe ich den Plan umgesetzt und habe 10 Konzerte gespielt. Da wurde mir klar, dass ich Lust habe, mehr Energie in die Musik zu stecken. 

Welche Tabuthemen behandelst Du auf Deinem Debütalbum und wieso meinst Du, werden diese in der Gesellschaft tabuisiert? Die Themen auf meinem Album haben alle einen direkten oder indirekten Bezug zum Gefängnis. Ich habe schon viel offene Jugendarbeit gemacht, bei der es bezüglich der Themen auch viele Parallelen gab. Es geht um soziale Ungerechtigkeit. Menschen werden aufgrund von Äußerlichkeiten diskriminiert. Das bezieht sich natürlich auf die Herkunft, aber es gibt noch so viele andere Gründe, wieso wir Menschen missbilligend anschauen. Das hat eine große Wirkung auf Menschen. Der Spruch „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert“ ist nicht nur ein witziger Reim, sondern bedeutet auch: Wenn viele Leute generell schon ein schlechtes Bild von mir haben, wieso soll ich dann die Kraft aufbringen, ihnen das Gegenteil zu beweisen? 

Es geht auch darum, wie stark die Herkunft von Menschen ihren Werdegang beeinflussen kann. Klar ist das manchmal gut – wenn man in einem Akademikerhaushalt aufwächst und alles schön ist, kann man das auch so weiterführen. Aber wenn man eben nicht so aufwächst, und niemand einem entsprechende Werte vorlebt oder die Wichtigkeit von Bildung begreift, ist die Frage, wo man es lernen soll. Solche Sachen werden in meinem Album angesprochen. 

Ich glaube, dass diese Themen tabuisiert werden, weil sie unbequem sind. Es ist anstrengend sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, vor allem, wenn sie einen persönlich nicht betreffen. Und wenn sie einen persönlich betreffen, hat man andere Sorgen, als sich Gedanken über gesellschaftliche Problem zu machen. 

Wo ordnest Du Dich in dieser Gegenüberstellung ein? Du bist selbst nicht von Problemen betroffen, die Insass*innen erleben, beschäftigst Dich aber trotzdem mit den Thematiken. Einige Themen auf dem Album betreffen auch mich auf eine Art. Ich komme auch nicht aus einem Akademiker*innenhaushalt und bin in meiner Jugend vielen Stereotypen und Erwartungen an mich begegnet – nicht im positiven Sinne. Ich kenne auch das Gefühl, dass man den Leuten das Gegenteil ihrer Vorurteile beweisen muss.  

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Wie kamst Du auf die Idee im Gefängnis aufzutreten? Das Gefängnis ist eine Parallelwelt: Man hat keinen Zugang, hört nur ein Urteil über die Dauer der Haft und dann sind die Leute einfach weg. Ich wollte den Menschen dort begegnen, denn sie sind immer noch ein Teil der Gesellschaft. Natürlich sind sie aus einem gewissen Grund weggesperrt, aber trotzdem müssen sie irgendwie erreicht werden, sei es mit Liebe, Kunst oder wie auch immer. Ich habe festgestellt, dass durch meine Musik mit Konzerten etwas möglich gemacht werden könnte. 

Wie sind die Reaktionen der Insass*innen auf Dein Projekt? Sie sind super offen, interessiert und neugierig. Je nachdem wo ich spiele, sind die Konzerte sehr emotional. Es gab schon Konzerte, wo alle geweint, oder wo alle getanzt haben. Oft haben sie Tränen in den Augen. Auch das positive Feedback der Insass*innen ist jedes Mal wieder etwas Besonderes für mich, wenn sie mir erzählen, dass das Konzert sie total berührt hat. Es ist ein großes Privileg, dass ich Menschen mit meiner Kunst auf diese Art und Weise begegnen kann.

Was hast Du durch die Gefängniskonzerte in den letzten vier Jahren für Dich persönlich mitgenommen und gelernt? Eine Erkenntnis hatte ich bei meinem ersten Besuch in einem Männergefängnis: Man sah es den Leuten nicht an. Es sind ganz normale Leute wie du und ich, die aus irgendeinem Grund einen üblen Abzweig genommen haben. Als ich das gesehen habe, gab es für mich zwei Möglichkeiten: Entweder ich werde ab jetzt paranoid und halte jeden Typen für einen Straftäter, oder ich kann diese Erkenntnis umdrehen und merken: Ich habe keine Ahnung, wo Leute herkommen, wo sie hingehen und was sie schon erlebt haben. Also möchte ich den Menschen gegenüber so nett, so freundlich und so gütig wie möglich sein. 

Natürlich stoße ich dabei regelmäßig an meine Grenzen, denn ich habe einen sehr hohen Anspruch an mich und die Menschen um mich herum und bin relativ ungeduldig. Aber ich erinnere mich immer wieder daran, dass man keine Ahnung hat, warum eine Person so oder so handelt. Es gibt immer eine Geschichte dahinter und eine Aktion ist immer die Konsequenz aus einem Dominoeffekt, der durch etwas anderes angestoßen wurde. 

Ich möchte natürlich nicht entschuldigen, was Menschen getan haben oder Ausreden finden, aber ich finde es wichtig, dass man nicht in schwarz und weiß denkt, und erkennt, dass viel mehr hinter einer Person steckt. 

Du veröffentlichst nicht nur Dein Debütalbum, sondern arbeitest gleichzeitig zusammen mit anderen Künstler*innen an viele verschiedenen Projekten wie einem Buch, einem Theaterstück, vielen Musikvideos und einer Benefizausstellung. Erzähl uns mehr! Viele Künstler*innen, mit denen ich arbeite, sind Studierende. Die Musikvideos und Kurzfilme werden größtenteils von Filmstudierenden aus Deutschland und Großbritannien produziert. Das Theaterstück wird gerade mit einer Schauspielerin und Autorin konzipiert. Außerdem arbeite ich mit der Theater-AG meiner ehemaligen Schule zusammen, die sich momentan im Zusammenhang mit dem Projekt ein Stück überlegt. Und es gibt einige Jugendorchester, die Lust haben mitzuarbeiten und Songs auf ihre Art und Weise zu interpretieren. Das finde ich sehr cool!

Das Buch ist in Arbeit. Dafür werden Texte aus dem Gefängnis gesammelt, die gerade entstehen. Ich werde auch nochmal Schreibworkshops in Gefängnissen halten, damit die Texte, die dort geschrieben werden, Teil des Buchs werden können. Für die Benefizausstellung suchen wir noch nach einer Location, aber das Konzept steht. Alle diese Projekte werden aber aufgrund der Situation auf Ende des Jahres und Anfang nächsten Jahres geschoben, denn die konkrete Planung ist einfach noch schwierig. Dieses Jahr steht erstmal die Musik im Fokus! Ich freue mich schon sehr darauf, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können.

Warst Du schonmal in Düsseldorf? Woran denkst Du, wenn Du an die Stadt denkst? Ich habe ein paar Freunde in Düsseldorf, war aber noch nicht oft da. Dass die Stadt am Wasser liegt, mag ich sehr gerne – sowas gibt einem Ort viel Lebensqualität. Ich habe das Gefühl, dass die Stadt sehr weltoffen ist und ein urbanes Lebensgefühl hat. 

Danke Dir!

Am 4. Juli könnt ihr Diana Ezerex beim Asphalt Festival auf der Seebühne live erleben! Alle Infos zum Konzert findet Ihr hier…

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Text + Interview: Maren Schüller
Fotos: Judith Ezerex
© THE DORF 2021

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