Neumatic Parlo • play it as it lays

© Mathis Ratschinksi

Nicht zum ersten Mal sprechen wir mit der Düsseldorfer Band Neumatic Parlo. Etwas besonderes ist es natürlich trotzdem, nicht zuletzt, weil es um das Debütalbum play it as it lays geht. Der erste Long Player der 2017 gegründeten Band beinhaltet zehn Tracks – bei denen von laut und düster bis hin zu nachdenklich-melancholisch alles dabei ist. Auch wenn die Texte von Leadsänger Vincent Göttler gekonnt mit Großstadtleben, Isolation und den sozialen Medien abrechnen, scheint auch immer wieder die Hoffnung durch: Die Single brightness ist ein ehrlicher Lovesong, der direkt aus den 90ern in die Gegenwart transportiert wurde. Nicht nur musikalisch zeigen sich Neumatic Parlo von einer neuen Seite – in drei Musikvideos wird die Stimmung des Albums visuell eingefangen. Im Interview verrät Vincent uns, was das Album ausmacht, wie es entstanden ist und wie viel Düsseldorf in der Platte steckt. Play it as it lays!

Wie würdet Ihr den Sound des neuen Albums Play It As It Lays in drei Worten beschreiben? Uns war es wichtig, die Energie unserer Live-Shows ins Studio zu bringen. Wir wollten einfangen, was passiert, wenn eine Band mit voller Überzeugung zusammen in einem Raum steht und die Songs mit ein paar Mikrofonen performt. Drei Wörter, die das Album beschreiben könnten, sind: vital, laut und unverfälscht.

Der Titel des Albums Play It As It Lays ist nicht nur ein englisches Sprichwort, sondern auch der Name eines Buches der US-amerikanischen Autorin Joan Didion. Wie hängt das mit Eurem Album zusammen? Ich habe das Buch gelesen, als ich mitten im Schreibprozess war. Die Protagonistin Maria beschreibt mit wenigen Worten, wie viel Hoffnungslosigkeit und Leere in einem Menschen stecken können, der in einer modernen Großstadt lebt. Nach außen führt sie ein Leben, das nicht unbedingt so wirkt, als wäre es die Hölle – und doch ist genau das der Fall. Komatös taumelt sie durch Tage und Nächte, ohne etwas zu empfinden.

Diese Abwesenheit von Körper und Geist, die emotionale Entfremdung, verstärkt durch soziale Medien, scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein. Doch Joan Didion hat es bereits 1970 geschafft, dieses Gefühl von Sinnlosigkeit und Distanz präzise zu beschreiben. Themen wie die Schattenseiten von Erfolg und Ruhm, die Didion anspricht, finden sich auch auf unserem Album. Viele Menschen glauben, dass Berühmtheit und Reichtum alle Probleme lösen können, dass Prominenz und Beliebtheit dem Leben Sinn geben. Doch Didion entlarvt diese Illusion mit ihrem nüchternen Blick auf die Gesellschaft – und genau dieser Blick spiegelt sich auch in unseren Songs wider.

Nach einigen EPs gibt es endlich das Debütalbum. Wie sah der Weg von der Konzeption bis zur Veröffentlichung für Euch aus? Die EPs waren Momentaufnahmen. Unser Label Unique Records hat uns vor ein paar Jahren dazu ermutigt, unsere vier besten – und damals praktisch einzigen – Songs aufzunehmen. Rückblickend war es ein großer Vorteil, dass wir uns für unser Debütalbum Play It As It Lays Zeit gelassen haben. Die Erfahrungen, die wir in dieser Zeit gesammelt haben, waren entscheidend, um unseren Sound als Band zu definieren.

Für das Album hatten wir deutlich mehr Songs zur Auswahl, als wir letztendlich brauchten. Das gab uns zum ersten Mal die Möglichkeit, ein Album mit einer klaren Idee zu konzipieren. Die Stücke sind innerhalb von knapp zwei Jahren entstanden und gehen teils nahtlos ineinander über. Der Sound wurde von Filmen wie Persona und Mulholland Driveinspiriert. Da wir bereits lange vorab wussten, dass unser nächstes Projekt ein Debütalbum sein würde, konnten wir über die Jahre viele Ideen sammeln. Dies erlaubte es uns, gezielt zu selektieren, welche Songs zur Atmosphäre des Albums passten – und welche nicht.

Vor einiger Zeit haben wir schon einmal in einem Interview gesprochen. Wie hat sich Neumatic Parlo seitdem weiterentwickelt? Ich denke, wir haben durch einige Konflikte gelernt, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen. In einer Band, in der fünf Egos aufeinandertreffen, um Kunst zu schaffen, sich auszudrücken und zu verwirklichen, ist es wenig hilfreich, starr an einer Vision festzuhalten. In der Vergangenheit führte genau das oft zu Unmut und Enttäuschungen.

Mittlerweile sind wir offener für Kollaborationen innerhalb der Band und hören einander aktiv zu. Einige von uns haben inzwischen zwei oder drei weitere Projekte, in denen sie sich voll und ganz entfalten können. Das hat den Druck von Neumatic Parlo genommen. Heute sehen wir uns als Gruppenprojekt, bei dem das gemeinsame Ziel im Vordergrund steht. Das Album ist deshalb entstanden, weil jeder im Sinne des Projekts gehandelt hat – und nicht, um zu zeigen, was für ein großartiger Musiker er oder sie ist. Wir sind uns unserer individuellen Stärken und Schwächen bewusst geworden. Das hat uns als Band wachsen lassen und uns geholfen, mit dem einhergehenden Druck besser umzugehen.

Welche Erfahrungen, Themen und Motive prägen den Sound, die Texte und das Coverdesign von Play It As It LaysAuf dem Album haben wir teils autobiografische Geschichten verarbeitet, die universell nachvollziehbar sind. Zu den zentralen Themen gehören Isolation, Einsamkeit und Identitätskrisen – Aspekte, die in einer Welt voller digitaler Realitäten und künstlicher Persönlichkeiten allgegenwärtig sind. Besonders präsent ist die Angst, dass alles bald in Flammen stehen könnte, während man gleichzeitig versucht, die bestmögliche Version von sich selbst auf dem Arbeitsmarkt zu präsentieren, um erfolgreich zu sein.

Inmitten dieser düsteren Gedanken möchten wir daran erinnern, dass Liebe keine Hollywooderfindung ist, die nur in Filmen mit Ryan Gosling und Emma Stone existiert. Sie ist vielmehr die vielleicht einzige Lichtquelle, die uns aus der Dunkelheit führen kann – und die es zu entmystifizieren gilt. Gerade in unsicheren Zeiten sollten wir uns an das klammern, was echt ist, und uns nicht von der inneren Leere auffressen lassen.

Die Sounds auf Play It As It Lays spiegeln diese Unruhe wider und wirken oft bedrohlich. Wir haben uns bewusst entschieden, Vitalität der Perfektion vorzuziehen. Kleine Imperfektionen oder Fehler haben wir nicht entfernt, wenn die Energie in der Aufnahme spürbar war. Diese Ästhetik zieht sich auch durch die Texte – es muss nicht perfekt sein, solange es sich richtig anfühlt. Unsere Herangehensweise orientiert sich am abstrakten Expressionismus: Das Innere geht dem Äußeren voraus, das Ungewisse dem Bekannten.

Das Coverdesign reflektiert diese Philosophie. Unser Schlagzeuger Justin und unser Bassist Jasper haben mit Fotogrammen experimentiert. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, Barcode, Songtitel und Labelinformationen in das Design zu integrieren. Die Inspiration dafür war die Idee eines Stadtspaziergangs, bei dem man mit einer Reizflut und einem Überfluss an Informationen konfrontiert wird. Überall kleben Plakate, beschmiert mit abstrakten Zeichen, und elegante Druckbuchstaben weisen auf verrostete Schilder hin. Diese Erfahrung von Reizüberflutung und Informationsüberfluss ist grundlegend für unser Album. Wir haben sie in Soundeffekte und Melodien übersetzt, die diese Stimmung greifbar machen.

In Eurem Musikvideo zur Single Carnage seid Ihr in der Altstadt zu sehen. Wie viel Düsseldorf steckt in dem Album? Wir sind natürlich alle stolz darauf, in Düsseldorf geboren zu sein und hier zu leben. Diese Stadt hat uns die Begegnungen und Möglichkeiten gegeben, die es überhaupt erst ermöglicht haben, ein Album aufzunehmen – durch Menschen, die an uns glauben. Konzerte in Düsseldorf sind immer besonders, weil wir dort auf viele Wegbegleiter treffen, die uns schon seit Jahren unterstützen.

Im Musikvideo zu Carnage nehmen wir das Düsseldorfer Nachtleben ein bisschen aufs Korn und belustigen uns über Menschen, die sich vielleicht etwas zu ernst nehmen. Das heißt jedoch nicht, dass wir nicht selbst Teil dieses Nachtlebens sind. Die Stadt inspiriert uns – tagsüber genauso wie nachts. Es ist ein Ort, an dem man einfach planlos an einem Samstag losziehen kann und dabei fast garantiert Leute trifft, die ebenfalls ohne Plan unterwegs sind. Solche Abende nehmen oft überraschende Wendungen, und bevor man es merkt, sitzt man in einer kleinen Karaokebar in der Nähe des Hauptbahnhofs. Genau solche Geschichten liefern uns immer wieder neues Material für unsere Songs.

Musikalisch ist Düsseldorf ohnehin ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Inspiration. Bands wie Neu! oder Kraftwerk haben unsere Musik nachhaltig geprägt. Und auch die lokale Musikszene trägt dazu bei: Sei es der Plattenladen Hitsville oder der langjährige Support von A&O Medien – wenn wir neue Ideen brauchen, reicht es oft, einfach vor die Tür zu gehen. Die Geschichten und Eindrücke, die man auf dem Album hören kann, sind hier in Düsseldorf entstanden. Die Stadt ist ein Ort voller künstlerischer Vielfalt und kunstsinniger Menschen. Wie Friedrich Leopold Graf zu Stolberg es einmal ausdrückte: Düsseldorf ist ein rührsinniger Ort.

Was bringt die Zukunft für Neumatic Parlo? Wir können es kaum erwarten, das Album in den nächsten Monaten live zu performen und den Release gebührend zu feiern. Auf Tour zu sein, bedeutet für uns jedoch keine Ferien – im Gegenteil. Es kann ziemlich anstrengend sein, mehrere Stunden in eine Stadt zu fahren, um den Großteil der Zeit mit dem Soundcheck zu verbringen.

Umso schöner ist es dann, endlich auf der Bühne zu stehen. Diese Zeit ist mehr als nur eine Entschädigung für den Aufwand – sie ist die Belohnung für all die Höhen und Tiefen, das Hin und Her und die vielen Deadlines, die hinter uns liegen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, in einer Stadt wie Berlin auf der Bühne zu stehen und zu sagen: „Hallo, wir sind Neumatic Parlo aus Düsseldorf und spielen unser Album Play It As It Lays!“

Vielen Dank!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

play it as it lays
Unique Records © 2024
Hier erhältlich

(c) THE DORF, 2024
Interview & Text: Antonia Lauterborn
Bilder: siehe Bildbeschreibung

Mehr von Redaktionsteam THE DORF

Fokus Ukraine – Europäisches Theaterfestival @ DÜSSELDORFER SCHAUSPIELHAUS

Am 11. April sind es genau 777 Tage seit der umfassenden Militärinvasion...
Weiterlesen