Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys

Ganz viel Amore liegt in der schwitzigen Luft, als Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys im Rahmen der MTV Music Week die Bühne in der Nachtresidenz betreten. Dass die Band heute in verkleinerter Duo-Formation angereist ist, tut der Stimmung keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Mit „Baci“ reissen „die Halbgötter des Italo-Schlagers“ bereits mit dem ersten Song die Hütte ab und bieten Steilvorlagen für mehr als nur einen „Schlagerstrudel“, die Gassenhauer-Version des Moshpit. Wir sprachen mit einer der letzten großen deutschsprachigen Unterhaltungsgruppen unserer Zeit über Höhen und Tiefen ihrer 40jährigen Bandkarriere, die Parallen von Punk und Italo-Schlager und die Bedeutung von Musikfernsehen. MILLE GRAZIE!

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum 40-jährigen Bandjubiläum. Wie blickt Ihr auf die vergangene Zeit zurück? RB: Vielen lieben Dank und Mille Grazie (so heißt auch unser #1 Album aus diesem Jahr). Wir können uns glücklich schätzen, es so weit geschafft zu haben und ebenso im großen Chaos des Kunstbetriebs relevant geblieben zu sein. Es war eine Zeit der Höhenflüge, des großen Schlagers mit verdienten Preisen und großen Lobhudeleien. Und es war aber auch eine Zeit der Krisen und Niederlagen. Eine Geschichte, die sich lebte wie ein Roman. Eines ist uns aber in den letzten Wochen klar geworden. Die Vergangenheit, egal wie schillernd sie war, ist eine geschlossene Veranstaltung. Wir blicken neuen Dingen entgegen.

Genau wie Ihr feiern die Toten Hosen dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Inwiefern hat der 80er-Jahre Punk Euren Werdegang beeinflusst? Gab oder gibt es Berührungspunkte als eine Generation? RB: Ja, danke, dass Sie diesen Punkt ansprechen. Punk ist Widerstand und Italo-Schlager ist es auch. Wir erklären wieso: Punk verstand sich in den 80ern als eine Form von Anti-Schlager. Gegen das System, gegen die Gefühlsduselei und eine klare Sicht auf die Probleme einer Gesellschaft. Der Italo-Schlager sieht sich auch in dieser Idee – aber von der anderen Seite her. Wir stellen uns in unseren Liedern eine ideale Welt vor, frei von wirklichen Krisen und einem tiefen Frieden unter den Menschen. Eine Musik der Utopie, eine Ahnung vom Paradies, eine echte, ewige Liebe.

Leider hat der Punk seine Spitze verloren, seine Versprechungen sind meistens leer geblieben – auch bei den „Hosen“. Rhetorische Frage: „An Tagen wie diesen“, wie viel Punk ist da noch drin? Naja… nach 40 Jahren haben wir Milde gelernt. Nun ein Blick auf uns: Bei Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, da ist es immer noch so wie früher. Wir strahlen in den frischen Farben vom Ideal – wie am ersten Tag, bis ans Ende aller Tage und „wir würden nie zum…“.

Musikvideos und auch Musikfernsehen haben nicht mehr die Reichweite, die sie bis vor etwa 15 Jahren noch hatten. Gleichzeitig wird der Anspruch an ein gelungenes Musikvideo immer höher. Was haltet Ihr von diesem Verlauf? DAB: Ich würde nicht sagen, dass das Format Musikvideo, im Gegensatz zum Musikfernsehen als solches, über die Jahre an Reichweite verloren hat. Es haben sich einfach nur die Plattformen und Rahmenbedingungen geändert, mit welchen wir als Gesellschaft Musikvideos konsumieren. Und da wir als Italo-Schlagerstars immer am Zahn der Zeit geblieben sind, gehen wir diese Entwicklung natürlich mit und passen unsere Strategien an den Zeitgeist an. Man könnte sich jetzt darüber beschweren, dass die goldenen 90er vergangen sind, als man für einen Videodreh vom Label noch Hunderttausende Mark überwiesen bekommen hat, dafür sind wir heute in unserer Gestaltung viel freier und können unsere ganz eigene Bildsprache entwickeln, ohne dass dutzende Köche mit ihren Ansprüchen von der Fernsehredaktion, vom Label und so weiter den Brei verderben. Der Ferrari wird sich heute eben anders verdient. Und wer sich da nichts einfallen lässt, wird darwinisiert.

Eure Musikvideos machen La Dolce Vita erlebbar und versetzen uns direkt an die Küste Italiens. Wie viel Wert legt Ihr bei einer Single auf das dazugehörige Musikvideo? Was ist die Motivation hinter Euren Videos? DAB: Für uns als Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys ist es natürlich immanent, dass unsere Bildsprache, wie alles, was wir erschaffen, bis ins letzte Detail zu unserer Geschichte des Italo-Schlagers passt. Dementsprechend legen wir beim Musikvideo denselben Anspruch und dieselbe stilistische Genauigkeit an den Tag wie bei der Musikproduktion oder bei unseren Liveshows. Der Italo-Schlager ist schließlich eine ganzheitliche und ganzkörperliche Erfahrung, die sinnes- und plattformübergreifend ihre volle Entfaltung findet. Wir sehen uns nicht zuletzt als eine der letzten großen deutschsprachigen Unterhaltungsgruppen unserer Zeit. So wie wir das Publikum bei einem unserer Konzerte mit auf eine 90-minütige Reise nehmen wollen, so wollen wir auch den Konsum eines unserer Musikvideos für jeden Zusehenden zu einer 5-minütigen, eskapistischen Episode machen. Raus aus dem Alltag, rein in die Welt des Italo-Schlagers! Sic transit gloria mundi!

Mit welcher Künstler:in würdet Ihr gerne einmal zusammenarbeiten? RB: Wir sagen an dieser Stelle eigentlich immer: „Marianne Rosenberg, ruf uns an!“ Aber weil wir diesen Aufruf schon über die großen Feuilletons gespielt haben, wurde das sicher schon gehört. Das Management verhandelt möglicherweise schon im Hintergrund. Deshalb nutzen wir heute die Fläche für einen Aufruf an unseren Lieblingsflipper den Olaf! Olaf, tu’s noch einmal mit uns. Die Rote Sonne von Barbados muss weiter scheinen.

Was verbindet Ihr persönlich mit MTV? RB: Es war eine schöne Zeit, als der Fernseher noch das Lagerfeuer in den Wohnzimmern dieser Welt war und man als Familie versammelt, gemeinsam ins Flimmern blickte. Auf MTV haben wir damals alle den neuesten Musikvideos und neuen Songs entgegengesehen. Ja, auch wir und wir hofften, ebenso auch einmal ein Video von uns selbst zu sehen – leider vergebens, damals gab es keinen Platz für Italo-Schlager im Programm. Tja, Zeiten ändern sich und wie jede schöne Zeit, muss sie schließlich vergehen.

Bei MTV ganz ähnlich und es gibt ein großes Erbe, das hier hinterlassen wurde. Denn leider hat man sehr lange verschlafen, dass nun andere Dinge als das lineare Fernsehen am Werk waren. Trotzdem: MTV ist eine Marke mit Format geblieben, mit der man sich gerne zeigt und die immer noch eine große Strahlkraft besitzt. Und wir glauben an das Comeback! Denn wir sind ja auch zurückgekommen und sind der beste Beweis dafür, dass manche Dinge, die anachronistisch wirken, wieder in neuem Glanz erscheinen werden. Wir sagen: Totgesagte leben länger!

Euer alltime favourite Musikvideo? DAB: Zu nennen ist hier auf jeden Fall “Video killed the radio star” von The Buggles, mit welchem MTV 1981 erstmals auf Sendung ging. Die wahrscheinlich epischste Einführung in das Musikfernsehen, welche man nicht treffender hätte auswählen können. Einer meiner All-Time-Favoriten ist und bleibt aber das Video zu “I Don’t Want to Miss a Thing” von Aerosmith aus der vorhin schon angesprochenen goldenen Musikvideozeit der 90er. Der Song war damals ja der Titelsong zum Hollywood-Blockbuster “Armageddon” und die Verbindung aus den Originalfilmszenen und dem dahinschmachtenden Steven Tyler mit seiner Rockband im NASA-Aerospace-Terminal ist einfach genial.

Ich meine, da wird gerade die Welt gerettet, indem ein die Menschheit bedrohender Asteroid von Ben Affleck und Bruce Willis (der dabei draufgeht) in die Luft gesprengt wird und im Terminal sitzt die um Bruce Willis trauernde Liv Tyler, untermalt zu den Klängen von allerfeinstem 90er-Schmuserock. Zum Finale gehen Aerosmith, inklusive Streichergruppe, dann auch mit in Flammen auf und besingen mit “I don’t wanna close my eyes, I don’t wanna fall asleep, cause I miss you baby” die Rettung der Menschheit. Größer wird’s einfach nicht mehr werden.

Ihr spielt heute Abend im Rahmen der MTV Music Week eine Duo-Show. Seid ihr lieber auf der Bühne oder vor der Kamera für ein neues Musikvideo? DAB: Ich für meinen Teil liebe alle Facetten unseres Schlagerstarlebens, denn mit Verlaub, langweilig wird’s nie werden und die Vielfältigkeit unseres Schaffens ist auf jeden Fall eine ganz tolle Sache! Doch wenn man sich für eine Sache entscheiden müsste, dann würden wir uns, denke ich, alle für das Konzerterlebnis entscheiden, als es doch die purste Form eines jeden Musikerdaseins ist.

Was ist Eure erste Assoziation mit Düsseldorf? Woran denkt Ihr, wenn Ihr an Düsseldorf denkt? RB: “Wärst du doch in Düsseldorf geblieben, schöner Playboy, du wirst nie ein Cowboy sein“, der alte Schlager von Dorthe Kolle. Da muss ich immer als erstes dran denken und als nächstes an die Pferderennbahn. Nirgendwo war der Wettsport je schöner. Naja, und Altbier natürlich…. aber das war nie so wirklich meins. Nur wenn man sich dann die Nacht um die Ohren schlägt, “an der längsten Theke der Welt” schmeckt es so schnell köstlich. Plötzlich denkt man bei sich, “Ich bin ein schöner Cowboy und bald ein echter Playboy” und irgendwo hört man aus der Kneipe einen alten Schlager.

Was bringt die Zukunft? RB: Die Zukunft ist ein weites Feld und wir spielen unser Spiel damit.
DAB: Und eines bleibt immer beim Alten: Wir gehen dabei als Sieger hervor.

Grazie Mille!

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Interview: Franka Büddicker, Tina Husemann
Fotos: Florian Egon Kraus
© THE DORF 2022

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