Die Aufgabe einer Gaststätte ist, für Kommunikation zu sorgen. Brauhäuser machen Düsseldorf aus, sind ein Stück Kulturgut. Alle hängen nur noch vorm Rechner oder vor Facebook. Im Uerige kommt man sofort miteinander ins Gespräch, egal ob aus Düsseldorf, Deutschland oder der ganzen Welt. Es muss eine gute, bunte Mischung sein. Ich freue mich über die Internationalität, das tut einer relativ kleinen Stadt wie Düsseldorf gut. Michael Schnitzler
Das Uerige gehört zu Düsseldorf wie der Rhein. Am Wochenende sieht man schon von Weitem die Menschentraube, die sich vor der Brauerei in der Altstadt gemeinschaftlich zusammengefunden hat, um ein kühles Alt zu genießen. Manch einer jeden Tag. Die anderen vor dem Fortuna-Spiel. Nach dem Fortuna-Spiel. Während und nach der Einkaufstour. Waschechte Düsseldorfer, Alt & Jung, schick und schnodderig, Touristen aus der ganzen Welt oder Junggesellen-Abschiede – sie alle trifft man vorm Uerige. Auch „Promis“ wie Regisseur Wim Wenders, Die Toten Hosen oder der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wissen das ehrliche Bier und unprätentiöse Ambiente zu schätzen. Fotokünstler Andreas Gursky schenkte dem Uerige sogar eine seiner Arbeiten.
Das unprätentiöse Ambiente lebt gleichermaßen von den Kellnern, den sogenannten Köbes. Wer diese ranpfeift, kassiert schnell einen flotten, gelegentlich frechen Spruch und immer sein Alt. Wer Wasser bestellt, bekommt dieses zwar serviert, aber nicht ohne einen flappsigen Kommentar. So einfach sind die ungeschriebenen Köbes-Gesetze. Ein Brauhaus ohne Köbes – undenkbar. Der Unterschied zwischen Kellner und Köbes? Der Köbes weiß trotz seiner ruppigen Art ganz genau, wie weit er bei all seinen Gästen gehen kann, ob Stammgast oder Tourist. Kaum ein Kellner in Düsseldorf bedient wohl so eine Bandbreite an unterschiedlichen Gästen wie hier.
„Was ist denn Eure Zielgruppe, werden wir oft gefragt. Wenn wir das mal wüssten. Von 0-100 sagen wir immer. Über die typische Charakterisierung eines Düsseldorfers können wir ja alle selber nur schmunzeln. Ich halte uns Düsseldorfer für weltoffen, neugierig, heimatverbunden und verträglich. So bunt wie diese Stadt ist – von Oberkassel bis Garath, so unterschiedlich sind hier unsere Gäste. Unsere Aufgabe ist, die Kommunikation zwischen diesen unterschiedlich Schichten und unterschiedlichen Gästen zu fördern. Jeder kann hier ablassen, was ihm auf dem Herzen liegt. Wo geht das besser, als bei einem leckeren Bier“, sagt Michael Schnitzler.
Michael Schnitzler ist der Baas im Uerige. Wir treffen ihn und seinen technischen Leiter Christoph Tenge vor Ort auf der Berger Straße 1. Baas bedeutet übrigens „Chef“ oder „Boss“. Michael Schnitzler ist seit 1999 „Boss“ bei Uerige, als er das Unternehmen von seinem Vater Josef übernommen hat. Sein Beruf liegt Michael anscheinend im wahrsten Sinne des Wortes im Blut. Denn er wuchs über dem Goldenen Kessel an der Bolker Straße und dann im Uerige auf. Und selbstverständlich hat er als Diplomingenieur für Brauwesen sein Fach gelernt.
Das Uerige ist die einzige vollständige Hausbrauerei in der Düsseldorfer Altstadt – der gesamte Brauprozess findet unter einem Dach statt, bis hin zur Flaschenabfüllung. Das macht heute in der Altstadt sonst keine Brauerei mehr selbst. Michael erklärt uns: „Uerige ist kein Standard-Produkt, sondern ein einzigartiges Qualitätserzeugnis, ohne Kompromisse.“ Kein Wunder, dass das Bier international bekannt ist. Die THE DORF Redaktion hat in den letzten Jahren viele Craft-Beer-Profis aus Portugal, den Niederlanden, Norwegen, Irland oder UK getroffen, Uerige ist allen ein Begriff. Eine Tatsache, die man als Düsseldorfer oft verkennt.
Auf den aktuellen Craft-Beer-Trend angesprochen, sagt uns Michael: „Wenn einer mal gucken will, wie originäres Craft-Beer geht, soll er hier hinkommen. Mehr „Craft“ geht nicht. Wenn uns einer sagt, er macht mehr, beweise ich ihm sofort das Gegenteil. Das ist hier so sauber „Craft“ wie es nur irgendwie geht. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir unterstützen die ehrlichen, echten Craft-Brauer, die noch richtige Handwerker sind, wo wir nur können. Die haben jede Hilfe, jeden Respekt, jede Unterstützung von uns verdient. Aber nicht diese Marketingjungs, die nur mit hippen Etiketten um die Ecke kommen. Das Bewusstsein für „echtes“ Bier muss wieder geschaffen werden.“
Michaels rechte Hand Christoph Tenge nimmt uns mit auf eine kleine Zeitreise durch die Hausbrauerei. Die auf mehreren Ebenen miteinander verbundenen Häuser und Säle sind verwinkelt, vom Keller bis hin zu den Dachgeschossen. Durch die unterschiedliche Architektursprache und die technische Ausstattung notiert man die unterschiedlichen Jahrzehnte, in denen die Räume und Anbauten entstanden sind. Letzter Neuzugang: Die 2008 eröffnete Stickum-Manufaktur mit Gärkeller, Stickum-Saal und Stickum-Bar, die gleichzeitig Bestandteil der neue geschaffenen gläsernen Brauerei ist.
Kaum zu glauben, dass das Uerige in seinem Ursprung ein Weinhaus ist und Moselwein über den Tresen floss. Das Haus ist 1755 als die Gaststätte „Heidelberger Fass“ dokumentiert. Schaut bei eurem nächsten Besuch genau hin: Das Name: „Obergärige Brauerei im Heidelberger Fass“ist heute noch auf der Glastür im Eingang zu lesen. Wein gibt’s hier heute nicht mehr. Zumindest nicht draußen. Übrigens auch eine kleine, durchaus stringente Seltenheit bei einem Brauhaus in der Altstadt. Seit 1862 ist das Uerige eine Brauerei, als der Bäckermeister Wilhelm Kürten das Haus mit Hintergebäuden, Stallungen und Hofraum für 19.000 Taler erwarb und die Braugenehmigung beantragte. Schon bald gehen die Düsseldorfer zum „uerige Willem“. Denn Wilhelm ist ein „ueriger“, etwas schrulliger Mensch. Es dauert nicht lange, bis das Haus im Volksmund nur noch „der Uerige“ heißt.
Warum heißt das Altbier eigentlich Altbier? Michael Schnitzer erklärt uns: „Weil es nach alter Brauart gebraut wird. Wegen des eher gemäßigten Klimas war es in Düsseldorf – beziehungsweise in sämtlichen Brauereien am Niederrhein – lange Zeit nur möglich, obergäriges Bier zu brauen. Die untergärigen Biersorten wie Pils oder Exportbier konnte man erst im großen Stil brauen, als Carl von Linde 1875 die Kühlmaschine erfunden hatte – diese Gärung erfordert nämlich dauerhaft tiefe Temperaturen zwischen sechs und zehn Grad. Beim untergärigen Bier wird übrigens auch andere Hefe verwendet als beim obergärigen. Der Uerige pflegt hierfür seine eigene Kultur, die Uerige-Hefe.
„Und so wie es eine Selbstverständlichkeit ist, daß Josef Hinkel seine Brötchen selber backt, halten wir es auch im Uerige. Erst wenn die Biere und Fassbrausen in Faß und Flasche abgefüllt sind, ist die Produktion einer Brauerei vollendet. Bei einer Hausbrauerei eben alles im eigenen Haus. Komplett auf der Rheinstraße. Punkt.“ Michael Schnitzler
Gersten- und Weizenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser. All das sind die Zutaten für die Getränke, die im Uerige gebraut werden. Und das ist nicht nur Altbier. Was viele Düsseldorfer nicht wissen ist, dass es seit 2008 die eigene Brennerei gibt. Hier entstehen die Bierbrände Stickum und StickumPlus, sowie seit 2010 der Single Malt Whisky BAAS, der 36 Monate in Fässern aus amerikanischer Weisseiche reift. Das Ergebnis kann sich sehen lassen – der Whisky wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. BAAS ist der im Moment weltweit rarste zeitgenössische Whisky und nur begrenzt verfügbar. Neben der alkoholfreien Fassbrause-Limonade und den Bieren Uerige Classic, nicht filtriertem Uerige oder dem Uerige Weizen entsteht hier auch das Uerige „Sticke“.
Stickum bedeutet übrigens heimlich, verborgen“. Uerige Sticke wird nur zweimal im Jahr ausgeschenkt. Am jeweils dritten Dienstag im Januar und im Oktober. Es ist ein deutlich stärker eingebrautes Bier, das der Brauer ursprünglich für seine besonders guten Freunde beiseite stellte und ihnen im Verborgenen ausschenkte. Das Uerige Starkbier DoppelSticke ist eigens für den internationalen Markt gebraut, da es durch seine Lagerung länger haltbar ist. Bis zu 100.000 Flaschen gehen jährlich auf die Reise nach New York, von wo aus das 8,5-prozentige in den Rest der USA geliefert wird. Aber auch Japan, Russland und Israel gehören zu den großen Exportländern.
Wir möchten wissen: Was ist das Baas-Geheimrezept bei einem „ordentlichen“ Kater nach zu viel Bier? Michael Schnitzler lacht: „Konterbier trinken!“ Danach korrigiert er mit einem breiten Grinsen: „Rein wissenschaftlich bringt frische Luft den Kreislauf am besten in Schwung. Aber ohne Flachs: Bleibst du nur bei Uerige-Bier, kriegst du keinen Schädel! Dafür legen wir unsere Hand für ins Feuer. Wir befürworten einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol, das schließt den Kater eigentlich aus.“
Eine gute Nachricht zum Schluss, die viele Düsseldorfer erfreuen wird: Nach den Kirmes-Querelen der letzten Jahre hat Michael Schnitzler vor Kurzem bekannt gegeben, dass der Uerige mit einem neuen Konzept auch in diesem Jahr wieder auf der Düsseldorfer Rheinkirmes vom 17. bis 26. Juli präsent sein wird. Alle Infos hier …
Vielen Dank!
Interview: David Holtkamp
Text: Tina Husemann
Fotos: Robin Hartschen
Video: Franz Schuier / Beansandbacon
© THE DORF 2015