#25 SMALL-TALK, CORONA & SONST SO, ANNA ULLRICH-CATTIEN?

Seit acht Wochen leben wir „social distancing“ – acht Wochen, die das Leben in Düsseldorf komplett auf den Kopf gestellt haben. Wir fragen in unserer neuen Serie „SMALL-TALK, CORONA UND SONST SO?“ Düsseldorfer, wie hart sie von der Krise betroffen sind, was sie daraus gelernt haben und worauf sie sich „danach“ am meisten freuen.

Anna Ullrich-Cattien ist seit 2013 mit dem Maßatelier-Konzept THE BLOKE selbstständig. Ihr erklärtes Ziel: Männer sollen besser aussehen. Während des Lockdowns mussten ihre beiden Ateliers in Düsseldorf und Köln schließen. Wie ist die frischgebackene zweifache Mama und Businessfrau damit umgegangen und wie hat sie die letzten Wochen erlebt?

Name & 1-2 Sätze zu Deiner Person: Mein Name ist Anna Ullrich-Cattien, ich bin 37 Jahre alt und zweifache Mutter. Seit 2013 bin ich selbstständig mit zwei Maßateliers und fünf Mitarbeitern. Mein Ziel: Männer sollen besser aussehen. www.the-bloke.de

Wie waren die letzten 5 Wochen für Dich?
Sie waren gespickt mit den unterschiedlichsten Emotionen. Es war eine Achterbahnfahrt zwischen Existenzangst, Verzweiflung, purer Freude und Ruhe. Zunächst das schönste vorweg: Kurz vor dem Shutdown kam unser Sohn Caspar zur Welt. Ein unbeschreibliches Glück. Mit einem fantastischen Team aufgestellt und bestens sortiert hatte ich mir die erste Jahreshälfte etwas anders ausgemalt. Nun: Im Zuge des Shutdowns mussten meine beiden Ateliers schließen. Die ersten Tage waren geprägt von Verwirrung durch einprasselnde Informationen und Handlungsohnmacht. Nach ein paar schlimmen Tagen und schlaflosen Nächten kam die Zeit der Orientierung und des Aufbruchs. Ich habe meinen Business Case neu aufgestellt, Liquidität gesichert und Anträge eingereicht. Jedoch wird das Kurzarbeitergeld verzögert gezahlt und die Soforthilfe ist bis heute nicht vollständig ausgezahlt, das frustriert. Parallel zu dem Tohuwabohu durfte meine dreijährige Tochter nicht mehr in die Kita und auf ihre geliebten Spielplätze. Mein Mann ging in Kurzarbeit. Damals wie heute stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie soll das nur weiter gehen?

Es gab aber auch freudige Momente. Die Solidarität von Kunden, Freunden und Familie. Mitfühlende und aufmunternde Anrufe und Nachrichten. Es gab Hilfsangebote von vielen Seiten, dafür bin ich sehr dankbar. Dankbar bin ich auch für das gute Wetter – so konnten wir die gemeinsame Familienzeit richtig genießen. Der sonnige Frühling war der perfekte Ausgleich zum beruflichen Stress – der sich aber natürlich hier und da auch ins Familienleben eingemischt hat. Grundsätzlich hat sich bei uns mit der Zeit eine gewisse innere Ruhe eingestellt.

Wie betroffen bist du wirtschaftlich und persönlich?
Wirtschaftlich bin ich stark getroffen. Nach einem tollen Start in die Saison wurde ich komplett ausgebremst. Die vier Wochen Umsatzverlust mitten in unserer Hauptsaison sind eine wirtschaftliche Herausforderung. Ebenso wie die kommenden Monate. Unsere Kunden schätzen uns als auch unsere Produkte, jedoch ist die Kauflaune getrübt, die Menschen sind vorsichtig. Aber THE BLOKE wird es durch die kommenden Monate schaffen, da bin ich mir sicher.

Persönlich hat mich der Shutdown im Wochenbett erwischt. Im Februar kam Caspar zur Welt. Unsere Tochter Luise wird seit Mitte März zu 100% von uns betreut. Homeoffice und Kinderbetreuung stellt jede Familie vor eine große Herausforderung. Trotz guter Struktur führt es zu Frustration auf allen Seiten. Gleichzeitig genießen wir aber auch die viele Zeit, die wir nun als Familie zusammen verbringen. Wir machen oft Ausflüge ins Umland von Düsseldorf, das sorgt für Abwechslung. Wir erkunden Ecken, die wir vorher nicht kannten. Ich lerne Düsseldorf und Umgebung neu kennen und bin begeistert.

Was hat sich geändert?
Die Unbeschwertheit ist weg. Privat und wirtschaftlich. Ich habe aber auch gelernt, dass ich hier und da vielleicht etwas kürzertreten, meinen Fokus auf die wichtigen Dinge lenken sollte. Gerade hatte ich viel Geld für THE BLOKE investiert: Ein neues Atelier in Köln eröffnet, das Düsseldorfer Atelier erweitert. Die unternehmerische Perspektive hat sich gewandelt: Es geht jetzt nicht mehr darum, was ich 2020 noch alles umsetzen möchte mit THE BLOKE, sondern erst einmal darum, das Unternehmen durch die Krise zu bringen.

Privat gehen wir wie alle anderen mit angezogener Handbremse durchs Leben. Unsere Liste mit Wünschen für „nach Corona“ ist sehr, sehr lang. Ich vermisse meine Familie, meine Freunde und den unbeschwerten Austausch. Mit Zoom-Meetings halten wir Kontakt zu unseren Lieben. Mein Mann nimmt an Online-Weinproben teil, meine Tochter macht online Sport- und Tanzkurse.

Was siehst Du als positiven Nebeneffekt bei der Corona-Krise und Quarantäne?
Positiv finde ich die Solidarität der Menschen. Ich habe es selber erlebt und sehe es häufig in meinem Umfeld: Menschen supporten lokale Geschäfte und kümmern sich um Hilfsbedürftige. Die Menschen achten wieder mehr aufeinander. Es ist toll zu sehen, dass das Team bei THE BLOKE trotz der Einschnitte mitzieht und wir zusammenrücken. Dinge, die zu kurz gekommen sind konnte ich jetzt in Angriff nehmen. Zum Beispiel ein Update der Website.

Ich persönlich entwickel gerade einen neuen Fokus auf das Wesentliche. Ich genieße die viele Zeit mit meiner Familie sehr, mag auch die unverplanten Wochenenden und die Ruhe. Herrlich. Die Zoom-Meetings mit meinen Freunden in anderen Städten werde ich auf jeden Fall beibehalten. So viel haben wir uns früher nicht gesehen oder gehört.

Die wichtigste Lektion, die Du in den letzten Wochen gelernt hast?
Ruhig bleiben und auf sich und seine Intuition vertrauen. Nur so finden wir eine Lösung. Auch für ständig ausverkauftes Mehl. 😀

Was fehlt Dir am meisten?
Der persönliche Kontakt. Privat und auch bei THE BLOKE. Ein spontanes Treffen mit Freunden, ein kurzes Gespräch im Atelier. Außerdem fehlt mir das Lächeln der Menschen, das zurzeit hinter den Masken versteckt wird.

Was denkst Du, wird sich „nach“ Corona ändern? Was können wir aus der Krise mitnehmen?
Ich bin skeptisch, ob sich viel ändern wird, würde mir aber wünschen, dass wir weiterhin aufeinander Acht geben. Ob Mensch oder kleines Unternehmen: Wir müssen das was uns wichtig ist unterstützen und im Fokus behalten.

Welcher Lieferservice hat Dich in den letzten Wochen glücklich gemacht?
Fluma: Diese herrlich frischen Blumen verschönern unsere Wohnung. Normalerweise stehen sie auch bei uns im Atelier.

In welches Restaurant gehst du als erstes, wenn die Krise vorbei ist?
Oh, eine schwere Entscheidung, da muss ich überlegen… in Düsseldorf gibt es meines Erachtens sehr viele gute Restaurants. Bei uns um die Ecke gehen wir gerne ins Em Brass: Tolles Essen und leckere Weine. Für ein gutes Mittagessen gehe ich oft zu Quintoo.

Worauf freust Du Dich am meisten, wenn Normalität eingekehrt ist?
Auf volle Ateliers, entspannte Atmosphäre und ein ungezwungener Austausch mit meinen Kunden. Auf den kreativen Prozess einen Anzug zu entwerfen – endlich wieder mit einem Bier und ohne Plexiglas. Auf ungezwungene Treffen mit meiner Familie und Freunden. Auf ein Lächeln ohne Maske.

Vielen Dank!

(c) THE DORF, 2020
Foto: Hanna Witte

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