Boys Space – The Agency

Organisiert vom FFT Düsseldorf findet am 18. und 19. September die Online-Performance „BOYS SPACE“ von The Agency statt. Die junge Gruppe beschäftigt sich mit Extremismus und Radikalisierung in den Filterblasen und Echokammern des Internets. Wie sind Algorithmen an Diskriminierung beteiligt? Inwiefern ist Gedankengut aus digitalen Räumen wie „4chan“ oder „Breitbart News“ an der Entstehung und Ausübung von Gewalt beteiligt – online und offline? Die Performance erlebt ihr zu Hause! Sie findet online über das Chat-Programm Discord statt. Alles was ihr dafür braucht ist einen internetfähigen Rechner und Kopfhörer. Einen Tag vor der Veranstaltung bekommt ihr eine E-Mail mit den Login-Daten und allen weiten Details zum Ablauf. Der Vorverkauf beginnt am 01.09.2020 über die Website vom FFT Düsseldorf

BOYS SPACE ist eine immersive Performance im Werkzyklus „Neue Männer*bewegung“. Gleichzeitig ist BOYS SPACE aber auch ein Server auf der Gruppenchat-App Discord, in der sich die Mitglieder austauschen und sich für ihren Ausstieg aus dem Patriarchat organisieren. Online und offline entsteht ein alternativer Raum, der den Ausstieg aus der patriarchalen Männlichkeit ermöglichen soll. Die Lösung „Boys Will Be Boys“ gilt hier nicht mehr. Zuschauer*innen begegnen einander als „Male Character“, treffen ihre „Empathy Partner“ und lauschen den Geständnissen anderer User*innen. Sie beteiligen sich aktiv an der Entwicklung des BOYS SPACE.

The Agency ist eine junge Performance-Gruppe, die auf immersive Weise mit den Erscheinungsformen des Neoliberalismus experimentiert. Gegründet wurde sie von Belle Santos, Yana Thönnes, Magdalena Emmerig und Rahel Spöhrer. Ihre Performances, in denen Zuschauer*innen zum Beispiel als Kund*innen oder zukünftige Mitglieder sanft eingebunden werden, kreisen um subversive Handlungsmöglichkeiten (agency) unter den Bedingungen des Post-Digitalen. Wir haben The Agency ein paar Fragen zu ihrer neuen Performance und den Sehnsüchten von BOYS SPACE gestellt.

Was genau steckt hinter The Agency und seit wann gibt es Euch? The Agency haben wir 2015 gegründet. Wir, das sind Belle Santos, Yana Thönnes, Magdalena Emmerig und Rahel Spöhrer. Wir arbeiten unter The Agency als Performance-Gruppe zusammen, die auf immersive Weise mit den Erscheinungsformen des Neoliberalismus experimentiert. Unsere Performances, in denen wir Zuschauer*innen zum Beispiel als Kund*innen oder zukünftige Mitglieder einer Bewegung sanft einbinden, kreisen um subversive Handlungsmöglichkeiten (agency) unter den Bedingungen des Post-Digitalen: Wie bilden sich unser Begehren, unsere Gefühle, unsere Identitäten und politische Bewegungen im post-digitalen Zeitalter? Und wie ist es unter diesen Bedingungen möglich, counter-emotions, counter-identities, Gegenbewegungen zu erschaffen? Wir fragen uns, wie wir eine Gesellschaftsordnung hinterfragen können, die sich uns, seitdem wir denken können, als alternativlos präsentiert? Unsere künstlerischen Arbeiten greifen neoliberal konnotierte Formate, wie z.B. das Coaching und deren ästhetischen Strategien, wie Branding und Corporate Identity, auf, überdrehen die darin institutionalisierten Technologien des Selbst kritisch affirmativ und ringen um ein utopisches Potenzial aus queer-feministischer Perspektive.

Was erwartet die Düsseldorfer*innen online am 18. und 19. September? Wir zeigen wir eine digitale Version der Performance BOYS SPACE. BOYS SPACE, die zweite Arbeit in unserem Werkzyklus Neue Männer*bewegung, befasst sich mit den Zusammenhängen von patriarchaler Männlichkeit und rechtem Denken im post-digitalen Zeitalter. Wir fragen uns hier, wie extremistische Radikalisierung durch Filterblasen und Echokammern begünstigt wird und wie Algorithmen an Diskriminierung beteiligt sind. Dazu gehört auch die Frage, inwiefern Gedankengut aus digitalen Räumen wie „4chan“ oder Breitbart News an der Entstehung und Ausübung von Gewalt beteiligt ist – online und offline. Konkret werden die Zuschauer*innen an dem Abend in den Chatroom Discord eingeladen, auf dem wir den Raum BOYS SPACE eingerichtet haben und treffen dort im VideoChat, per Voice Channel und via Chat, auf die Charaktere M.Pathy, U.Serious und R.Age, die den Exit aus dem Patriarchat wagen wollen. Die drei Charaktere haben hier ganz unterschiedliche Ansätze, wie etwa Therapie, Empathie oder Terror. Als männliche Avatare haben die Zuschauer*innen die Möglichkeit, den BOYS SPACE mitzugestalten: Ob sie sich in BOYS SPACE als Trolle verhalten, ob sie sich in Empathie üben oder ob sie intime Geständnisse machen wollen, ist eine spannende Frage der Dynamik des Abends in einem Chatraum, der schließlich auch die Frage stellt, ob wir online oder offline unser „true self“ sind.

Wie ordnet sich BOYS SPACE in Euren Werkzyklus Neue Männer*bewegung ein? Was visiert ihr in BOYS SPACE an? BOYS SPACE ist die zweite Arbeit in unserem Werkzyklus Neue Männer*bewegung. Ansatzpunkt dieses Werkyzklusses war für uns die allgegenwärtige These, die Identität des weißen, heterosexuellen Mannes befinde sich in der Krise. Er sei verunsichert und wütend angesichts der zunehmenden Infragestellung seiner Privilegien. Gleichzeitig erleben wir in Europa und den USA ein Erstarken rechter Bewegungen und rechtsradikalen Terrors, die vor allem männlich getragen sind und sich online in Foren und analog in Bewegungen, Parteien und Organisationen, wie z.B. den „Reichsbürgern“ organisieren. In unserem Vorhaben, eine Neue Männer*bewegung zu kreieren, die diesen Bewegungen etwas entgegensetzt, gehen wir mit dem US-amerikanischen Soziologen Michael Kimmel davon aus, dass „[es] nichts damit zu tun [hat], biologisch ein Mann zu sein. Es ist eher so, dass ein bestimmtes Männlichkeitsverständnis bestimmte politische Einstellungen hervorbringt.“ (Kimmel, 2015). Das „Männlichkeitsverständnis“ wird somit zum Referenzbegriff politischer Einstellungen und Strategien: Die US-amerikanischen „Angry White Men“ gerieren sich, ihre „Männlichkeit“ werde ihnen weggenommen. Die #MeToo-Debatte adressiert die „toxische Männlichkeit”, die in der Verkopplung von Machtpositionen und sexualisierter Gewalt entsteht. Und die herbivoren Männer Japans werden von einer älteren männlichen Politikergeneration bezichtigt, ihre „Männlichkeit“ absichtlich nicht wahrzunehmen – und damit den japanischen Staat, dessen Wirtschaft und die Geburtenrate zu terrorisieren. Uns interessiert die Frage, wie wir – mit Kimmel gesprochen – am Männlichkeitsbegriff eben politische Haltungen subvertieren können. In BOYS SPACE passiert dies ganz konkret: Da treffen sich männliche* Charaktere in einem Chatraum, um neue Ideen von Männlichkeit zu erfinden und zu erproben.

Wer sehnt sich nach einem BOYS SPACE und was zeichnet diesen BOYS SPACE aus? Nach einem BOYS SPACE, wie wir ihn in dieser Performance zusammen mit den Zuschauer*innen entwerfen, könnten sich diejenigen Menschen sehnen, die von patriarchalen Ideen und Vorbildern von Männlichkeit unterdrückt, genervt oder auch einfach gelangweilt sind. Das können somit Menschen jeglichen Genders oder jeglicher Altersgruppe sein, denn, wie es in BOYS SPACE heisst: „I am the PatriachME and I want to exit“. Wer bei dieser Losung mitgehen und seine eigene Verstrickung ins Patriarchat anerkennen kann, wird in BOYS SPACE um Gegenentwürfe ringen können, die mit Spaß, Tränen und Wut verbunden sind. Diese Gegenentwürfe zu gestalten ist schwer. Und so geraten auch M.Pathy, R.Age und U.Serious immer wieder auf Abwege. Unsere Zuschauer*innen wahrscheinlich auch. Auf diesen Abwegen wollen wir uns treffen, um weiterzugehen.

Wie würde eine Detox-Kur für Algorithmen von The Agency aussehen? Eine gute Frage. Wie wäre es mit der Förderung von Frauen, Transpersonen und People of Color im Bereich der Programmierung? Die Frage, wie Algorithmen programmiert werden und welche Daten ihnen zugeführt werden, ist eine entscheidende – und die Perspektive der ProgrammiererIn hängt offensichtlich damit zusammen. In den USA gibt es z.B. Algorithmen, die Richter*innen dabei helfen, das Strafmaß festzusetzen. Diese unterstützenden Entscheidungssysteme errechnen eine Kennzahl für die Rückfallquote eines Individuums. Zu eine*r*m Kriminellen, die das dritte Mal einen Handtaschenraub begeht, werden alle möglichen Daten in diesen Algorithmus eingefüttert, der daraufhin „grün“, „gelb“ oder „rot“ signalisiert – je nachdem, für wie rückfallgefährdet er diesen Menschen hält. Obwohl Kategorien, wie Gender, Race oder Alter nicht mit in solche Entscheidungssysteme eingespeist werden dürfen, sieht man an dem Beispiel dennoch deutlich eine Diskriminierung von Afro-Amerikaner*innen: Bei Angeklagten aus dieser Bevölkerungsgruppe schlägt der Algorithmus deutlich häufiger vor, dass sie wahrscheinlich rückfällig werden. Es muss also andere Variablen in den eingespeisten Daten oder in dem Algorithmus geben, die so sehr mit Race, Gender und Alter korrelieren, wie etwa der Sozialstatus, so dass Race, Gender oder Alter implizit doch in die Entscheidung des Algorithmus einfließen und Diskriminierungen sich trotz der vermeintlichen Objektivität des Algorithmus reproduzieren. Dieser Reproduktion und Zuspitzung sozialer Diskriminierung müssen wir auf politischer Ebene und in der politischen Dimension der Programmierung begegnen.

BOYS SPACE – The Agency
FFT Düsseldorf
18. & 19. September 2020, jeweils um 20 Uhr
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Text: Linda Gerolstein
Foto: Judith Buss
© THE DORF 2020

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