Michelle Duong

In ein fremdes Land zu ziehen, in dem Wissen, von Null anfangen zu müssen, klingt nervenaufreibend. Besonders, wenn man allein reist und die Sprachkenntnisse gerade mal für ein “Hallo” reichen. Viele Menschen würden vor dieser Herausforderung zurückschrecken, aber nicht Michelle Duong. Die Graphikdesignerin und Fotografin packte ihre Taschen, ließ ihre Heimatstadt Düsseldorf zurück und flog zur anderen Seite der Erde nach Seoul, Südkorea, um fünf Monate dort zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass sie in Koreas Skateboardingszene abtauchen und in der schnelllebigen Großstadt ein Zuhause finden würde. Wir haben mit der Düsseldorfer Studentin gesprochen und sie zu ihren Erfahrungen und ihrer kreativen Arbeit, die sie in Form eines Filmes und vieler Fotos auch in Seoul fortgesetzt hat, befragt.

Erstmal die Basics: Wo lebst Du derzeit und was machst Du? Ich komme aus Düsseldorf und studiere Kommunikationsdesign im 6. Semester. Im Design liegen meine Schwerpunkte in Typografie und Motion Design. Außerhalb der Uni bin ich viel unterwegs – sei es auf Reisen oder hier in Düsseldorf. Seit ca. drei Monaten bin ich aus meinem Auslandssemester in Seoul zurück  und arbeite neben dem Studium als Werkstudentin in einer Agentur. 

Wie lange fotografierst Du schon und bist als Grafikdesignerin tätig? Ich fotografie schon lange. Als ich klein war, habe ich mit dem Camcorder von meinem Papa viel gefilmt und mit Kameras experimentiert. Meine erste eigene Kamera habe ich mit zehn Jahren bekommen, als ich bei einem Wettbewerb Preisgeld gewonnen habe. Seitdem begleitet mich die Fotografie im Alltag und auf Reisen. Seit etwa fünf Jahren halte ich meine Erfahrungen mithilfe von Kurzfilmen fest und als Grafikdesignerin bin ich seit circa zwei Jahren tätig. Durch das Designstudium habe ich viel über den Umgang mit Symmetrie und Komposition gelernt, was ich im Foto und Film umsetze. 

Welche Künstler*innen, Filmemacher*innen, Fotograf*innen etc. inspirieren Dich? Ich mag Wim Wenders Filme. Besonders im Film „Paris Texas“ mag ich, wie er mit Farben und künstlichem Licht spielt und die Tatsache, dass die Bildkompositionen wirklich wie gemalt aussehen. Auch mag ich Spike Jonze’s Film „Her“, da die Bilder sauber und geordnet aussehen und der Film bezüglich des  Color Gradings auch unglaublich schön gemacht ist. Der Fotograf, der mich wohl am meisten in Seoul inspiriert hat, ist Greg Girard. Er hat viel im asiatischen Raum fotografiert und das Nachtleben mit seiner Kamera festgehalten. 

Wie kam es zu Deinem Auslandssemester in Seoul? Und warum ausgerechnet eine Stadt am anderen Ende der Welt? Das Praxissemester im Designstudium stand an und ich wusste nicht, wohin es gehen sollte. Also habe ich mich an den Laptop gesetzt, bin die Liste an Partner-Unis durchgegangen und da ist mir erstmal bewusst geworden, dass ich mein ganzes Leben nur zwischen Europa und Amerika unterwegs bin. Was die asiatischen Partner-Unis angeht, fand ich Seoul am ansprechendsten.  Bis dahin wusste ich von koreanischer Kultur nicht viel und konnte mir auch nicht vorstellen, was mich erwartet. Klar bekommt manvom Umfeld mit, dass mehr Leute K-Pop hören und K-Dramen schauen, aber irgendwie bin ich nie in die koreanische Kultur eingetaucht. Die Tatsache, dass ich dann nach Seoul geflogen bin, war so surreal und rückblickend eine der prägendsten Erfahrungen, die ich mit meinen 21 Jahren machen durfte.

Wie sah dein Leben in Seoul aus? Welche Erwartungen haben sich bestätigt und was war überraschend? Ich bin morgens aufgestanden, hatte einen Koreanisch-Sprachkurs und anschließend Design-Kurse. Spannend war auch, als Design-Studentin einen Typografie-Kurs in Korea zu belegen und zu lernen, wie man mit koreanischen Schriften arbeitet und gestaltet. Eines meiner Lieblingsprojekte im Design sind mit koreanischer Typografie entstanden. Auch mochte ich den Kalligrafie-Kurs, den ich belegt habe.

In Düsseldorf arbeite ich nur digital, weshalb es auch interessant war, mit Pinsel und Tinte zu arbeiten. Mittags bin ich dann am Campus essen gegangen, bin danach zu Cult oder Ttukseom Skatepark gefahren und schließlich wieder nach Hause. Manchmal ging es auch in die Bib oder ins Café, wenn es doch mehr für die Uni zu tun gab oder ich bin zu Nodeul Island und habe die Sonne untergehen sehen. Abends war ich dann oft Mandu essen. Jeder Tag war neu und ich bin immer andere Routen nach Hause gegangen und habe dadurch so viele neue Orte und Ecken Seouls entdecken können, die im Seoul-Film zu sehen sind. 

Erwartungen an Seoul hatte ich nicht wirklich. Vor der Reise war mein Kopf so voller Uni-Abgaben und Bewerbungen für Stipendien, dass ich nicht dazu kam, mich hinzusetzen und zu fragen, was ich selbst von Seoul erwarte. Auf einmal war es September, Zeit Düsseldorf zu verlassen und in einem Land, wo ich noch nie war, von 0 anzufangen. Was mich aber doch noch überrascht hat war, dass Englisch sprechen dort nicht so gängig ist. 

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Was sind Deine drei Lieblingsspots in Seoul? Ich habe so viele Lieblingsspots in Seoul. Zu Anfang war mein Lieblingsspot Dongdaemun Design Plaza. Es liegt recht zentral und ist ein großes architektonisches Gebäude, das nachts schön beleuchtet wird. Ich saß oft da nach einer Session in Cult Skatepark, habe koreanisch gegessen und die Atmosphäre von DDP genossen. 

Ein weiterer Lieblingsort ist Ttukseom Park. Es ist am Wasser gelegen und hat ein Stück grün, was ich aus Düsseldorf vermisst habe. Auch da gibt es einen Skateparkmit dem ich so viele Erinnerungen verknüpfe. Ein großer Teil meiner koreanischen Freunde habe ich in Ttuk kennen gelernt. Das ist der Ort, auf den ich mich am meisten freue, wenn ich nach Seoul zurückkehre.

Ein Viertel, dass ich spannend finde, ist Euljiro. Dieses Viertel hat so viel Charakter und die Straßen und Gebäude mögen zwar unscheinbar aussehen, aber Euljiro hat coole Bars, Restaurants und Ausstellungen. Ein Großteil des Seoul-Kurzfilms ist in Euljiro entstanden.

Auf welchem Weg bist du zur Skateszene in Seoul gekommen? Was macht diese aus und wie unterscheidet sie sich vielleicht von Düsseldorf? In Düsseldorf bin ich zwei Jahre lang regelmäßig geskatet, weshalb ich es mir nicht entgehen lassen konnte, mein Skateboard mitzunehmen.. Wie das Holzbrett und die Rollen in den Koffer gepasst haben, ist mir bis heute unklar, aber irgendwie hat es doch noch geklappt. In Seoul angekommen dachte ich, dass ich sofort skaten werde, aber nein – es hat einen ganzen Monat gedauert, bis ich den Mut dazu hatte, einen Skatepark überhaupt zu betreten. Irgendwie lustig zurückzublicken, aber es fühlte sich wirklich wie bei meinen Skate-Anfängen in Düsseldorf an, nur dass ich diesmal in einem komplett fremden Land war, niemanden kannte und die Sprache nicht sprach. Wäre in Korea englische Sprache gängig, wäre es kein Thema, aber Koreanisch!

Unter all den Typen im Skatepark war aber ein Mädchen dabei, die geskatet ist und mir sympathisch vorkam. Und so habe ich meine koreanischen Sätze zusammengekratzt und mich vorgestellt. Seit dem Tag sind wir so gut wie jeden Tag in Seoul geskatet und mit jeder Session lernt man neue Leute kennen und hat eine gute Zeit. Seouls Skate-Szene ist zwar nicht groß und ich war nur fünf Monate lang da, aber ich habe alle so schnell ins Herz geschlossen und durch sie so viele Erinnerungen gemacht, die ich mit dem Skaten verbinde. Die Szene fühlt sich dort entspannter und familiärer an und gerade unter Girl-Skatern ist man offen und unterstützt sich gegenseitig. Auch fand ich gut, dass es viele Skate-Events gab, die von Brands gehostet wurden, sodass zum Beispiel für einen bestimmten Zeitraum Indoor-Skateparks gebaut wurden oder VideoScreenings abgehalten wurden, bei denen Seouls Skater*innen zusammenkamen, um das neue Skate Video anzuschauen und zu feiern. 

Im Vergleich zu Seoul passiert in Düsseldorf zwar nicht so viel, aber es tut sich langsam auch etwas. Die Szene in Düsseldorf wird größer und man sieht immer mehr Mädels skaten, worüber ich mich freue. Auch ist bei der neuen Skateranlage am Schauspielhaus einiges los. Was den Platz umso besser macht, ist, dass neue Obstacles dazu gekommen sind. Außerdem mag ich, dass es dort schön hell und zentral gelegen ist und man Transition sowie Street fahren kann. Der Skatepark Eller ist zwar weiter außerhalb gelegen, aber ein Besuch lohnt sich.  

Warum hast Du Dich dafür entschieden, Deinen Aufenthalt und vor allem das Nachtleben zu filmen und welches Konzept steckt hinter Deinem Film Ich schneide Filme intuitiv. Ich habe diese immer für mich selbst gemacht, um Jahre später darauf zurückzublicken und zu sehen, wie viel Zeit seitdem vergangen ist und um über meine Phasen des Erwachsenwerdens zu lachen. Im Kurzfilm geht es deshalb um meinen Alltag, wie ich Orte wahrnehme und durchs Leben gehe. Dass im Film viele Nachtaufnahmen zu sehen sind, liegt daran, dass ich oft abends unterwegs war und in dieser Zeit die meiste Inspiration zum Filmen gefunden habe. Ich mag es, mit Licht und Farbe zu spielen und finde die Kontraste interessant, die die Nacht bietet. Seoul ist bei Nacht einfach am schönsten. 

Wie hat Dich Dein Auslandssemester nachhaltig geprägt? Es war das zweite Mal, dass ich für eine längere Zeit weg war. Das erste Mal war vor fünf Jahren in den Wüsten Nevadas für elf Monate. Klar hat mich das geprägt, aber Seoul war doch eine Nummer anders. Ich bin um einiges selbstständiger geworden, habe viel über mich selbst gelernt und habe einiges an Mut gewinnen können. Man kann mich irgendwo auf die Landkarte setzen und ich weiß, dass ich Anschluss finden werde, solange ich offen bin, einfach versuche und mache. 

Welche Orte in Düsseldorf eignen sich für einen Filmdreh oder schaffen es, Dich zu inspirieren? Für einen Filmdreh finde ich die Immermannstraße spannend. Diese Straße pulsiert mit  japanischer Kultur und es gibt bestimmt spannende Geschichten hinter den Menschen, die dort leben und arbeiten. Es ist mit Sicherheit schön, die Farben mit der Kamera einzufangen. 

Wohin würdest Du gern als nächstes reisen und warum? Mich zieht es in große Städte. Ich würde gerne mal nach Tokyo oder Sydney und wenn die Möglichkeit besteht dort zu sein, dann gerne für eine längere Zeit. Ich möchte dort den Alltag erleben, arbeiten und skaten. New Yorks oder Tokyos Skate-Szene zu erleben oder zu dokumentieren, stelle ich mir spannend vor. 

Welche Pläne hast Du für die Zukunft in Düsseldorf? Ich möchte meinen Abschluss fertig machen, weiterhin Leben auf Film festhalten, skaten und neue Leute kennenlernen. Ich will an Projekten arbeiten, an denen ich wachsen kann. Wer weiß, wo ich in einem Jahr bin. Vielleicht bleibe ich in Düsseldorf, aber vielleicht bin ich in einem Jahr wieder an einem anderen Fleck der Erde. Ich bin so jung, habe Bock wie nie und Seoul war erst der Anfang.

Interview & Text: Antonia Lauterborn
Fotos: Michelle Duong
(c) THE DORF, 2022

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