FOTO SCHIKO • LIQUIDATION TOTAL

Die im Jahr 2020 abgerissenen Gebäude auf der Rethelstraße, in denen sich das Bordell rund um Bert Wollersheim befand, waren über Jahrzehnte ein berühmt-berüchtigter Ort, von dem heute keine Spur mehr sichtbar ist. Nach der Schließung 2012 und der Liquidierung des Inventars vier Jahre später haben die Räume Geschichten erzählt von dem, was einmal war. In seinem auf 100 Stück limitierten Fotokunst-Buch Liquidation Total hat der Düsseldorfer Fotograf Andreas Schiko alias Foto Schiko den ehemals schräg schillernden Ort und dessen letztes Kapitel dokumentiert, auch um an einen Teil der Stadtgeschichte zu erinnern. Im Interview hat Schiko Näheres über die Tour durch die verlassenen und verwüsteten Zimmer erzählt, welche Relikte er dort noch finden konnte und was seine fotografische und konzeptionelle Herangehensweise war.

Wie bist Du dazu gekommen, ein Fotoprojekt über die verlassenen Bordelle auf der Rethelstraße zu machen? Warum gerade dieser Ort? Die Rethelstraße war mir als Düsseldorfer immer ein Begriff. Die Öffentlichkeitsarbeit und der Glamour des Herrn Wollersheim strahlten über Jahrzehnte nach außen. Ich wusste, dass die Häuser während des Ausverkaufs menschenleer sein würden. Das wollte ich fotografieren und Flächen ablichten, in denen man sich die Menschen vorstellt oder deren Tun. Auch ganz profan, um einen Teil der Stadt festzuhalten und zu dokumentieren, der einst voller Leben steckte und den nur wenige kannten, weil er geheim und verrufen war. Dann habe ich die Schlafzimmer der Frauen und die Wohnung unter dem Dach gefunden. Ich kannte die Räume vorher nicht und bin mit zwei Filmen in einer Stunde da gewesen.

Die Bilder sind im November 2016 entstanden und die Gebäude sind mittlerweile abgerissen. Hast Du die Fotos damals bereits mit dem Gedanken, sie in einem Buch zu veröffentlichen, aufgenommen? Wie war es, sich ca. 6 Jahre – oder nach einer längeren Pause wieder – mit den Bildern zu beschäftigen. Die Veröffentlichung spielt immer eine Rolle beim Fotografieren. Gerade bei solchen Besuchen. Analog ist man immer begrenzt. Ich plane den Durchlauf und den Inhalt spontan. Umso mehr, weil alles automatisch ist und die Kamera viel selbst dazu tut. In meinem Archiv gibt es viele Möglichkeiten, zu kuratieren. Manche Geschichten sind klar und abgeschlossen, wie die Rethelstraße. Dass die Häuser nun abgerissen wurden, macht die Bilder nochmal relevanter. Als ich das Buch machte, tauchte ich durch die Recherche tiefer ein in das Thema. In der Einleitung von Stefan Schneider ist einiges davon beschrieben.

Du hast halb leer stehende, demolierte Zimmer, die Zimmer der Frauen, die dort gearbeitet haben, dokumentiert. Wie war es, sich in diesen Räumen aufzuhalten? Hatte das Wissen über die Dinge, die dort stattgefunden haben, einen Einfluss darauf, wie Du durch die Räume gegangen bist? Die Zimmer waren verlassen und verwüstet. Das hat den Ort abstrahiert und es machte es einfacher, die Kamera drauf zu halten. Ich hatte kein Stativ, keinen Strom; nur eine kleine Kamera. Auf leisen Sohlen…. war ich eher der Paparazzo, der Voyeur, oder etwas Anderes? Ein Zimmer, das Römerzimmer, sah noch sauber aus. Das Bett war gemacht und alles stand an seinem Platz. Im Mülleimer war eine Tüte und als ich hinein sah, lagen da ein gebrauchtes Kondom und Kippenstummel drin. 2012 war die Schließung, 2016 wurde das Urteil gesprochen und die Häuser konnten gehandelt werden. Aber das Römerzimmer war noch da.

Gibt es eine bestimmte Geschichte, die Du mit den Bildern erzählen willst? Das Buch trägt den Titel Liquidation Total, geht es also auch um die Geschichten um Bert Wollersheim? Hast Du die Motive für die Bilder mit diesem Hintergrund ausgewählt? Herr Wollersheim gestaltete mit einer Künstlerin die Themenräume in den 80ern. Er war lange das Gesicht des Geschäfts, wurde 2012 nach der Schließung auch schnell wieder freigelassen und nicht verurteilt. In der lokalen Presse wie im Fernsehen war er ein bunter Hund. „Die Wollersheims – Eine schrecklich schräge Familie“ bei RTL II war einzigartig.

Die Personalküche, das Büro, alles hing voll mit Zeitungsartikeln, Fotos und Fanpost für das Bordell. Über dem Ausgang der Küche zu den Arbeitsräumen hingen die drei Arbeitsanweisungen: Pünktlichkeit, Lächeln und Bewegung. Das Bild ist auch auf dem Handabzug, der jedem Buch beiliegt, zu sehen. Liquidation Total stand auf einem Banner über einem der Eingänge. Da wurde 2016 das Inventar der Häuser angeboten, um noch etwas Geld zu verdienen.

Gab es bei Deinem Besuch dort auch Orte, an denen Du Grenzen für Deine Arbeit festlegen musstest, weil Du aus Respekt gegenüber den Frauen und anderen Personen, die mit dem Ort in Verbindung stehen, manche Dinge nicht aufnehmen wolltest? Gab es auch Motive, die konzeptionell nicht ins Buch gepasst haben? Dass keine Menschen drauf sein dürfen, war mir ja schon beim Fotografieren klar. Mit Gesichtern auf den Bildern hätte ich nie etwas zeigen können. Das wäre eine ganz andere Arbeit gewesen. In der Küche hingen viele Polaroids und Zeichnungen. Die habe ich mit dem Handy fotografiert. Die standen sicher auch zum Verkauf und ich ärgere mich ein bisschen, dass ich sie nicht mitgenommen habe.

Ich wollte niemanden zitieren, den ich bei meiner Recherche befragt hatte und das Vorwort sollte niemand schreiben, der sich in der Szene zu Hause fühlt. Die Räume erzählen die Geschichten. Von Tagen und Nächten, von Geld, Arbeit und Freundschaft, von der Schließung und dem Prozess. Sie erzählen auch von der plötzlichen Öffentlichkeit, als der Vorhang längst gefallen war. Jetzt sind selbst die Häuser weg und alle Spuren sind beseitigt.

Die Bücher sind auf 100 Stück limitiert, in Lebensmitteltüten eingeschweißt und weitere feine Details wie nummerierte und signierte Handabzüge sind Teil der Auflage. Was war Dir an dem Gesamtkonzept des Buches wichtig, das über einen “einfachen” Fotoband hinausgeht? Was erwartet die Käufer*innen darüber hinaus? Eine größere Auflage war wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. So hatte ich aber die Möglichkeit, nummerierte und signierte Abzüge beizulegen. Der eingelassene Handabzug auf dem Einband und das Einschweißen bietet in der Art keine Druckerei an. Die Gestaltung ist von Lutz Erian und die Einleitung von Stefan Schneider.

Welchen Ort in Düsseldorf würdest Du als nächstes gern fotografisch dokumentieren? Das plane ich nicht im Voraus. Ich habe immer meine Kamera dabei. Letztens ist mir die Baustelle an der Kö aufgefallen. Teilweise stehen dort noch alte Fassaden und in der Mitte stand lange ein Würfel aus Metall. Drumherum nur Abriss und Schotter und mittendrin, zimmergroß, eine Art geschliffener Kristall. Ich dachte mir, dass es so aussieht wie ein begehbarer Safe, der das ganze Geld der Kö lagert.

Wie & wo kommt man an das Buch?
Man kann mir über Instagram an @fotoschiko oder eine E-Mail an foto@schiko.de schreiben.

Liquidation Total ist ab sofort als Hardcover für 80 Euro auf Anfrage bei Foto Schiko erhältlich. Die 100 Seiten zeigen 51 schwarz-weiß Fotografien. Jedem der Exemplare liegt ein signierter und nummerierter Handabzug des Fotos „PLB“ (Pünktlichkeit, Lächeln, Bewegung) in 24 x 16 cm bei. Nur solange der Vorrat reicht, denn das Buch ist auf 100 Exemplare limitiert!

Vielen Dank!

Interview: Lisa-Marie Dreuw
Fotos: Michelle Duong
© THE DORF 2023

Mehr von LISA_MARIE

FLOCKEY OCSCOR • SESSIONS

Das Bild des einsamen Künstlergenies ist überholt. Der Austausch mit anderen eröffnet...
Weiterlesen