Igor und Katja Renko leben seit mehr als 10 Jahren in Düsseldorf und sind als Grafikdesigner und Illustratoren tätig. Ursprünglich kommen sie aus der Ukraine, ihre Familie lebt immer noch dort. Zumindest war es bis vor kurzem so. Vor einigen Tagen ist ein Teil ihrer Verwandtschaft vor dem Krieg nach Düsseldorf geflüchtet. Igor und Katja erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen, ihren Hoffnungen und der Macht der Kunst, auch in schwierigen Zeiten wie diesen etwas zu bewegen.
Ihr seid beide als Kreative in Düsseldorf tätig. Seit wann arbeitet Ihr als Grafikdesigner und Illustratoren? Wie sieht Eure Arbeit in diesem Bereich aus? K: Wir kommen beide aus Kiew und haben in Düsseldorf Kommunikationsdesign studiert. Wir sind aber eher in der Richtung Kunst und Illustration unterwegs. Ich mache zudem Handlettering und Igor Drucktechniken.
I: Ich arbeite seit 2010 selbstständig als Designer mit dem Schwerpunkt Illustration. Seit 2019 bin außerdem als Designer und Illustrator bei der Designagentur KittoKatsu tätig. Mein letztes Projekt war die “Ukraine Solidarity Edition” mit THE DORF. Außerdem habe ich Freunden bei dem Projekt “Stay in Dus” für Menschen, die aus der Ukraine nach Düsseldorf geflüchtet sind, geholfen. Meine Kreativität ist meine Waffe, mit der ich unterstützen und helfen kann. Andere Freunde von mir sind beim Kreativkollektivstudio _thek, für die ich ebenfalls Illustrationen gezeichnet habe.
K: Bei mir herrscht eine kleine Pause, denn vor zwei Monaten haben wir unser zweites Kind bekommen. Ich entwerfe Ideen, aber das Gestalten ist momentan unmöglich. Trotzdem versuche ich soweit wie möglich bei allen Hilfsaktionen zu unterstützen.
Ursprünglich kommt Ihr aus der Ukraine. Wo genau sind Eure Wurzeln und wie lange lebt Ihr schon in Düsseldorf? I: Ich komme aus der Hauptstadt Kiew und wohne seit 11 Jahren in Düsseldorf. Erst habe ich ein Jahr in Lindau am Bodensee gelebt und bin 2011 zum Studium umgezogen.
K: Ich komme aus dem Westen der Ukraine und bin seit 2009 in Deutschland. Nach unserem Studium in Düsseldorf sind wir geblieben. Im Alltag spricht Igor russisch und ich ukrainisch. Putin behauptet, in der Ukraine hätte man ein Problem mit allen im Land, die russisch sprechen. Wir würden diese Menschen nicht akzeptieren und hassen. Igor und ich zeigen, dass das nicht stimmt: Wir haben eine Familie gegründet, sprechen im Alltag zwei verschiedene Sprachen, verstehen uns gut und haben zwei Kinder.
Habt Ihr noch Familie in der Ukraine? Wo lebt sie? I: Eigentlich leben unsere Verwandten noch in der Ukraine. Meine Familie ist vor ein paar Tagen aus Kiew hierhergezogen. Weil nur Männer in der Ukraine bleiben, ist der Mann meiner Schwester noch vor Ort.
K: Meine Familie befindet sich im Westen, wo es im Moment ein bisschen ruhiger ist. Wie lange das so bleiben wird, ist eine Frage der Zeit. Vor kurzem habe ich mit meiner Schwester telefoniert und versucht, sie zu überreden, nach Düsseldorf zu fliehen. Aber sie will die Ukraine nicht verlassen. Ich kann verstehen, dass es nicht leichtfällt, sein Haus aufzugeben. Igors Vater kam nur mit einem Pass nach Deutschland. Die anderen Sachen braucht man nicht. Meine Schwester meinte, dass sie und ihr Mann noch arbeiten und das Land unterstützen möchten. Es ist ihre Entscheidung, aber Igor und ich haben kein gutes Gefühl dabei.
I: Derzeit empfiehlt die ukrainische Regierung, das Land und vor allem die Hauptstadt Kiew zu verlassen. Man kann aus dem Ausland heraus Unterstützung leisten.
K: Igor verpackt zum Beispiel Spenden lädt sie auf LKWs. Alle Flüchtlinge, die aus der Ukraine kommen, können dabei mithelfen, wenn sie wieder psychisch stabil sind.
Die Ukraine Solidarity Edition umfasst Styles vom YARN Designteam und von THE DORF. Der in Düsseldorf lebende ukrainische Künstler und Illustrator Igor Renko hat in Zusammenarbeit mit THE DORF ebenfalls zwei Motive beigesteuert. Die Kollektion erhaltet Ihr exklusiv im Onlineshop von YARN…
Wie habt Ihr die letzten Wochen erlebt? Welche Entwicklungen habt Ihr durchgemacht? K: Für uns war es megaschwierig. Das ist es immer noch, aber dass wir einen Teil unserer Familie schon hier haben, macht es etwas einfacher. Obwohl wir nicht in der Ukraine waren, als der Krieg anfing, war es schwer, mit unseren Verwandten zu telefonieren oder die Nachrichten zu lesen. Ich würde sagen, dass ich ganz gut mit Stress oder schwierigen Situationen umgehen kann, aber jetzt bin ich einfach ratlos.
So etwas habe ich noch nie gefühlt oder erlebt, mir fehlen die Worte. Zuerst waren wir geschockt und dann kamen die Fragen: Wie kann ich helfen? Was kann ich tun? Was machen wir jetzt mit unserer Familie? Seit der Krieg angefangen hat, haben sie im Keller übernachtet, um sich zu schützen. Die letzten Wochen möchte man nie wieder erleben und man wünscht keinem, etwas ähnliches erleben zu müssen.
I: Es war strange, hier weiterhin unserem Alltag nachzugehen. Als würde man etwas Falsches machen, während unsere Familie sich im Keller versteckt. Sie schauen keine Serien und treffen keine Menschen. Sie kümmern sich um Essen, um die Kinder und um Schutz.
K: Das Wetter war so schön in Deutschland. Alles ist voller Blumen. Das hat mich total genervt, weil es nicht zusammenpasst. Unter diesen Umständen kann man es nicht genießen.
Wie empfindet die Nachrichten, die aus der Ukraine von Euren Angehörigen nach Deutschland dringen? I: Telegram ist eine ganz neue Entwicklung für mich. Wir bekommen Live-Nachrichten und Alarm bei Bombenanschlägen in der Ukraine. Am Anfang konnte ich nachts nicht schlafen. Ich habe immer auf meinem Handy nachgeschaut, ob alles okay ist.
K: In den ersten Nächten nach ihrer Ankunft sind Igors Eltern bei uns geblieben. Sie haben eine App, die in der Nacht einen Alarm am Handy ausgelöst hat, wenn die Stadt bombardiert wurde. Es war sehr schwierig, mit unserer Familie in Kiew zu telefonieren, da man im Hintergrund Alarm oder Flugzeuge hören konnte. Auch wenn ein Teil von Igors Familie bei uns ist, haben wir immer noch 40 Millionen Familienmitglieder in der Ukraine.
Wie sieht die nahe Zukunft für Euch und Eure Familie aus? Welche Pläne habt Ihr? K: Wir haben keinen Plan. Nur die Hoffnung, dass es bald vorbei ist. Die Geflüchteten wollen nach Hause. Wir haben gestern Igors Familie in Düsseldorf angemeldet und viele andere geflüchtete Menschen getroffen, die uns sagten, dass sie schon kurz davor standen, zurückzugehen. Natürlich ist es sehr gut, dass sie in Sicherheit sind und es gilt Deutschland und allen, die mithelfen, großer Dank. Trotzdem haben diese Menschen alles verloren.
Das Leben wird nie wieder sein wie zuvor, auch für uns nicht. Man kann nichts planen und lebt jeden Tag nur, um zu helfen. Ich wünsche Putin nicht den Tod, sondern dass es in seinem Gehirn “Klick” macht und er sich nur noch Schönem widmen möchte, Schmetterlingen und Blumen. Und dass er die Ukraine zurückbringen und aufbauen will.
In letzter Zeit entstehen viele Aktionen, um der Not in der Ukraine Abhilfe zu leisten. Auch von Seiten der Künstler*innen und Kreativen gibt es Engagement. Wie seht Ihr als Künstler diese Bemühungen und das Potenzial der Kunst, in dieser Situation zu helfen? I: Ich finde, da ist sehr großes Potenzial. Es gibt viele informative Ausstellungen, was sehr wichtig ist. Es ist cool und stark, dass dabei Geld gesammelt wird
K: Jeder kämpft zurzeit mit seinen eigenen Waffen und die Kunst ist unsere. Ob mit Hilfe von Worten, Bildern oder Illustrationen. Verleiht Eurer Stimme Ausdruck! Das hilft auf jeden Fall. Die Künstler müssen kreativ schaffen, sonst ersticken sie.
I: Die Künstler aus der Ukraine, zu denen ich Kontakt habe, sitzen im Keller und zeichnen. Das ist ihre Waffe.
Was empfehlt Ihr Menschen, die sich solidarisch mit der Ukraine zeigen und helfen wollen? K: Macht das! Weiter so! Es hilft, an Demonstrationen teilzunehmen oder einfach in der Instagram Story zu teilen, dass eine stattfindet. Wir haben alle eine eigene Stärke, die wir nutzen können.
I: Die Solidarität in der ganzen Welt überrascht mich, weil sie so krass ist. Alle sind daran beteiligt. Es ist ein Kampf der Putin-Regierung, das russische Volk macht das auch nicht mit. So zeigen wir die europäische Lebenswelt.
Gibt es Organisationen oder Bewegungen, die Eurer Meinung nach unterstützt werden sollten? I: Superviele! Es gibt nicht nur die eine große Organisation, sondern viele helfen privat. Dass THE DORF mit anderen Künstlern die Ukraine unterstützt, ist cool. Oft helfen der Ukraine nicht nur Geld, sondern Sachspenden. Dort fehlen jetzt an erster Stelle Medikamente, die aus anderen Teilen Europas gespendet werden müssen.
K: Im Augenblick befinden sich sehr viele Flüchtlinge in Deutschland. Die Kinder sind ein großes Problem. Weil sie kein Deutsch sprechen, können sie nicht einfach zur Schule oder in den Kindergarten gehen. Es fehlt eine Beschäftigung. Ich sehe das bei Igors Nichten. Gut wäre zum Beispiel eine Art Verein oder Workshop, wo jemand ein Buch vorliest, Kinder andere Kinder kennenlernen können oder sie etwas zusammen basteln.
Das physische Leben ist hier vielleicht in Sicherheit, aber gedanklich sind die Menschen immer noch da. K: Das macht es noch schwieriger. Zuhause kennt man sich aus und kann sich orientieren. Für die Menschen, die in Deutschland Verwandte haben, ist es natürlich einfacher, aber es gibt sehr viele, die die Sprache nicht beherrschen und keine Unterstützung bekommen.
I: Oder sogar zum ersten Mal im Ausland sind.
K: Genau. Die fühlen sich verloren. Das Schlimmste daran ist, dass man nicht weiß, wann diese Situation enden wird.
Igor, Du hast zwei Designs für die Kollektion “Ukraine Solidarity Edition” von THE DORF x Yarn Studios erstellt. Welches Konzept steht hinter Deinen Designs? I: Das Thema der Designs ist “Frieden”. Das erste Motiv trägt den Titel “Holubka”, das ist ukrainisch für “Taube” oder “Täubchen”. Sie ist mit der Göttin Venus abgebildet, ein weiteres Friedenssymbol. Das andere Design “Flower Tank” zeigt eine Mutter mit ihren Kindern. Sie steht für die vielen Mütter, die jetzt kämpfen und gleichzeitig keinen Krieg wollen, da die Kinder sehr darunter leiden.
Wie kam es zu der Kollaboration? I: THE DORF und ich kennen uns schon lange und als ich angeschrieben wurde, habe ich sofort zugesagt. In den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, zeichne ich ohnehin viel. Das macht mich selbst ein bisschen ruhiger und ich habe das Gefühl, die Ukraine zu unterstützen.
K: Wenn man irgendwie helfen kann, machen wir mit. Igor hat zum Beispiel auch dabei geholfen, LKWs zu beladen. Er kam nach Hause und hat gesagt: Jetzt fühle ich mich ein bisschen erleichtert.
Welche Hoffnungen und Wünsche habt Ihr für die Zukunft? K: Wir haben die Hoffnung, dass niemand in der Ukraine mehr sterben muss und wir nachts keine neuen Nachrichten zu Bombenangriffen erhalten. Ich wünsche mir, dass nicht nur die Ukraine, sondern jedes Land und jeder Mensch das nie erleben muss.
I: Ich würde mir wünschen, dass es nie wieder zu einem Krieg kommt und in Russland ein neuer Präsident demokratisch gewählt wird.
K: Wir haben oft darüber gesprochen, wie viel Glück wir haben, dass unsere Generation keinen Krieg erleben musste, wir genug zu essen haben und reisen können. Wir können machen, was wir wollen und unser Hobby zum Beruf machen. Wir sind glücklich. Und jetzt ist einfach alles kaputt.
Hier geht’s zur Kollektion “Ukraine Solidarity Edition” THE DORF x Yarn Studios
Interview: Antonia Lauterborn & Anna Dittberner
Text: Antonia Lauterborn
Foto: Anna Dittberner
© THE DORF 2022