EAR: Emotional Audiovisual Retail

Zum Auftakt seiner Veranstaltungsreihe “ear” (emotional audiovisual retail) lud der Experience/Retail Design-Student und Musikveranstalter Felix Sandvoß Anfang Januar in den arabischen Supermarkt “Al Majd” in Düsseldorf Friedrichstadt ein. Wie der Name schon vermuten lässt, geht es bei “ear” darum, Aufmerksamkeit gezielt auf die Sinneseindrücke zu lenken, um einen einzigartigen Shopping-Erlebnisraum zu schaffen. Ein sensorisches Musik-Raum-Konzept für den kleinen, bedrohten Einzelhändler? Genau, so kann man sich das vorstellen.

Ein Samstagnachmittag in Düsseldorf Friedrichstadt. Auf den Straßen herrscht wenig Betrieb, aber laut ist es trotzdem. Wer die Ohren offen hält, hört nicht nur das Brausen des Verkehrs, sondern auch Rufe, raschelnde Einkaufstüten und Hundegebell. Kein Wunder, schließlich gehören Geräusche zum Stadtleben wie die Königsallee zu Düsseldorf. Nehmen sie jedoch überhand, beeinträchtigt dies sowohl den Gemütszustand wie auch die Wahrnehmungs- und Orientierungsfähigkeiten.

Mit anderen Worten: Eine akustische Dauerbelastung nervt, und sie stumpft ab. Die Möglichkeiten, sich gegen eine Reizüberflutung abzuschirmen, sind begrenzt. Denn egal ob in Kaufhäusern, Supermärkten oder Gaststätten: Lärm lauert überall. Damit wir bei aller Hektik und Lautstärke das gesellschaftliche Miteinander nicht vergessen, hat der Experience/Retail Design-Student und Musikveranstalter Felix Sandvoß beschlossen, Situationen zu schaffen, in denen visuelle und auditive Eindrücke miteinander im Einklang stehen. Seine Veranstaltungsreihe „ear“ (emotional audiovisual retail) soll inspirieren, die bildliche und klangliche Essenz von Orten in der Stadt (neu) wahrzunehmen.

Zum Auftakt von “ear” lud Felix am ersten Januar-Wochenende 2020 in den arabischen Supermarkt “Al Majd” auf der Hüttenstraße 71 ein. Dort konzipierte und kuratierte der 26-Jährige ein sensorisches Musik-Raum-Konzept, das den syrischen Ladenbesitzern Yahia und Aadel helfen soll, sich positiv von konventionellen Ketten wie Edeka und Rewe abzuheben. Das langweilige, immer wieder gleiche Sortiment des Großhandels ist, kulinarisch gesehen, nichts im Vergleich zu der Produktauswahl im Al Majd. Doch als lokaler Nischenanbieter reicht es längst nicht mehr, lediglich Ware im Geschäft feilzubieten. “In einer Welt in der man alles kaufen kann, sinkt der Wert von Gütern”, sagt Felix und macht eine ausladende Geste in Richtung des für einen gewöhnlichen Supermarkt recht abenteuerlich wirkenden Ambiente. „Es sind persönliche und unwiederholbare Erlebnisse, die ein Produkt einzigartig machen”.

Shopping mit Erlebnischarakter ist per se nichts Neues. Was “ear” besonders macht, ist, wie geschickt Felix seine drei Hauptinteressen – Musik, Retail und Graphik Design – zu einem stimmigen Gesamtpaket verknüpft. Jedes gestalterische Element im Al Majd ist sorgfältig durchdacht und trägt dazu bei, die verschiedenen Sinneseindrücke in sanfter Wechselwirkung miteinander ins Gleichgewicht zu bringen. Werbejingles, nullachtfünfzehn Spotify-Playlists und Neonlicht sind hier fehl am Platz. Stattdessen Wohlfühlatmosphäre, gedämpftes Licht, einladende Ledersofas und eine Ladentheke mit arabischen Spezialitäten. Auch die akustische Untermalung im Supermarkt lässt keine Wünsche offen: Am Mischpult stehen Vinyl-DJs inmitten von Gemüseauslagen und legen orientalische Musik zum Chillen auf.

Die Zahl der neugierigen Passanten, die offensichtlich in großer Mehrheit im Al Majd einkaufen wollten, war deutlich größer als an einem normalen Samstagnachmittag. So zumindest lautete das Fazit der zufriedenen Ladenbesitzer Yahia und Aadel. Das macht Sinn, denn auch im Konsum suchen wir nach einer sympathischen Geräusch- und Bildkulisse. Werden diese Bedürfnisse gezielt befriedigt, ergibt sich aus sozialen Gesichtspunkten ein Mehrwert, der sich allerdings auch in einen kulturellen Kontext einbetten lässt. Felix fasst das mit folgenden Worten zusammen: “Al Majd trägt zu einer weiteren Steigerung der bereits großen Attraktivität des Einkaufsstandorts Düsseldorfs bei”. Somit schlägt “ear” gleich zwei Fliegen mit einer Klappe – einerseits bietet die Veranstaltungsreihe Raum für audiovisuelle Erholung; andererseits ermöglicht sie einen Paradigmenwechsel, der im Nachgang neue Synergien ergeben kann.

Yahia und Aadel öffnen ihren Supermarkt “Al Majd” auf der Hüttenstraße 71 von montags bis samstags, 8 bis 20 Uhr.

Text: Merit Zimmermann
Fotos: Harald Schaack
© THE DORF 2020

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