JÅRG GEISMAR. FREEZE FOR YOU

Nothing fits everything goes, Jiri Svetska, Prag 2007 / Jårg Geismar

Jårg Geismar war ein Künstler, der in seinem Schaffen immer wieder durch neue Perspektiven überrascht hat – und sich nicht in eine bestimmte Schublade stecken ließ. Vom 4. November bis zum 17. Dezember 2023 wird der in Schweden geborene Künstler mit seiner dritten und ersten postumen Einzelausstellung „freeze for you“ bei Ruttkowski;68 in Düsseldorf präsentiert. Die Ausstellung feiert am Freitag, den 3. November 2023 ihre Eröffnung.

Es werden ausgewählte Arbeiten Geismars aus drei Jahrzenten (1992–2018) vereint, die bis heute nichts von ihrem subtilen Humor und ihrer Ironie, ihrem pointierten und zugleich spielerischen politischen Impetus und ihrer mitunter unterschwelligen Morbidität verloren haben. In diesem Sinne trägt sie retrospektive Züge und hat das Anliegen Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers zu gewähren.

Als Jårg Geismar Ende der 1980er Jahre seinen künstlerischen Weg betrat, herrschte das Spektakuläre, Schrille und Laute vor. Geismars Weg war dagegen leise, unspektakulär, doch um so beharrlicher. Aufmerksamkeit erzeugten seine Arbeiten nicht durch etwas Spektakuläres, sondern durch etwas Alltägliches, Gewöhnliches, Gebrauchtes, Gefundenes – dies war von Anfang an das wichtigste Anliegen des Künstlers. Dafür steht das Kabel, das der Künstler selbst als das Hauptmerkmal seiner Kunst bezeichnete. Ein rotes Elektrokabel – THE RED LINE ist auch der Titel seines Buches –, das sich durch den Raum zieht, welches Matratzen zusammenschnürt oder sich um eine gefaltete Zeitung windet. Ein Kabel, dessen Erscheinen Aufmerksamkeit auf sich zieht, die einmal geweckt weiter durch den Raum, entlang der Wände und über den Boden schleicht. Aufmerksamkeit nicht durch etwas Spektakuläres, sondern durch etwas Alltägliches, Gewöhnliches, Gebrauchtes zu wecken – nicht selten bestehen seine Inszenierungen und Objekte aus Abfall und scheinbar überflüssigen, gefundenen Materialien – war von Anfang an das wichtigste Anliegen Geismars.

Ein Kabel steht jedoch auch für Energiefluss. Ohne ein Kabel keine Energie, kein Licht. Und was ist ein besseres Bild für ein unendliches, alle Grenze überschreitendes Fließen als das Licht. Licht breitet sich in alle Richtungen gleichzeitig aus, tritt durch das Glas oder das Zellophanpapier hindurch und wo es auf Widerstand stößt, da wirft es Schatten. In den 1980er Jahren entstehen Inszenierungen, in denen Diaprojektoren und Lampen, durchsetzt von Ventilatoren, Bilder an die Wände malen und Räume entstehen lassen, die nicht nur flüchtig sind, sondern, da das Licht von keiner materiellen Substanz ist, auch magisch. Etwas von dieser magischen Wirkung haben auch die späteren Zeichnungen von Geismar – zum Beispiel die Glasmalereien aus der Serie nothing fits everythings goes von 2007 und die Zeichnung la fleur von 2018. Vor allem letztere von hinten auf eine Plexiglasplatte mit leuchtend farbigen Glasfarben gemalte und geritzte Zeichnung wirkt tatsächlich durch das von hinten kommende, Farben wechselnde Licht magisch.

Ein Kabel ist auch eine Linie und es sind über Jahre vor allem Linien, welche die auf den verschiedensten, fast immer transparenten, lichtdurchlässigen Unterlagen wie dem Glas oder dem Zellophan entstandene Zeichnungen auszeichnen. Sie dominieren auch in den schon genannten Serien. Eine Grenze, die den Raum trennt, die Menschen trennt, die Kulturen trennt. Sich solcher Grenzen bewusst zu werden, um anschließend zu versuchen, sie zu überwinden, darum ging es Geismar. Das trifft auch aus seine Aktion Joint Venture zu, die er während der Gruppenausstellung mit dem Titel Site of Intolerance im PS1 in New York 1992 ausführte und die in dieser Ausstellung – mit dem mehrdeutigen und aus der Titelsammlung des Künstlers stammenden Titel freeze for you – zum Teil wieder reinszeniert wird. In einem kleinen Koffer brachte er von Düsseldorf das Material nach New York mit, welches er auf seinen Reisen gesammelt hatte. Er öffnete den Koffer und baute in den nächsten Tagen verschiedene Installationen aus chinesischen Plastikrosen, aus Durchschlagpapier, aus russischen Zeitungen, aus seidenen Rosen und Plastikspielzeug auf. Den Koffer stellte er dann in den Eingang als eine Sperre, so dass der Raum nicht betreten werden konnte. In der Galerie wird ein Teil dieser Installation wieder aufgebaut. Wie damals in New York stecken nun 54 kleine Plastikflugzeuge mit Anspitzern als Triebwerke und mit der Nase voran, diesmal allesamt in einer Wand des Galerieraumes.

Zudem ging es Geismar vor allem um die Überwindung von Grenzen durch Kommunikation. Er selbst war ständig auch zwischen den Kontinenten auf Reisen. Bereits 1985, Jahre bevor das Internet allgemein genutzt wurde, gründete er A.T.W. (Around the World), eine globale Plattform für Austausch nicht nur zwischen Künstlern und Künstlerinnen. Und seine inszenierten festlichen Dinner (Restaurant mes Amis), zu denen er auf den verschiedensten Orten der Welt einlud, und die er als Teil seiner künstlerischen Praxis betrachtete, sind heute legendär. Erst einige Jahre später, 1998 führte der französische Kunsttheoretiker Nicolas Bourriaud für solche Aktionen den Begriff relationale Ästhetik ein. Als Reminiszenzen an dieses Interesse an Kommunikation sind die Cut Out Collagen und die Serien Without you people’s exchange von 2002 sowie People’s exchange von 2010 zu verstehen. Sie zeigen Fotos von Menschen, die Geismar selbst aufgenommen hatte, oft als Schatten, eben als diejenigen, an denen das Licht abprallt.

Mit seinen Aktionen, die Wert auf die Kommunikation und dadurch auf die Überwindung von Grenzen legen, aber auch zum Beispiel mit der Verwendung der Technik der Collage und der zum Teil kitschigen, billigen Objekte, welche zum Teil sogar wie Abfall wirken, in seinen Inszenierungen – erst Jahre später wurde dieses Vorgehen von zum Beispiel der Künstlerin Isa Genzken etabliert – war Geismar seiner Zeit weit voraus. Walter Benjamin leitete einmal eine seiner Schriften mit folgenden Worten ein: „Methode dieser Arbeit: literarische Montage. Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen.“ Mit seiner Methode der Montage zeigte Geismar einiges, aber nicht nur das, er selbst hatte auch einiges zu sagen.

„freeze for you“

4. November 2023 – 17. Dezember 2023

Ruttkowski;68
Grabbeplatz 2
40213 Düsseldorf

Do. – So.: 11 bis 19 Uhr

Eröffnung
Freitag, 3. November 2023
19 bis 21 Uhr

Text: Noemi Smolik
Fotos: © Courtesy of Ruttkowski;68 and the artist, Photos: Johannes Bendzulla
© THE DORF 2023

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