Das Nachtleben steht weiterhin still, doch noch vor eineinhalb Jahren war die Clubtür das Portal in eine Gegenwelt, in der man den Alltag für ein paar Stunden vergessen und sich in treibenden Bässen verlieren durfte. Zwischen Kollektivismus, Körperlichkeit und Starkult fungieren DJs als Zeremonienmeister*innen der Party. In dem Fotoband BEFORE THE MUSIC STARTS porträtiert Wahl-Düsseldorfer Maximilian Becker die Gesichter hinterm Mischpult. THE DORF traf den Fotograf aus Leidenschaft zum Gespräch über deutsche Clubkultur und Techno als Raum zur Entfaltung.
“In die Musik hineingehen, Rhythmus, Sound, Maschine werden, ein sich bewegender, tanzender Körper unter Körpern zu sein” – das ist ein Kernritual des Techno. Und eine knappe Zusammenfassung dessen, was momentan unvorstellbar ist. Vor Corona gehörte die Intensität, Körperlichkeit und Unmittelbarkeit des Techno fest zum Wochenende vieler Clubgänger*innen dazu. So auch für Maximilian Becker, der aus seiner Leidenschaft ein Projekt entwickelte und es mit seiner Kamera im Gepäck bis in den Backstagebereich vieler Clubs schaffte. Sein Fotoband BEFORE THE MUSIC STARTS erschien 2017 und dokumentiert sowohl namhafte als auch Underground-DJs vor und nach ihren Gigs.
Mit einem Vorwort von Matthias Pasdzierny von der Universität der Künste Berlin ist BEFORE THE MUSIC STARTS ein Buch, das sich voll und ganz der Liebe zum Techno hingibt. Die letzte große Subkultur des 20. Jahrhunderts steht für das Eintauchen in eine andere Welt, in der die Regeln des Draußen nicht mehr gelten. Techno-Partys werden zu einem Ort für Utopien und Gemeinschaft, Wertfreiheit und Körperlichkeit.
Die nach außen hin oft monoton und kühl wirkenden Sets sind nicht nur für Fans und Clubgänger*innen, sondern auch für die DJs eine emotionale Reise. Im Gespräch mit THE DORF erzählt der Wahl-Düsseldorfer Maximilian Becker von seinen Einblicken in die Backstage-Bereiche, besondere Nächte mit Szenegrößen und den Zauber der Clubkultur.
Was hat Dich nach Düsseldorf verschlagen? Ich wurde in der Schweiz geboren, aber meine Eltern sind aus Düsseldorf. In meiner Jugend haben wir nochmal für einige Jahre in der Nähe Düsseldorfs und in Hamburg gewohnt, bis wir wieder zurück in die Schweiz zogen, als ich 14 Jahre alt war. Dort habe ich 20 Jahre gelebt und bin Ende 2017 nach Düsseldorf gekommen. Obwohl ich tolle Leute in der Schweiz kannte, hatte ich nach den Jahren den Drang nach mehr großstädtischem Leben. Außerdem konnte ich mir nicht mehr vorstellen dort alt zu werden, da man sich als Deutscher und der Schweiz nicht immer willkommen fühlt.
Was ist Dein beruflicher Background? Ich bin in der PR-Branche tätig, habe aber schon vor langer Zeit angefangen zu fotografieren. Zuerst fotografierte ich Landschaften und leere Räume, bis ich bei einer Ausstellung meiner Fotos gefragt wurde, ob ich Lust hätte, bei einem Open Air Festival Rockbands im Backstage zu fotografieren.
Einige Zeit später war ich im Watergate in Berlin und habe Solomun erlebt. Ich war auf der Tanzfläche und sah ihn hinterm Pult. Solomun stand da in einem blauen Unterhemd und hatte so eine Freude an seinem DJ-Set, er mischte Hardcore-Techno mit Vogueing-Musik. Es war so eine Energie da – wie eine Verbindung für eine Nacht.
Diese Stimmung wollte ich einfangen und mir wurde klar: Du stehst viel mehr auf elektronische Musik – nie mehr Rockstars, die sehen sowieso alle gleich aus! So kam ich auf die Idee, DJs zu fotografieren. Ein paar Monate später spielte Solomun ein Set in einem Club bei mir in der Nähe, zu dem ich auch Connections hatte. Als ich einen Slot bekam und ihn fotografierte, war es um mich geschehen.
Was fasziniert Dich an Clubs und der DJ-Szene? Zunächst einmal fasziniert mich die Musik. Manche Leute gehen in die Clubs zum Feiern und Trinken. Ich gehe hin, um mir ein DJ-Set anzuhören. Ich sehe das eher unter einem künstlerischen Aspekt: Für mich ist ein DJ-Set wie eine Reise.
Unser Leben in der Stadt ist so geregelt und voller Restriktionen – gerade in Coronazeiten wird das wieder bemerkbar. Wir können uns nur in gewissen Bereichen zwischen Ampeln, Fußgängerzonen und teilweise nur zu gewissen Zeiten bewegen. Wir haben Konventionen in unserem gesellschaftlichen Leben und müssen täglich im Büro performen. Clubs sind vielleicht noch die letzten Sphären, wo man sich ausleben kann und sein kann, wie man ist. Deswegen darf man im Berghain wahrscheinlich auch keine Fotos machen: Damit die Leute für eine Nacht sie selbst sein können.
Ich glaube, dass ein Club fast schon ein metaphysischer Raum sein kann, wo es uns aus dem Alltag herauszieht. Das brauchen wir alle. Das ist vermutlich auch ein Grund, warum es vielen Leuten in der Coronazeit psychisch nicht so gut geht, weil sie den Lift aus dem Alltag heraus vermissen.
Welche Stimmung kristallisiert sich im Backstage heraus, bevor der/die DJ die Bühne betritt? Viele waren sehr angespannt. Einige waren wirklich nervös, wollten nicht mehr angesprochen werden und die Fotos erst nach dem Set machen. Es gab auch einige, die total locker drauf waren, noch ein Glas Champagner tranken und vor lauter guter Laune bald ihr Set vergaßen.
In dieser Situation spielt der soziologische Ansatz der Vorderbühne und Hinterbühne, also der Vorbereitung zur Selbstdarstellung, eine große Rolle. Im Backstage geht es ganz klar um die Hinterbühne, wo die ganze Vorbereitung stattfindet. Es war für mich immer ein großes Privileg, diesen Bereich überhaupt betreten zu dürfen. Im Backstagebereich ist es unaufgeräumt, es stehen Bierkästen herum, man sitzt auf durchgesessenen Sofas mit Brandflecken – schick ist das nicht. Es brennt Licht, es ist hektisch, es rennen Manager herum. Es ist ein Ort der Entzauberung oder der Vorbereitung für den Zauber.
Welche Unterschiede nimmst Du zwischen der schweizerischen und der deutschen Clubkultur wahr? Ich habe das Gefühl, dass man in Deutschland spontan mehr feiern geht. In der Schweiz wird der Abend mehr geplant und dann richtig zelebriert. Das kann daran liegen, dass dort alles teuer ist und man sich überlegen muss: Gehe ich noch in den Club und zahle 30 Franken Eintritt oder bleibe ich zuhause und trinke ein Bier?
Hast Du die Düsseldorfer Clubs schon mal auschecken können? Welche haben es Dir angetan? Wo willst Du nach Corona unbedingt mal hin? Ich möchte wieder ins Golzheim. Das ist für mich eine super Location, ich nenne es immer das „Berghain von Düsseldorf“. In der Altstadt gefällt mir das Oh Baby Anna gut, da hatte ich gute Abende, denn dort gibt es ein gutes Programm und man merkt, es ist ein anderes Klientel als in vielen anderen Altstadt-Etablissements. Außerdem möchte ich mal die Kölner Clubreihe Rote Liebe auschecken, dahin habe ich es bisher noch nicht geschafft.
Was war eine besondere Nacht, die Du nie vergessen wirst? Nicolas Jaar war eine ganz spezielle Nacht, weil es war ein furchtbares Hin und Her mit seinem Management war. Es hieß, er wäre dabei und wir sollten um 12 Uhr da sein. Dann wurde mir doch abgesagt mit der Begründung, er sei hochkonzentriert und möchte das jetzt nicht. Ich hatte die Absage schon akzeptiert, als mir dann gesagt wurde, er möchte die Fotos doch machen, aber erst nach seinem Set. Ich habe 5 Stunden lang davor gewartet und war nach dem Set im Backstage-Bereich, aus dem wir dann rausgeschmissen wurden.
Warum weiß ich bis heute nicht. Dann kam uns der Nightmanager entgegen und fragte uns, ob wir nicht den Fototermin hätten, Nicolas Jaar würde auf uns warten und wir wurden wieder reingeholt mit großer Entschuldigung. Nach diesem Chaos war ich um 7 Uhr zuhause und fertig mit den Nerven.
Mit Marcel Dettmann vom Berghain war es ganz anders. Er kam an, wir fanden uns total sympathisch, haben uns über Musik ausgetauscht, ich hatte eine Platte mit, die er mir signiert hat. Er sagte „Weißt du was, du bist so nett, ich hol noch eine Flasche Champagner!“ Und dann haben wir zusammen die Flasche geköpft.
Man kann nie sagen: “Das ist ein großer Name und deswegen komplizierter oder easy-going”, das lässt sich nicht generalisieren. Im Großen und Ganzen hatte ich den Eindruck, dass alte Hasen wie DJ Hell oder DJ Fetish oft alles selbst machen, gleichzeitig total nett sind und mit ihnen eine tolle Zusammenarbeit entsteht. Ähnlich war es bei Massive Attack: Ich habe bei deren Plattenlabel angerufen und hatte die Genehmigung für einen Fototermin innerhalb von drei Minuten. Das war etwas Besonderes für mich, weil ich Massive Attack-Fan der ersten Stunde bin. Im Gegensatz dazu sind manche Newcomer, die mit 18 Jahren bekannt werden und mit 22 meinen sie hätten es geschafft, furchtbar kompliziert.
Hat sich durch das Buchprojekt seit 2017 eine neue Tür geöffnet, sodass Du mittlerweile nicht mehr in der PR-Branche arbeitest, oder war das eine einmalige Sache? Nachdem ich mich 5 Jahre lang mit DJs beschäftigt habe, war das Thema für mich erstmal durch. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich mich mich nicht mehr bis 6 Uhr in irgendwelchen Backstage-Bereichen rumtreiben wollte.
Allerdings gibt es noch zwei, drei DJs, die ich noch nicht fotografiert habe und die auf meiner Top Liste standen, zum Beispiel das Duo Lulu Rouge aus Kopenhagen. Sie treten leider nur dort auf und das auch nur sporadisch. Im Laufe des Projekts sind noch ein paar DJs dazugekommen, die ich wirklich gerne interviewen oder fotografieren würde, wie Ryan Elliott vom Berghain. Haxan Cloak finde ich außerdem als Musiker phänomenal und sehr innovativ. Er macht seine Dubtechno Alben, die furchtbar düster und schwer sind, und hat auf der anderen Seite das letzte Goldfrapp Album produziert. Er kann beides und macht phänomenale Soundtracks. Ich finde ihn furchtbar interessant, das Problem ist nur: Er lebt in Los Angeles. Und für ein Foto fliege ich da nicht hin.
Bis heute suche ich ein neues Projekt. Und ich merke auch, dadurch, dass die Clubs geschlossen sind, kribbelt es mir wieder in den Fingern. Ich möchte wieder in Clubs gehen und etwas Neues im Bezug auf Clubkultur kreieren. Mittlerweile kaufe ich auch wieder viel mehr Schallplatten und tausche mich mehr über Techno, House und Dub mit meinen Freunden aus. Die Lust ist wieder groß!
BEFORE THE MUSIC STARTS ist 2017 im Distanz Verlag erschienen und für 29,90 Euro hier erhältlich.
Um die Wartezeit zu verkürzen, bis die Türen der Clubs sich wieder öffnen, haben wir eine Spotify-Playlist mit Musik der porträtierten DJ’s zusammengestellt. Rave on! Hier reinhören…
WIN WIN WIN!
Der Fotoband ist ein Must-Have für alle, die ihr Wochenende vor Corona zwischen Lautsprecherboxen und unter Diskokugeln verbracht haben. Wir können es kaum erwarten, uns wieder ins Nachtleben zu stürzen und verlosen deshalb vom 18. bis 23. Mai drei Exemplare von BEFORE THE MUSIC STARTS auf Facebook und Instagram. Viel Glück!
Text/Interview: Maren Schüller
Fotos: Maximilian Becker
© THE DORF 2021