STEFAN SAGMEISTER • BEYOND TELLERRAND

Stefan Sagmeister

Jenseits des großen Teiches in der 14th Street des New Yorker Stadtteils Manhattan hat der Designer Stefan Sagmeister sein Büro. Von dort aus gestaltet der gebürtige Österreicher seit über 30 Jahren verschiedene Produkte und Projekte, von Plattencovern, Büchern und Möbeln bis hin zu multimedialen Ausstellungen in Museen. In Europa gilt Stefan Sagmeister als einer der erfolgreichsten und renommiertesten Grafik- und Kommunikationsdesigner unserer Zeit. Anlässlich der zwölften Ausgabe der „beyond tellerrand“-Konferenz am 13. und 14. Mai 2024 wird er als einer von elf Keynote Speakern auftreten und dem designinteressierten Publikum von seiner Arbeit und den Themen erzählen, die ihn umtreiben. 

Die von Marc Thiele organisierte und seit 2011 stattfindende beyond tellerrand-Konferenz ist mittlerweile zu einer festen Institution in der Düsseldorfer Design-Szene geworden. Jedes Jahr seit ihrer Gründung, mit Ausnahme der Corona-Pandemie, bringt die Konferenz junge aufstrebende und international etablierte Designer:innen, Typograph:innen, Forscher:innen, Künstler:innen und Autor:innen nach Düsseldorf, um den Austausch über Trends, Ideen und Ansätze im Bereich Design, Technologie und kreativer Gestaltung zu fördern und Kreative im DORF und Umland zu inspirieren. Stefan Sagmeister ist ein besonderer Gast der diesjährigen Ausgabe von beyond tellerrand. Als Vorgeschmack auf seinen Vortrag haben wir ihm einige Fragen gestellt, um Euch einen Einblick in seine Gedanken, Projekte und Herangehensweisen zu geben. 

Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie sich einen Namen gemacht, indem Sie Plattencover für Bands und Musiker wie die Rolling Stones, Talking Heads, Jay Z, Lou Reed und Aerosmith gestaltet haben. Woher stammt Ihre Liebe zur Musik? Welche Musik hören Sie derzeit? Ich war in meiner Jugend in sehr schlechten Rockbands und bin dadurch eng mit der Musik verbandelt, obwohl ich selber kein Talent dafür hatte. Derzeit läuft im Studio: Mark Kozelek, Kurt Vile and Kevin Murphy. 

Als Sie Ihr Unternehmen Sagmeister Inc. vor über 30 Jahren gründeten, haben Sie eine Postkarte von sich verschickt, auf der Sie nichts als Herrensocken trugen. Später haben Sie dieses Motiv wieder aufgegriffen, als Sie sich nackt mit Ihrer damaligen Partnerin Jessica Walsh in einer E-Mail-Ankündigung präsentierten. Reihen Sie sich damit in die „Sex sells“-Marketingmasche ein oder ist diese Aktion eher als Kritik an traditioneller Werbung und sozialen Medien zu verstehen? Vielleicht wollten Sie auch eine ganz andere Botschaft vermitteln… Ich war auf dieser Karte zwar nackt, aber nicht sehr sexy abgebildet. Als Österreicher habe ich vor der Nacktheit keine große Angst, alle unsere Wiener Badestrände zur Studentenzeit waren Nacktbadestrände. Da mir klar war, dass die Nacktheit – zumindest im Designzusammenhang – hier in Amerika sehr ungewöhnlich ist, habe ich diese Ungewöhnlichkeit ausgenutzt. Als Kommunikationsdesigner funktioniert die Überraschung des Ungewöhnlichen als Strategie ausgezeichnet.

Während Ihrer Karriere haben Sie Themen wie Schönheit und Glück behandelt. Was fasziniert Sie an diesen Tugenden? Womit beschäftigen Sie sich zurzeit? Derzeit beschäftige ich mich mit Langzeitdenken, weil bei der Betrachtung einer langen Zeit der Menschheitsentwicklung das genaue Gegenteil herauskommt als bei der kurzeitigen Betrachtung, die die traditionellen wie auch die sozialen Medien betreiben.  

Die allermeisten Menschen, einige Zyniker vielleicht ausgenommen, sind sich darüber einig, dass es besser ist, am Leben zu sein als tot am Friedhof zu liegen. Es ist angenehmer, gesund zu sein als krank. Wir haben lieber etwas zu essen, als dass wir hungern. Wir leben lieber in einer Demokratie als in einer Diktatur, lieber im Frieden als im Krieg. Wir sind lieber gebildet als ignorant. Alle diese Dinge können genau gemessen werden. Und glücklicherweise wurden alle diese Dinge gemessen, über einen Zeitraum von 200 Jahren! Es gibt ausgezeichnete Zahlen von vertrauenswürdigen Institutionen, die klar belegen, dass sich diese fundamentalen Werte eindeutig verbessert haben. 

Basierend auf Ihren Glücksforschungen haben Sie einige Richtlinien formuliert, die zu Ihrem Glück als Designer beitragen, wie zum Beispiel „Eine Vielzahl von Werkzeugen und Techniken verwenden“ und „An Projekten arbeiten, die mir wichtig sind“. Was macht Sie als Person im Privatleben glücklich? Mein Lieblingsversuch zu einer Definition teilt das Glück nach Zeitdauer ein: Da gibt es das ganz Kurze, wie den sekundenlangen Glücksmoment, eine mittellanges Glück wie die Zufriedenheit (kann stundenlang anhalten) und das ganze lange Glück: Das zu finden, was man mit seinem Leben machen will, den Lebenszweck. Das Glück lässt sich nicht direkt verfolgen, es muss sich von selber einstellen. Allerdings können Lebensbedingungen gestaltet werden, in denen die Chancen, dass es sich von selbst einstellt, erhöht werden. 

Alle sieben Jahre schließen Sie Ihr Designstudio in New York und begeben sich auf ein einjähriges Sabbatical, ein Ritual, das Sie den „7 Year Itch“ nennen. Frühere Reisen haben Sie an Orte wie New York, Mexiko-Stadt, Tokio, Schwarzenberg und Bali geführt. Wann ist Ihr nächstes Sabbatical und wohin geht Ihre Reise diesmal? Ja, mein nächstes Sabbatical wird diesen Herbst beginnen: 4 Monate in Madrid, dann 4 Monate in Guadalajara in Mexico und dann 4 Monate in Buenos Aires, also alles Spanisch sprechende Städte.

Sie haben mal erwähnt, dass Sie gerne Listen erstellen. Was steht derzeit auf Ihrer To-Do-Liste? Führen Sie auch eine Nicht-zu-tun-Liste? Was würde darauf stehen? Die To-Do-Liste ist lang und beinhaltet unter anderem: Neue Formen und Farben für Einsätze für historische Gemälde, Koordination vom Transport einer Ausstellung von Torreon, Mexiko nach Shanghai, China und die Gestaltung einer neuen Ausstellung in New York. Eine Nicht-zu-tun-Liste habe ich nicht, wenn es sie gäbe, würde darauf stehen: Nimm keine kommerziellen Jobs an (ich habe davon schon genügend gemacht) und vermeide den Kontakt zu unangenehmen Menschen. 

Man hat Sie als “Philosoph unter den Designern” bezeichnet (Die Welt). Fühlen Sie sich wohl mit diesem Etikett? Können sie Ihre Philosophie beschreiben? Hahahaha, nur weil ich mir – wie die meisten Menschen – hier und da Gedanken mache zu Dingen, die grösser als ich selber sind, bin ich noch lange kein Philosoph. Ich würde mich als Kommunikationsdesigner beschreiben, also als einer, der sich ein großes Thema mit vielen Datenpunkten und Aspekten ansieht und versucht, dieses Thema zu kommunizieren. 

In ihrem neuen Buch „Now is Better“ bieten Sie einen Rückblick auf unseren globalen Fortschritt und geben Aussichten auf die Möglichkeiten für die Zukunft. Dafür haben Sie Statistiken neues Leben eingehaucht, trockene Texte und Zahlentabellen in visuell ansprechendere Formate wie Linsendrucke und bestickte Leinwände umgewandelt. Gibt es eine bestimmte Statistik, die Sie inhaltlich besonders interessant fanden und wenn ja, warum? Beeindruckende Zahlen kommen aus der Tatsache, dass die durchschnittliche Kalorieneinnahme eines Menschen im Frankreich des 18. Jahrhunderts gleich hoch war wie im Äthiopien der 80er Jahre, als Äthiopien das unterernährteste Land der Welt war.


Sie besuchen Düsseldorf anlässlich von „beyond tellerrand“. Worauf freuen Sie sich besonders bezüglich dieser Veranstaltung und Ihres Besuchs in der Stadt? Ich freu mich sehr auf die Museen. Ich war noch nie im Kunstpalast, von dem ich viel Gutes gehört habe. 

Und, hat Euch das Interview gefallen und neugierig auf „beyond tellerrand“ am 13. und 14. Mai 2024 in Düsseldorf gemacht? Schaut Euch hier das Konferenzprogramm samt aller involvierten Speaker:innen an. Die Early-Bird-Tickets sind bereits ausverkauft, also sichert Euch schnell Euren Platz, wenn Ihr die Vielzahl an spannenden Talks und Workshops nicht verpassen wollt. Die Teilnahme am Kick-off am 12. Mai 2024 ist kostenlos und erfordert lediglich eine Anmeldung hier.

Das neue Buch von Stefan Sagmeister mit dem Titel „Früher war Heute ist besser“ ist im Deutschen im Verlag Hermann Schmidt erhältlich und kann hier bestellt werden… 

Text: Merit Zimmermann
Fotos: Portrait © Victor G. Jeffreys II
Buch: Früher war Heute ist besser, Stefan Sagmeister, ISBN 978-3-87439-925-8, Verlag Hermann Schmidt

© THE DORF 2024

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