TG Mauss

Der gebürtige New Yorker Torsten G. Mauss lebt schon lange in Düsseldorf und ist ein Meister der elektronischen Klänge. Nach Zusammenarbeiten mit Hauschka, Filmmusik-Projekten und drei eigenen Alben ist er jetzt mit gleich zwei Veröffentlichungen zurück: Seine neue EP “Fragmente Vol. 1”  und sein neues Album “Momente Vol. 1” stecken voller fragmentierter Sounds und vereinen Natur und Elektronik. Im Gespräch mit THE DORF gibt der Klangkünstler Einblicke in seine Arbeit. 

Für TG Mauss spielen sowohl Release-Rhythmen als auch musikalische Konventionen keine Rolle. Erst Ende April veröffentlichte er seine neue EP “Fragmente Vol. 1” über Hauch Records und nur drei Wochen später am 7. Mai 2021 erscheint sein neues Album “Momente Vol. 1” auf Vinyl. Darauf verarbeitet er auf unaufdringliche, aber langanhaltende Weise seinen persönlichen Soundtrack der Krise. Seine Musik lebt von unausgereift klingenden Sounds, die genau dadurch ihren Charakter formen und wirken. Erst wartet man auf Höhepunkte, dann akzeptiert man den fragmentierten Soundkosmos und findet sich in die akustische Warteschleife ein. 

Die leise Kombination von Naturgeräuschen und elektronischem Rauschen spiegelt die Geräuschkulisse wider, die im letzten Jahr so präsent war wie noch nie: Wir pendeln zwischen Spaziergängen und Home Office hin und her. So sind die beiden neuen Releases “Fragmente Vol. 1” und “Momente Vol. 1” TG Mauss’ persönliche Verarbeitung der Krise und der Soundtrack der Isolationserfahrung der letzten Monate. Im Gespräch mit THE DORF erzählt der Musiker vom Schreibprozess, seinen Eindrücken zur zwischenmenschlichen Distanz und seiner Verbindung zur Natur. 

Wie würdest Du Deine Musik in drei Worten beschreiben?
Spontan. Atmosphärisch. Collagenartig.

Was inspiriert Dich? Am liebsten gehe ich raus. Mit Masha, meinem Hund oder mit meinen Laufschuhen. Mich inspiriert die Natur, die frühen Morgenstunden, Licht, Wetter. Irgendwie muss ich immer in Bewegung bleiben. Ich weiß nicht, ob man das Inspirationsquelle nennen kann. Beim Laufen habe ich aber am meisten Zeit „bei mir“ zu sein. Auf langen Strecken, um den Kopf frei zu kriegen, kann schon die eine oder andere Erkenntnis gekommen sein. Und wenn es auch nur Erschöpfung bedeutet. Ich nehme mir häufig mir unbekannte Wanderrouten in der Umgebung, im Bergischen oder in der Eifel, als Trailrunningstrecken vor, da fahre ich dann ganz morgens früh hin und laufe die Strecke ab. Sehr inspirierend. Ab und zu bin ich aber auch mal in der Stadt. Eine ganz wunderbare Inspiration ist auch das Zusammenleben mit meiner Frau Romana und ihrem Sohn. Da sind ganz viele neue Erfahrungen und Emotionen, sowas spiegelt sich in „zu zweit“, ein Thema, das ganz am Anfang unseres Kennenlernens entstand.  

Deine EP “Fragmente Vol. 1” erscheinte Ende April digital und “Momente Vol. 1” Anfang Mai als Vinyl. Was ist der Hintergrund für zwei so nah aufeinanderfolgende Veröffentlichungen und wie unterscheiden sie sich? Das Album erscheint im Mai erst einmal ausschließlich auf Vinyl. Die Idee war aber, vorab eine digitale Ankündigung wie eine Singleauskopplung zu veröffentlichen, so wie man das heutzutage macht. Das Album funktioniert aber meiner Meinung nach am besten als Ganzes, hat eine Stimmung, die sich durch die Gesamtlänge aufbaut, trägt und erschließt. Stücke aus diesem Kontext nehmen und einzeln veröffentlichen wollte ich nicht. Daher hatte ich die Idee daraus eine EP zu machen. 

EP und Album haben einen sich überschneidenden Track, der jeweils in einem anderen Zusammenhang steht. Wie genau sie sich musikalisch unterscheiden, weiß ich gar nicht. Es war keine bewusste Unterscheidung, eher eine Fortsetzung. Interessanterweise ist die EP im Anschluss an das Album entstanden, obwohl sie zuerst erscheinen wird.

Welche Themen behandelst Du musikalisch auf Deinen neuen Releases? Ich würde nicht sagen, dass das Album bewusst bestimmte Themen bearbeitet. Das Album ist in sehr fokussierten, zurückgezogenen oder konzentrierten Momenten entstanden – eher situativ. Da war kein langer Prozess des „Musikschreibens“ vorausgegangen, sondern eher spontanes Improvisieren. Ich bin selbst überrascht, welche Assoziationen oder Themen mir, aber auch Hörer*innen des Albums aufkommen. 

Die Idee war es, klassisches Songschreiben oder bestimmte Genreeinflüsse zu verwerfen, also Dinge, die auf den vorherigen Alben zu hören sind. Seit dem letzten Album ist etwas Zeit vergangen und der Abstand hat mir geholfen, unvoreingenommen, vielleicht eher instinktiv, ans Musikmachen heranzugehen. Das fühlt sich sehr befreiend und richtig an. Herausgekommen sind diese Aufnahmen aus den Sessions. 

Deine Musik lässt Hörer*innen viel Raum, mal wieder (auf) die eigenen Gefühle zu hören. Was fühlst Du, wenn Du die Musik hörst? Das Album heißt „Momente Vol. 1“ weil ich das Entstehen der Musik, den Moment des Musizierens, des Schaffens, direkt festgehalten habe. Das meiste ist mit meiner halbakustischen Gitarre entstanden. Ich nehme an, dass dabei direkt oder indirekt Gefühle zu hören sind, ohne dass ich vorher bewusst festgelegt habe „So, jetzt mach ich mal ein trauriges Stück.“ Ich finde es könnten eher ganz ursprüngliche, archaische Gefühle sein, oder Erinnerungsfetzen und -fragmente: Hitze, Licht, Kälte. Erinnerungen, die sich gar nicht klar abbilden, eher diffus und schemenhaft bleiben. Zum Teil begnügen sich die Tracks mit repetitiven versetzten Melodie-Miniaturen, Verschiebungen und Schichtungen mit sehr viel Raum für minimale Änderung – aber auch sehr viel Raum für Interpretation und Bilder. Da bin ich mal gespannt, was die Hörer so für Assoziationen und Empfindungen haben werden.

Der Track „Distanz“ ist einer der unruhigsten auf dem Album. Wie beeinflusst Corona Deinen musikalischen Output? Ich weiß nicht, ob Corona meinen Output direkt beeinflusst. Das letzte Jahr hat mir zumindest durch die vielen Beschränkungen und Lockdowns mehr Zeit gegeben mich darauf zu konzentrieren. „Distanz“ ist natürlich das Thema der Zeit. Vieles hat sich und wird sich in Zukunft weiter „distanziert“ entwickeln. Am Anfang der Pandemie war es eine ganz schöne Herausforderung, diese Distanz erstmal anzunehmen. Zu Verwandten, zu Freunden, im täglichen Leben. Mittlerweile hat sich diese Distanz ja schon so subtil eingespielt, vielleicht auch schon zu sehr. Mich irritiert es, wenn sich Menschen draußen im Park oder im Wald abwenden oder einige Meter aus dem Weg gehen, wenn man sich begegnet. Aus einer distanzierten Vorsicht ist meiner Meinung nach eine Skepsis und Misstrauen geworden. Eine diffuse Stimmung der Angst, die dann wieder zu mehr Distanz führt. Seltsame Zeiten. 

Wie arbeitest Du? In welchen Arbeitsschritten entstehen diese Fragmente und Klangskulpturen? In diesem Fall habe ich ganz spontan gearbeitet. Mir war es wichtig nicht in Studioproduktion und Frickelei zu enden, sondern damit zu arbeiten was intuitiv entsteht. Daher sind die Tracks eher Sessions als final produzierte Musik. Aber das war der Reiz, die Idee. Einfach mal anfangen, meist mit nichts, oder vielleicht einer kleinen Gitarrenfigur, die ich mit einem Looper oder einem Delay „eingefangen“ habe. Dazu habe ich dann einfach weitere Spuren aufgenommen. Wichtig war mir das ganze ohne Computer zu machen, und stattdessen mit einem Mehrspurrekorder zu arbeiten, so dass ich gar nicht erst anfange die Stücke zu sezieren, sondern sie so zu lassen, wie sie beim Aufnehmen entstanden. „Klangskulpturen“ ist vielleicht ein bisschen abgedroschen, aber beschreibt es ganz gut, weil jedes Stück beim Aufnehmen entstand und sich dann manchmal zu etwas ganz anderem entwickelte als es am Anfang schien. 

Du bist nicht nur Musiker, sondern auch Architekt. Welche Rolle nimmt Räumlichkeit in Deiner Musik ein? Ich habe Architektur studiert, bin im echten Leben kein Architekt. Ich vermute aber, dass die Auseinandersetzung mit Raum, bzw. dieses strukturierte Arbeiten, das ich aus der Architektur habe, irgendwie Einfluss hat. Vielleicht auf die Reduziertheit meiner Kompositionen. Ich bin da eher weniger komplex finde ich. Architektur und Raum ist immer auch geprägt von Einteilungen und Verhältnismäßigkeiten. Vielleicht spiegelt sich das auch in Form von Wiederholung oder Rhythmik wieder. Raum entsteht besonders auch bei den Stücken, bei denen Carsten Reinhold Schulz Percussion spielt. Er füllt Lücken, bzw. gibt dem Zerbrechlichen ein Gerüst, an dem sich Melodielinien langhangeln oder auch mal entgegenstolpern. Für ihn war es eine besondere Herausforderung, sich in meinen arrhythmischen Wiederholungen mit seinen Percussions und Trommeln „einzufinden“. Das hat aber so gut geklappt, dass er bei „Momente vol. 2“ mehr Raum bekommt. Wir haben schon mit den Aufnahmen begonnen.

Welche Orte in Düsseldorf inspirieren Dich zu neuen Sounds? Wie lässt sich Düsseldorf in Deiner Musik wiederfinden? Auf der Platte sind einige Fieldrecordings zu hören. Allerdings sind das keine Aufnahmen aus Düsseldorf. Eher von Reisen, die ich gemacht habe. Ich bin wie gesagt ein Draußen-Typ. Zwei Orte sind in Düsseldorf sehr wichtig: der Rhein und der Grafenberger Wald. Detlef Weinrich (Tolouse Low Trax) schrieb mir nach dem ersten Hören der Platte „Man hört den Grafenberger Wald und die Rheinwiesen.“ Da hat er wohl recht. Ich habe immer schon einen Hund, daher bin ich seit über 20 Jahren täglich an einem der beiden Orte. Das prägt und inspiriert.

Hast Du durch Deinen Grafiker-Background die Cover der EP und LP selbst entworfen und gestaltet? Wie hängen die zwei Collagen mit der Musik zusammen? Ja, die beiden Cover habe ich selbst entworfen. Eigentlich auf die gleiche Art und Weise wie die Musik selber. Ich hatte kein festes Bild vom Artwork im Kopf, nicht das eine Bild oder Foto, das es sein musste. Also habe ich einfach mal angefangen mit Collagen, so wie man früher mit der Schere Bilder ausgeschnitten hat. Diesmal allerdings am Computer. Die Motive sind mir dabei auch intuitiv „zugeflogen“ und lassen auch viel Raum für Interpretation. Ich arbeite auch noch an der Entschlüsselung der Bilder.

Danke Dir!

Reinhören lohnt sich! Die EP „Fragmente Vol. 1“ (VÖ am 23. April 2021) ist auf den gängigen Streamingplattformen verfügbar und das Album „Momente Vol. 1“ (VÖ am 7. Mai 2021) ab sofort im Plattenladen erhältlich.

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Text: Maren Schüller
Bild: Max Sand

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