Im richtigen Augenblick den Auslöser der Kamera zu drücken, um den entscheidenden Moment einzufangen. Das ist eine Kunst, die nur wenige so beherrschen wie Martin Schoeller. Der aus München stammende und in New York lebende Fotograf ist international bekannt, vielfach ausgezeichnet und stark gefragt. Kein Wunder, dass so gut wie alle Stars vor seiner Linse standen oder stehen wollen. Den Traum, eine Porträtaufnahme von Martin Schoeller zu besitzen, verwirklicht jetzt das NRW-Forum: Im Rahmen der aktuellen und bisher umfangreichsten Ausstellung des Künstlers haben Besucher*innen die Möglichkeit, sich in einer interaktiven Photo Booth im Stil des Fotografen ablichten zu lassen. Doch damit nicht genug, es gibt auch viel zu entdecken: Von den weltbekannten Close-Ups über konzeptuelle Arbeiten bis hin zu sozialpolitischen Serien wie “Hollywood” und “Death Row Exonerees“ – die umfassende Werkschau “Martin Schoeller“ gibt einen beeindruckenden Überblick von 22 Jahren künstlerischer Arbeiten eines Fotografen, der in einem teils sehr unehrlichen Medium nach der Wahrheit sucht.
Hyperdetaillierte Nahaufnahmen von Gesichtern sind das Markenzeichen von Martin Schoeller. Inspiriert vom künstlerischen Ansatz, den Bernd und Hilla Becher in ihrer Dokumentation von architektonischen Formen und Anlagen etabliert hatten, eignete er sich Anfang der 1990er Jahren einen methodischen, fast anthropologischen Ansatz der Porträt-Fotografie an – und zwar den des formatfüllenden, frontalen Close-Ups. Waren es zu Beginn noch Freunde, die für ihn Modell standen, sind es mittlerweile prominente Schauspieler*innen, Sänger*innen und Politiker*innen wie George Clooney, Taylor Swift und Angela Merkel. Das Besondere der Bilder: auf Ablenkungen wie die Kleidung, Umgebung oder den Hintergrund wird verzichtet, die unmittelbare Nähe des Gesichts steht im Vordergrund.
Den subtilen Moment zwischen der gekonnten Geste und dem authentischen Augenblick sucht Martin Schoeller auch in seiner sozialpolitischen Werkreihe “Hollywood”. Nur handeln diese Fotografien nicht von Hollywood-Glamour, sondern von Armut und gesellschaftlichen Außenseitern. Die im Studio aufgenommenen Bilder zeigen Frauen* mit trans* Identität aus der LGBTQ+ Community, darunter viele Sexarbeiter*innen, die Schoeller auf den Straßen von Hollywood getroffen hat. Diese Begegnungen kamen ganz organisch zustande, denn Freunde des Fotografen arbeiten dort in einer Suppenküche für Bedürftige. Es ist bemerkenswert, wie gekonnt Schoeller die beiden Gesichter von Hollywood zum Ausdruck bringt. Er ist eben kein Scheuklappen-Künstler – what you see is what you get.
Überlebensgroß sind die Fotografien der Serie “Female Bodybuilders”. Sie zeigen einige der besten Bodybuilderinnen der Welt, darunter zum Beispiel die 2015 an Leberversagen verstorbene Fannie Barrios, ein wahrer Muskelberg aus Venezuela. Beim Anblick dieser Powerfrauen wird schnell klar, wie körperlich anspruchsvoll Wettkampf-Bodybuilding ist. Weniger offensichtlich ist, dass die Sportart bei weitem nicht nur starke Muskeln, sondern auch eine starke Psyche erfordert. Die Vorbereitung auf Wettkämpfe ist eine echte Tortur, und es gibt viele andere Risiken, die Bodybuilderinnen für das Erreichen ihrer Idealform in Kauf nehmen. Doch trotz all ihrer Bemühungen erlangen sie kaum öffentliche Bewunderung, weil ihr Aussehen nicht dem normierten Ideal von Schönheit entspricht. Umso erfreulicher, dass man beim Betrachten von Schoellers unretouchierten und schonungslos ehrlichen Bildern merkt, wie befreiend ein post-binäres Geschlechterverständnis sein kann.
Im gegenüberliegenden Flügel des NRW-Forums sind neben den Serien “Identical” und “Drag Queens” noch eine Reihe an inszenierten Celebrity-Porträts sowie einer speziell für die Ausstellung konzipierten Serie mit dem Titel “Death Row Exonerees” zu sehen. Letztere ist ein fortlaufendes Projekt bestehend aus Videoporträts, die Schoeller in Zusammenarbeit mit der Organisation Witness to Innocence entwickelt hat. Auf intime Weise geben sie einen berührenden Einblick in die bewegten Geschichten von ehemaligen Gefängnisinsassen, die teils über zwanzig Jahre unschuldig in der Todeszelle saßen. Die Erinnerung sorgt jetzt noch für Gänsehaut.
Ihr wollt wissen, welche*n Düsseldorfer*in Martin Schoeller gerne einmal porträtieren würde? Nun ja, auf diese Frage haben auch wir leider keine Antwort von ihm bekommen. Wahrscheinlich kann er das so pauschal gar nicht sagen. Schließlich sind vor seiner Kamera alle gleich.
Wer mehr Martin Schoeller als in dieser Ausstellung erleben will, hat zwei weitere Möglichkeiten: Entweder die Zeche Zollverein in Essen besuchen, denn in der Ausstellung “Survivors” zeigt er derzeit Bilder von Überlebenden des Holocausts, oder im NRW-Forum Bücher seiner vielfältigen Werkzyklen erwerben.
Ausstellung: MARTIN SCHOELLER
NRW-Forum Düsseldorf
28. Februar und wurde bis zum 13. September 2020 verlängert!
www.nrw-forum.de | www.martinschoeller.com
Text: Merit Zimmermann
Fotos: Katja Illner
© THE DORF 2020