Mit ihrer fröhlichen Art, ihren prägnanten Texten und ihrer tief-rauen Stimme hat die Musikerin Alli Neumann den deutschen Alternativ-Pop für sich neu ausgelegt und damit auf eine noch nicht dagewesene Ebene gebracht. Am 16. August 2021 tritt Alli Neumann im Rahmen des New Fall Festivals im Ehrenhof des NRW-Forums auf. Dort wird sie alte, aber auch brandneue Lieder spielen, die sie während der pandemie-bedingten Isolation geschrieben hat. THE DORF hat Alli Neumann für ein Gespräch getroffen. Sie erzählt uns, welchen gesellschaftlichen Mehrwert sie in ihrer Musik sieht, von positiven und kreativen Aspekten, die sie der Quarantäne zuschreibt und schwärmt von ihrer Vorfreude auf die kommenden Live-Konzerte.
Im März 2020 stand Alli Neumann kurz vor ihrem musikalischen Durchbruch. Die Proben für die erste große Tour hatten begonnen und gleichzeitig arbeitete sie an ihrem ersten Debütalbum. Ihr Traum vom Musikerinnen-Dasein hätte endlich vollständig ausgelebt werden können. Mit dem Beginn der Pandemie wurden die Proben unterbrochen und die Tour verschoben. Die freigewordene Zeit nutzte die Musikerin, um auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam zu machen. Außerdem zog sie zurück nach Ostfriesland. Dort konzentrierte sie sich auf das Songwriting und arbeitete an ihrem kommenden Album.
In ihren Texten thematisiert Alli Neumann gesellschaftliche Missstände, singt von Gleichberechtigung und verarbeitet eigene Erfahrungen. Doch nicht nur in ihrer Musik liefert sie gesellschaftskritische Denkanstöße. Außerhalb ihrer Kunst tritt sie für Antidiskriminierung ein und unterstützt bedürftige Personen. Sie nutzt ihre Reichweite für die Sichtbarkeit sozialer Problematiken. Welche Verantwortung sie bei der Wertevermittlung von Künstler*innen sieht und welche Grenzen es für sie gibt, erzählt sie uns im Interview.
Erst einmal: Auf einer Skala von eins bis zehn, wie sehr freust Du Dich wieder auf der Bühne zu stehen? 200! Ich bin vor der Pandemie schon innerlich geplatzt und war so aufgeregt, dass ich endlich spielen konnte. Ich habe zehn Jahre, eigentlich mein ganzes Leben, an meiner Karriere gearbeitet. Ich wollte endlich ein Konzert spielen, bei dem die Leute mit mir singen können. Diese Aufregung wird auch dieses Mal genauso groß sein. Vielleicht werfe ich mir, wie im „Rock DJ“-Video von Robbie Williams alles von den Knochen. Ich weiß selbst nicht, was passieren wird. Ich freue mich einfach extrem auf die Menschen, die zu den Konzerten kommen. Jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stand, dachte ich, ich würde so gerne allen hier etwas trinken gehen. Ich hatte immer super spannende Gespräche nach den Konzerten und freue mich einfach auf die Menschen.
Vor der Pandemie warst Du sehr viel unterwegs, hast Konzerte gegeben und auch im Film „Wir können nicht anders“ von Detlev Buck mitgespielt. Inwiefern hat sich Dein Leben mit dem ersten Lockdown heruntergefahren? Mein Leben hat sich zu 100 Prozent heruntergefahren. Ich hatte gerade den Film gedreht und meine erste Tour mit Tickets, auf denen mein Name steht, gespielt. Ich war sozusagen in einem Hamsterrad, aber positiv und hyped! Und dann hätte meine erste, große Tour kommen sollen. Genau im März kam dann der Lockdown. Zu dem Zeitpunkt hätten die Proben anfangen sollen. Ich hatte davor auch schon an meinem Debütalbum gearbeitet. Alles ist wie in einem Rausch passiert. Auf einmal ist alles von 100 auf 0 still gewesen.
Am Ende war es tatsächlich das Beste, was mir hätte passieren können. Man kommt als Musiker*in ganz schnell in ein Rad, in dem man dem eigenen Leistungsdruck entsprechen, immer besser werden, und den Erwartungen anderer Leuten gerecht werden möchte. Man hat selbst Angst davor, was passiert, wenn man nicht mehr erfolgreich ist oder wenn der Erfolg ausbleibt. Durch den Lockdown habe ich jetzt gesehen, was wirklich passiert und es war gar nicht so schlimm. Ich habe gemerkt, dass ich mich auch gut mit einem Pettersson-und-Findus-Leben abfinden kann. Das hat mich in meiner Kunst freier gemacht. Meine Kunst war nicht mehr mit eben diesen Erwartungen belegt, was mich sehr beflügelt hat. Das war für meine Kreativität das Beste, was mir hätte passieren können. Einmal loszulassen und sich wieder zu fragen, wozu mache ich das, wofür trete ich ein. Das war musikalisch eine sehr wichtige Zeit. Jetzt freue ich mich aber wieder herauszukommen. Das passt ganz gut, weil das Album jetzt fertig ist und wir wieder raus können.
Nicht nur in Deinen Songtexten machst Du auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, sondern Du engagierst Dich unter anderem bei Global Partnership for Education und setzt Dich für Obdachlose in Hamburg ein. Siehst du in dem Zusammenhang eine Verantwortung seitens der Künstler*innen, sich politisch zu äußern und damit in die Öffentlichkeit zu treten, außerhalb der eigenen Kunst? Das ist ganz die Frage. Wenn ich die Werte der Musikerin oder des Musikers nicht gut finde, dann sollen sie bitte ruhig sein. Wir haben gesehen, was passiert, wenn Musiker*innen und Schauspieler*innen sich öffentlich äußern. Wir hatten dieses Jahr spannende Aktionen, wie zum Beispiel #allesdichtmachen, von der ich überhaupt nicht begeistert war. Ich persönlich verbinde Musik sehr mit Politik. Für mich ist sie ein Mehrwert. Ich mache Musik auch gerne allein zuhause, aber ich mag die Reichweite, die mir die Musik bringt, um meine Werte vermitteln zu können.
Ich bin im Ton Steine Scherben Umfeld groß geworden. Musik ist für mich ein Werkzeug, um eine Bewegung zu fördern oder gesellschaftliche Denkanstöße zu liefern. Das ist mein Ansatz und der Mehrwert, den ich in meiner Musik sehe. Aber ich glaube, dass Kunst verschiedene Funktionen haben kann und dass nicht jede*r Musiker*in seine Klappe aufmachen muss. Musik war eigentlich immer das Werkzeug, was Denkanstöße geliefert und für politisches Umdenken gesorgt hat. Wenn man jetzt aber wiederum in die Musikindustrie schaut, gerade in Bezug auf Sexismus und Homophobie, stehen wir relativ weit hinten. Man sieht mittlerweile mehr Frauen in den gelisteten DAX-Unternehmen, als in den führenden Riegen der Musikindustrie. Das finde ich schade und da haben wir auf jeden Fall noch einiges, zumindest auf dem deutschen Markt, nachzuholen.
Auf Deinem Instagram-Kanal hast du schon angeteasert, dass du mit neuen Songs auf die Bühne kommen wirst. Worauf können wir uns da freuen? Das kann ich leider noch nicht sagen, aber es kommt ganz viel neue Musik. Es wird dancy und funky!
Hat sich Dein Musikstil durch das letzte Corona-Jahr und durch Deinen Umzug zurück aufs Land verändert? Ja, vom Songwriting und Schreiben her. Ich habe das Gefühl, ich war danach unbestechlicher und der Leistungsdruck ist von mir abgefallen. Das hat mich mutiger gemacht. Ich hatte die Zeit, mich eingehend an das Album zu setzen und am Stück durchzuarbeiten, ohne dass ich ständig rausgerissen wurde. Monatelang konnte ich mich in meinem Mikrokosmos bewegen und meine eigenen Gedanken immer wieder selbst verdauen. Ich hatte eine sehr intensive Zeit. Musikalisch habe ich vorher sehr viele roughe Sachen gemacht. Es bleibt auch weiterhin so, aber während Corona und der Isolation in meinem Zimmer habe ich nichts anderes gebraucht als Musik zum Tanzen. Musik, die mich hochzieht und mich nicht weiter in meine Löcher katapultiert. Das merkt man an den neuen Songs auf jeden Fall. Das Album ist das, was ich während der Pandemie und auch jetzt noch brauche.
Können wir demnächst mit einem kompletten Album rechnen? Ja, es ist im letzten Schliff. It’s going to be soon! Es ist mein Debütalbum, ich bin ganz aufgeregt. Ich freue mich so auf die Konzerte und die coolen Leute.
Was ist Deine erste Assoziation mit Düsseldorf? Woran denkst Du, wenn Du an Düsseldorf denkst? An meine Geburt. Ich bin relativ zufällig in Solingen geboren. Das ist witzigerweise meine Hauptverbindung. Sonst habe ich wenig Bezug zu Düsseldorf. Aber eins der wichtigsten Punkte in meinem Leben ist hier in der Nähe passiert. Ich fahre nochmal hin und werde es mir ganz genau angucken.
Mit wem (tot oder lebendig) würdest Du gerne ein Altbier trinken gehen und worüber würdet Ihr sprechen? Das gibt es drei Menschen. Alkohol bekommt mir nicht so gut, deswegen nehme ich lieber ein Alster, aber zuerst würde ich mich mit Marsha P. Johnson treffen. Sie ist eine schwarze Drag-Queen, Queer-Aktivistin und eine sehr bekannte Figur der Stonewall-Proteste. Sie würde ich sehr gerne treffen. Von Alexandria Ocasio-Cortez von den Demokraten, die jetzt Abgeordnete im Repräsentantenhaus ist, würde ich viel über grassroots-movements lernen, und wie man sie aufzieht. Und mit Lil Nas X würde ich auch gerne sprechen, wahrscheinlich über seinen Iconic Kiss letztens.
Vielen Dank!
Am 16. August 2021 ist Alli Neumann live im Rahmen des New Fall Festivals im Ehrenhof zu sehen. Alle Infos zum Konzert findet Ihr hier…
Ihre Tour startet am 10. November 2021. Tickets dafür gibt es hier…
New Fall Festival Summer Edition
vom 19. Juli 2021 bis 18. August 2021
www.new-fall-festival.de
Mo, 19.07.2021 – Sophie Hunger
Mi, 21.07.2021 – Tocotronic
Mo, 26.07.2021 – Die Sterne + Mia Morgan
Mi, 28.07.2021 – Hundreds + Charlotte Brandi
Mo, 02.08.2021 – Alice Phoebe Lou
Mi, 04.08.2021 – Drangsal + Blond
Mo, 09.08.2021 – Faber
Mi, 11.08.2021 – Faber
Mo, 16.08.2021 – Alli Neumann
Mi, 18.08.2021 – Provinz
Text + Interview: Franka Büddicker
Fotos: Clara Nebeling
© THE DORF 2021