Ben J. Riepe

Name: Ben J. Riepe
Alter: 42
Beruf: Choreograph

Gelernter Beruf: Tänzer, Schneider, Yogalehrer
Geburtsort: Filderstadt
URL: www.benjriepe.com

Der Düsseldorfer Choreograph Ben J. Riepe ist schon seit längerer Zeit in aller Munde. Sowohl regional als auch international werden seine Performances und Tänze in bekannten Institutionen aufgeführt. Eines der zentralen Themen in seinen Arbeiten ist das Individuum und seine Erfahrung der Umwelt. Diesem Forschungsbereich widmet er dieses Jahr seine Summer School „Sainte Réalité: Senses, Science & Sessions“, die noch bis zum 12. September 2021 stattfindet und anhand von Performances, Showings, künstlerischen & wissenschaftlichen Inputs, Erfahrungsräumen, Yoga- & Meditationsimpulsen, Exkursionen, Workshops und Late Night Sessions viele Möglichkeiten für neue Perspektiven eröffnet. Im Interview gibt der Choreograph mehr Einblicke in seine Arbeit und Vision. 

Für Leute, die Dich und Deine Kunst nicht kennen, wie würdest Du Deine Arbeiten beschreiben? Ich würde meine Arbeit als vielschichtig bezeichnen, weil sie auf der einen Seite sehr sinnlich und visuell ist, aber genau so den Hörsinn anspricht. Ich arbeite mit abstrakten Bewegungen, Bildern und Text, aber auch mit Gesängen, Geräuschen und Inhalten, Licht, Rauminstallation, performativem Parkours. Formal ist meine Arbeit sehr breit aufgestellt zwischen Bildender und Darstellender Kunst und Musiktheater, geht aber auch stark in die Forschung: Was bedeutet es, in dieser Zeit zu leben? Was bedeutet es, sich zu verbinden und von einander zu lernen? Was können Strategien sein, mit dieser sich transformierenden Welt auch sich selbst zu transformieren?

Wie sieht der Alltag eines Choreographen aus? Das kann sehr unterschiedlich sein. Eine immer gleiche Routine gibt es bei mir nicht, weil ich meist an ganz unterschiedlichen Projekte arbeite. Ich starte oft mit Yoga und Meditation in den Tag. Dann erledige ich Organisatorisches wie Mails und Meetings, in größeren und kleineren Gruppen. Danach finden Proben mit Tänzer*innen statt oder Konzeptionstreffen. Mein Team und ich haben ein breites Netzwerk aus Künstler*innen, Komponist*innen, Kostümdesigner*innen, Dramaturg*innen, mit denen ich häufig zusammen arbeite. Manchen Tage drehen sich auch nur um Organisation oder Termine. Den Abend verbringe ich mit meiner Familie mit gemeinsamem Abendessen, Spielen und Vorlesen, ins Bett bringen. Dann habe ich meistens noch Zeit, um Mails zu beantworten, Konzepte auszuarbeiten, Ideen weiterzudenken. Es sind sehr unterschiedliche Anteile von Recherche, Konzeption und Proben.

In Deinen Arbeiten und unterschiedlichen Projekten beschäftigst Du Dich immer wieder mit verschiedenen Thematiken und Fragestellungen. Was findest Du aktuell besonders spannend? Aktuell ist das Zeitgeschehen so drängend wie noch nie durch die verschiedenen Krisen, in denen wir uns seit einiger Zeit befinden, zum einen die Corona-Krise und zum anderen die Klima-Katastrophe. Ich denke, das ist so prägnant wie noch nie und bei der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland haben wir das ganz direkt vor der Haustür erlebt. Genau so in meinem Sommerurlaub in Griechenland und den dortigen Bränden. Man kann sich dem überhaupt nicht mehr verwehren. Dieses Problem ist in meiner Arbeit schon länger aus sehr vielen verschiedenen Richtungen sehr drängend, weshalb ich mich auf unterschiedlichen Ebenen damit beschäftige.

Das kann unterschiedlichste Ausformungen haben, sowohl theoretisch, als auch praktisch in der Begegnung mit Aktivist*innen und Expert*innen, und führt dazu, dass ich mich verstärkt mit allen Anteilen einer Thematik beschäftige und sie dadurch anders zusammenfinden. Zum Beispiel das Thema Atem über Yoga-Atemtechniken: Durch Corona wurde der Atem in unserer Wahrnehmung plötzlich zu einer Gefahr. Der Atem ist die einzige Funktion, die wir kontrolliert, aber auch unbewusst ausführen können. So ist der Atem genau so eine ephemere, vorübergehende Bewegung wie alle andere Bewegungen. 

Der Atem ist das, was wir inwendig spüren oder das, was unser Bewusstsein beeinflusst. Wenn wir tief und ruhig atmen, kommen wir zur Ruhe und wenn wir schnell atmen, werden wir nervös, das Herz und der Herzschlag kann beeinflusst werden und wir können zu anderen Bewusstseinszuständen gelangen. Das ist nicht esoterisch, sondern einfach wirklich. Man kann euphorisch werden von schnellem Atmen, ein Schwindelgefühl bekommen, das Bewusstsein verlieren – der Atem ist ein sehr kraftvolles Instrument, sowohl für Darstellende als auch für Teilnehmende und Empfänger. Das interessiert mich sehr. Wie kann man senden und empfangen zwischen Zuschauer*innen und Performer*innen? Wie kann man ein neues System entwerfen? Wie kann man Kunst als abstraktes Etwas betrachten? Wie kann es zu einer noch stärkeren Körpererfahrung werden und auf den Menschen einwirken? Mich interessiert über den Atem den ganzen Menschen anzusprechen. Deshalb suche ich diese Mischung zwischen Theorie, Praxis, Erfahrung und gemeinsamem Lernen.

Was erwartet die Teilnehmer*innen bei Deiner Summer School Sainte Réalité? Eine Vielfältigkeit von sinnlichen Erfahrungen, Erfahrungen von Abstraktion, Begegnungen, Gesprächen, Inhalte, Dinge, die man betrachtet oder selber erfährt. Alles in stetigem Wechsel. Ich habe zusammen mit der Kuratorin Janine Blöß die Summer School so entworfen, dass jeder Tag in sich eine Choreografie bildet. Die verschiedenen Ansätze ergänzen sich immer wieder und eine Erfahrung führt zur nächsten. Wir starten mit einem Atem-Input und und lernen danach beispielsweise ein Gedicht oder einen wissenschaftlichen Inhalt zu Körperwahrnehmung und Mikrobiomen kennen. Wie funktioniert das Gehirn zu unterschiedlichen Bewusstseinszuständen durch Traumreisen, Schlafkonzerte, Performances und Walks im Wald? 

Man kann auch einzelne Abschnitte mitmachen, in eine Performance gehen, so zum Beispiel zum Performance-Parkours CREATURE, den ich für die DC Open in der Galerie Kunst und Denker erarbeitet hatte und den jetzt Pina Bausch in größerer Version mit dem Tanztheater Wuppertal gestaltet. Auch in Wuppertal kann man vorher und nachher in der Tanz-Station Barmer Bahnhof noch andere Veranstaltungen wahrnehmen. Es gibt unterschiedliche Arten sich einzulassen, etwas mitzumachen und sich mit uns auf eine große Reise zu begeben.

Wie siehst Du die Düsseldorfer Kunstszene? Die Düsseldorfer Kunstszene ist eine sehr spannende und vielschichtige Szene mit langer Tradition und extrem wichtigen Protagonisten wie zum Beispiel Joseph Beuys, den wir durch die Exkursion nach Schloss Moyland zu der Ausstellung „Beuys und die Schamanen“ auch in die Summer School eingebunden haben. Er spielt eine genauso wichtige Rolle in unserer Arbeit mit dem FREIRAUM, dem kollaborativen Arbeitsort für die Künste und Wissenschaften, den wir Anfang 2021 ins Leben gerufen haben. Dort bekommen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen kostenlos Räume und Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, um sich auszutauschen und sich genreübergreifend inspirieren zu können. 

Ich denke, dass die Düsseldorfer Kunstszene und darüber hinaus NRW mit den vielen Hochschulen und einer unglaublichen Dichte an Kunstinstitutionen eine wichtige Rolle spielen kann, genau darüber nachzudenken, wie es überhaupt weitergehen soll in der Kunst, in der künstlerischen Arbeit und der Kuration. Die Krise kann eine Chance sein, Dinge, die sehr verkrustet sind, anders zu machen und auszuprobieren und die Kunst wieder näher ans Leben und an Menschen anzubinden und ein gemeinsames Feld von Erleben und Lernen, sowohl über die Sinne, als über den Kopf, zu eröffnen. Das finde ich wahnsinnig spannend und eine wichtige Aufgabe.

Summer School „Sainte Réalité: Senses, Science & Sessions“
Die Summer School findet noch bis zum 12. September statt und bietet ein Programm voller gemeinsamem Erleben und Erlernen mit Performances, Showings, künstlerischen & wissenschaftlichen Inputs, Erfahrungsräumen, Yoga- & Meditationsimpulsen, Exkursionen, Workshops und Late Night Sessions. Alle Infos zum Programm und zur Anmeldung gibt es hier…

Interview: Maren Schüller
Foto: Markus Feger
© THE DORF 2021

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