André Tebbe „Sieg Himmelreich“

Von der Gitarre zum Mikrofon. Von englischem Indie-Rock zu deutschen Popsongs. André Tebbe ist ehemaliger Songwriter und Gitarrist der Düsseldorfer Band Er France und veröffentlichte am 5. Juni sein erstes Soloalbum „Sieg Himmelreich“. Eine Premiere in vielerlei Hinsicht, denn: André Tebbe tritt das erste Mal als Sänger auf und singt deutsche Songs. Wir haben mit ihm über die Entdeckungsreise des Texten, den Sieg über eigene Miseren und sein Lampenfieber vor dem ersten Auftritt gesprochen.

Mit deiner Indiepop-Band Er France bist du seit Jahren ein Bestandteil der Düsseldorfer Musikszene: Wie ist die Idee des Soloprojekts entstanden? Nachdem wir mit Er France insgesamt fünf Alben veröffentlich haben, ging die Band in eine unbefristete Pause. Dabei sehe ich das letzte Album „The great escape“, das Bodo Staiger von Rheingold produziert hat, als Höhepunkt an. Als Gitarrist hatte ich weder Lust in eine bestehende Truppe zu wechseln, noch wollte ich Instrumentalmusik machen. Das sind die Momente, in denen man erkennt, dass man keine Wahl hat. Ich musste also selber ran, konnte mich nicht aufs Kreieren von Harmonien und Arrangements beschränken, sondern musste texten und singen. Mein Ziel waren schon immer Popsongs. In dieser Disziplin dann zu meinem eigenen Ausdruck zu finden, ist eine wunderbare Erfahrung. „Sieg Himmelreich“ ist damit für mich in gewisser Weise ein Sieg über die Misere. 

Früher hast du englische Songs gespielt: Warum hast du dich jetzt für deutsche Titel entschieden? Der Grund ist erstmal profan: Bei Er France singt die Französin Isabelle Frommer, sie beherrscht nicht nur ihre Muttersprache, sondern auch Englisch. Mein Englisch hingegen möchte ich keinem zumuten. Aber vor allen Dingen ist es eine tolle Chance einen Ausdruck in der Sprache zu finden, in der man träumt, flucht und betet. Das Metier „Popsong“ ist für mich ein unvergleichlich schönes Feld, das zu bestellen eine reiche Ernte verspricht. Denn in allererster Linie muss der Text eines Popsongs klingen. Das gilt übrigens für gute Schlager genauso wie für poetische Punksongs, für Udo Jürgens genauso wie für Blixa Bargeld. Wenn es mir dann gelungen ist einen Text zu formen, der in meinen Ohren toll klingt und sich gut singen lässt, dann hat man es mit einem Klanggebilde zu tun, das sich mit der Zeit auch immer mehr inhaltlich erschließt. Ich empfinde es als reiche Ernte, wenn ich dann einen Wortklang erschaffen habe, der 100% ich bin. Auf der Entdeckungsreise des Textens habe ich gelernt, dass es ganz bestimmte Worte, Bilder und Gedanken sind, die mich ausmachen. Wahrscheinlich könnte ich mich mittlerweile sogar selbst parodieren.    

Wieso ist es dir wichtig, deinen Texten viel Interpretationsspielraum zu geben? Ich finde es stinklangweilig, wenn man etwas singt, was keine Fragen aufwirft. Wenn Dinge glasklar erzählt werden, dann ist es im besten Fall die Erlebniswelt eines anderen. Schön für denjenigen, aber uninteressant für mich. Ich finde Texte müssen immer etwas haben, was der Rezipient modulieren und übertragen kann. Wenn jemand sich auf das einlassen möchte, was ich singe, dann hat er es mit einer Herausforderung zu tun. Denn ich selbst kann keinen meiner Texte genau erklären, somit der Zuhörer erst recht nicht. Ich habe aber festgestellt, dass es wohl möglich ist, Teile meiner Texte auf das eigene Leben zu beziehen. Es geht ja eigentlich immer irgendwie um so etwas wie Liebe, ich meine, unser ganzes Leben ist doch darauf ausgerichtet. Und wenn ein Zuhörer Assoziationen zu seinem eigenen Liebesleben herstellen kann, ganz gleich wie erfüllt oder unerfüllt es ist, finde ich das wahnsinnig toll. Und Musik kann dann als Overdrive dieser Gefühlswelten wirken.

Wie ist die Situation für dich als Künstler im Moment? Es fällt mir eigentlich nicht schwer der Corona-Krise auch eine positive Seite abzugewinnen. Denn ich habe an meiner EP „Sieg Himmelreich“ eineinhalb Jahre im Studio gearbeitet, nicht täglich, aber kontinuierlich. Zusammen mit meinem Produzenten “So Damn Majestic” hatten wir ausschließlich die Studioproduktion im Visier, so dass ich zum Veröffentlichungszeitpunkt noch gar keine Live-Band zusammengestellt hatte. Dadurch, dass Corona den Druck genommen hat, direkt zur VÖ livefähig zu sein, kann ich mich jetzt in aller Ruhe um die Live-Umsetzung kümmern. Und es hat sich ergeben, dass ich ganz wundervolle Mitstreiter aus Düsseldorfs Rockelite gefunden habe: Tim Potz von Liquid Lightning an der Gitarre, Thorsten Becker von Callejón am Bass und Patrick Lipke von Sounds familiar am Schlagzeug. Diese Fügung der Pandemie empfinde ich als großes Glück.

Planst du trotz Corona Konzerttermine für Ende des Jahres oder wie sieht aktuell die Planung bei dir aus? Wir arbeiten zur Zeit genau daran, die recht aufwendige Studioproduktion, die ja an Orchesterarrangements nicht geizt, in einer kleinen Rockband auf die Bühne zu bringen. Das fühlt sich super an. Sobald wir bereit sind und Corona der Garaus gemacht ist, möchten wir angreifen. Ich freu mich einerseits tierisch darauf zu erleben, wie die Songs live funktionieren, aber da es auch für mich die erste Performance als Sänger sein wird, ich war ja bei Er France nur Gitarrist, geht mir natürlich auch der Arsch auf Grundeis.

André Tebbe mit seinem neuen Album „Sieg Himmelreich“!
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Text: Linda Gerolstein
Foto: André Tebbe
© THE DORF 2020

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