Zu Tisch mit Felix Krämer | Generaldirektor des Kunstpalasts

Jeden Sonntag spaziert Felix Krämer, Generaldirektor und künstlerischer Leiter des Kunstpalasts, durch den noch unvollendeten Sammlungsrundgang des Museumsgebäudes am Ehrenhof. Dabei lässt er mit wachem Blick Revue passieren, wie der Sammlungsbestand vor den umfangreichen Umbau- und Renovierungsarbeiten aufbereitet war, und überdenkt, was sich in naher Zukunft alles verändern wird. Noch laufen die Bauarbeiten im Kunstpalast, aber damit ist es nun bald vorbei. Am 21. November 2023 öffnet der frisch sanierte und umgebaute Kunstpalast seine Pforten zur neuen Sammlungspräsentation. Felix Krämer hat uns einen Einblick in die vielfältige Sammlung gegeben und erzählt, worauf sich die Bürger*innen der Stadt Düsseldorf freuen dürfen.  

Ein kleiner Teaser vorab: Programmatisch wird sich die neue Schausammlung bemühen, den euroamerikanisch dominierten Kunstkanon aufzubrechen. Felix Krämer sagt, er möchte „Gemeinsamkeiten betonen, die uns zusammenbringen“. Dies wird an der Auswahl und Präsentation der Werke ersichtlich: Marienskulpturen und Buddha-Statuen, Rubens und El Anatsui, sowie Boro-Kimonos und Gemälde von Max Liebermann kommunizieren auf einer Augenhöhe. Das schafft ein Gefühl von Verbundenheit zwischen diversen Medien, die sich teils jenseits der traditionell bildenden Künste bewegen.

Ein weiteres wesentliches Anliegen des erneuerten Kunstpalasts besteht darin, Kindern und Jugendlichen die Sammlung näherzubringen. Schon jetzt bietet der Kunstpalast die Möglichkeit, sich auf einer speziell für Kinder konzipierten Website altersgerecht mit den im Museum präsentierten Inhalten zu beschäftigen. „Wir gehen jetzt noch stärker in den Bereich kulturelle Bildung hinein und wollen unser Angebot gezielt erweitern“, sagt Felix Krämer. Dafür hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht: Eigens für Kinder konzipierte Räume, die sich in der Sammlung verstecken und kleinen Museumsbesucher*innen auf spielerische Art einen Zugang zur Kunst ermöglichen und ihnen komplexe Wahrnehmungsprozesse nahebringen wollen. Entworfen werden die Rhinopalast-Räume von einem der gefragtesten Illustratoren unserer Zeit: Christoph Niemann, der vor allem als Zeichner für das Magazin „The New Yorker“ international bekannt wurde.

Haben wir mit der neuen Positionierung des Hauses Eure Neugier geweckt? Sehr gut! Im folgenden Interview erfahrt Ihr mehr darüber.

Die Sammlungsneupräsentation des Kunstpalasts soll 800 Werke von bekannten und weniger bekannten Künstler*innen mit zum Teil bislang nie ausgestellten Werken zeigen. Laut Pressemitteilung möchte das Haus “abseits vom Kanon inspirieren”. Können Sie uns einen Einblick in den Auswahlprozess und die Hängung der Kunstwerke im neuen Rundgang geben?
 Der Auswahlprozess war nicht leicht und zog sich über längere Zeit hinweg. Die Kuratorinnen haben natürlich bestimmte Lieblingswerke und Künstler*innen, die ihnen über die Jahre ans Herz gewachsen sind. Aber persönliche Vorlieben und Tendenzen bedeuten letztendlich eine Voreingenommenheit, weshalb wir uns in erster Linie für einen inhaltlichen Ansatz entschieden haben.

Als kuratorisches Team haben Felicity Korn, Leiterin der Moderne, Westrey Page und ich eine Reihe von Themen reflektiert und Fragen entwickelt, die uns und die Gesellschaft umtreiben. Darauf aufbauend haben wir individuell eine Vorauswahl von 100 bis 200 Werken getroffen, die im Gespräch sukzessive konkretisiert und verfeinert wurde. Wir haben uns stark bemüht, die Sammlung vom Publikum her zu denken. Um einen besseren Zugang zu den einzelnen Objekten zu ermöglichen, haben wir uns dazu entschieden, in der Beschriftung erst den Titel und dann den Namen des Künstlers oder der Künstlerin aufzuführen. Außerdem gibt es neben der White-Cube-Ästhetik auch einige Räume mit bunten Wänden, die erfahrungsgemäß beim Publikum gut ankommen. Insgesamt ist der Rundgang rhythmisch, mit leisen und lauten Stellen.

Einen weiteren Schwerpunkt haben wir ganz gezielt auf Künstlerinnen gelegt. Mir ist es wichtig, hervorzuheben, dass Frauen wie Sally von Kügelgen und Elisabeth Jerichau-Baumann trotz der zahlreichen Hindernisse, die sie erfuhren, erfolgreich als Künstlerinnen tätig waren und gesellschaftskritische Kunst kreierten. Ich finde es faszinierend, dass diese Künstlerinnenbiografien aus heutiger Perspektive auf damals eigentlich kaum möglich erscheinen.

Bei der Hängung sind wir chronologisch vorgegangen. Das dient als roter Faden, der die Sammlungspräsentation verständlicher macht, indem er die aus westlich-europäischen und östlich-asiatischen Kulturen stammenden Arbeiten miteinander verknüpft und sie in einen zeitlich-historischen Kontext bringt. Wir wollen anhand von klar ersichtlichen Beispielen und subtilen Gegenüberstellungen zeigen, dass viele Arten von Kunst gemeinsame Wurzeln haben. Das mag jetzt etwas kitschig klingen, aber am Ende verbindet uns über das Mensch-Sein doch mehr, als dass es uns trennt.

Neben der neuen Sammlung können sich Besucher*innen auf eine Kunstpalast-App freuen, die gemeinsam mit dem Digitalpartner ERGO entwickelt wurde. Welche Service-Funktionen wird die Anwendung anbieten und inwiefern soll sie dem Museumsbesuch vor Ort sowie dessen Vor- und Nachbereitung dienen? Aus meiner Sicht ist die Hauptfunktion der App, den Spaß des Museumsbesuchs zu steigern. Das ist vielleicht naiv, ist mir aber ein zentrales Anliegen. Denn es ist ja so, dass Museen bürgerliche Einrichtungen sind, die einem mitunter das Gefühl vermitteln, man darf nichts sagen, nichts fragen, und nichts anfassen. Genau das soll die Kunstpalast-App ändern, indem sie unsere Besucher*innen stärker in das Museum involviert und integriert. Es wird zum Beispiel AR-Features geben. Das heißt, man hält die Kamera seines Tablets oder Smartphones auf ein Kunstwerk gerichtet, über das man mehr erfahren möchte, und erhält weitere Informationen zu Aspekten, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann, wie dem farblichen Originalzustand oder der Rückseite eines Gemäldes. Das hat auf pädagogischer Ebene einen Mehrwert und kann auch viel Spaß bringen.

Um die Niederschwelligkeit des Hauses zu fördern, wird es außerdem spezielle Räume für Kinder und ein offenes Studio der kulturellen Bildung geben. Welche Begegnungen und Aktivitäten sollen an diesen Orten stattfinden? Die Kinderräume, den sogenannten Rhinopalast, haben wir uns aus zwei Gründen ausgedacht. Zum einen gibt es in Museen oft Räume, die nicht vernünftig genutzt werden. Für mich wäre es verschwendetes Potenzial, wenn wir diese nicht zurückerobern und produktiv nutzen. Zum anderen sind Kinder für uns die wichtigsten Besucher und wir sind fest davon überzeugt, dass sich im Museumsbetrieb einiges ändern muss, damit sich der Altersdurchschnitt des Publikums senkt. Als Kind war ich kein großer Fan von Museen – es sei denn, es gab dort was zu entdecken. Bei meinen Kindern erlebe ich das ähnlich. Daher haben wir entschieden, die leeren Räume in Kunstkammern für Kinder umzuwandeln. Wie geheime Verstecke sind sie im ganzen Sammlungsbereich verteilt, die Türklinke auf Höhe der Kinder. Eltern müssen ihre Kinder nicht wie bei IKEA abgeben, sondern können mit ihnen gemeinsam die Sammlung erkunden.

Es gibt insgesamt fünf Kunstkammern, die allesamt vom Zeichner und Illustrator Christoph Niemann gestaltet werden. Christoph wird die Räume in schwarz-weiß entwerfen und verschiedene grafische und bauliche Elemente nutzen, um den Kindern unterschiedliche Sichtweisen der Wahrnehmung näherzubringen. Mein Wunsch und Ziel ist, dass bei den Kindern ein Bewusstsein dafür entsteht, dass Sehen immer Interpretation bedeutet.

Das Studio der kulturellen Bildung wird ein Riesenbereich sein, der viele Räume umfasst, darunter Ateliers für Workshops und eine Dunkelkammer. Den Vorraum umgeben transparente Glaswände, die einladend wirken und neugierig machen auf das Dahinter. Es gibt keinen Vorhang. Alles, was hier stattfindet, ist öffentlich. Das breite Angebot wird von Kindern und Jugendlichen bis hin zu Erwachsenen reichen. Unser Bildungspartner LAMY, der Heidelberger Schreibgerätehersteller, steuert Materialien, Know-how und eine große Portion Engagement bei.

Ein weiteres Highlight ist die neue Gastronomie: Das Café und mediterrane Restaurant Anna Maria sowie die Bar Creamcheese. Was ist die Verbindung zum legendären Creamcheese der 1960er und 1970er Jahre in Düsseldorf, das damals als avantgardistische Kunst-Disko bundesweit für Furore sorgte? Die Verbindung zum Creamcheese ist, dass wir die Kunstwerke, die damals dort ausgestellt waren, 1977 erworben haben. Das sind unter anderem Arbeiten von Günther Uecker, Gerhard Richter und Daniel Spoerri. Die lagen bei uns im Depot und werden jetzt wieder präsentiert. Wir bauen das Creamcheese eins zu eins nach, zumindest den Thekenbereich, wo die Kunstwerke hingen. Für die Tanzfläche haben wir leider nicht genügend Platz.

Inwieweit hat die Neukonzeption des Creamcheese im Austausch mit Personen Jörg Eimecke stattgefunden, der in den 1980er Jahren in den Räumen des Ex-Creamcheese das Café und Cocktailbar-Restaurant Tamara eröffnete?
 Wir haben uns mit den Künstlern ausgetauscht, die damals im Creamcheese ihre Arbeiten ausstellten. Unser Interesse gilt der Anfangszeit um 1966 herum, als die Kunstwerke entstanden und das Creamcheese eingerichtet wurde. In den 1980er Jahren gab es das Creamcheese so nicht mehr. Daher ist diese Zeit und dessen prägende Figuren für uns nicht besonders relevant.

Was genau erwartet die Bürger*innen der Stadt Düsseldorf bei der Eröffnungswoche im November? Es ist die Rede von einem Fest mit Sonderprogramm…
 Wenn ich das so genau wüsste…Wir sind ja noch in der Planungsphase. Es geht auf jeden Fall darum, die Sammlung zu feiern. Es wird keinen spektakulären Act im Ehrenhof geben, der kommt nämlich schon vorher. Am 23. September wird es hier ein Heavy Metal-Konzert geben und wir bauen eine Geisterbahn auf, um die Ausstellungseröffnung von „Tod und Teufel“ zu feiern. Beim Bürger*innenfest im November legen wir den Fokus ganz bewusst auf die Sammlung und verzichten auf Dinge, die davon ablenken. Es wird freien Eintritt geben und alle sind herzlich eingeladen, das neue Haus für sich zu entdecken.

Können Sie uns bereits einen kleinen Ausblick auf das Ausstellungsprogramm 2024 geben? Wird es weitere Blockbuster-Ausstellungen und kuratorische Zusammenarbeiten mit Models, Fotografen und Schriftstellern geben? Prominenz ist nicht das Argument, auch wenn das manche vielleicht glauben. Es kommt immer vom Inhalt und muss passen, wie bei Claudia Schiffer, die nun mal aus der Düsseldorfer Gegend kommt und sich als Topmodel für eine Ausstellung zur Mode und den Trends der 1990er-Jahre sehr gut als Kuratorin eignete.

Für nächstes Jahr planen wir eine große Gerhard Richter Ausstellung. Außerdem wird es eine Ausstellung mit dem Bildhauer Tony Cragg geben, die, wie ich finde, ziemlich ungewöhnlich ist. Inhaltlich wird es dabei um Begegnung und Berührung gehen, vor allem um die Distanz, die es beim Betrachten von Skulptur gibt. Diese Distanz möchten wir ganz bewusst auflösen. Insgesamt bin ich bemüht, dass wir als Haus weiterhin überraschen und dass unser Programm nicht prognostizierbar ist. Ich glaube und hoffe, das gelingt uns ganz gut.

Was ist die Rolle des Kunstpalasts innerhalb der Düsseldorfer Museumslandschaft und wird sich diese im Zuge der Neueröffnung ändern? Als zweitgrößtes Kunstmuseum der Stadt sind wir der Junior. Nebenan haben wir die wilde kleine Schwester, das NRW-Forum. Unsere Rolle ist es, das städtische Kunstmuseum und ein zentraler Anlaufort für Düsseldorfer*innen zu sein. Dieses Ziel verfolgen wir anhand der Sammlung und unserem Ausstellungsprogramm.

Woran messen Sie den Erfolg des Kunstpalasts, sowohl in der Vergangenheit und zurzeit als auch zukünftig? Natürlich sind Besucherzahlen immer eine Messelatte, eine Abstimmung mit den Füßen sozusagen. Wenn keine Besucher kommen und das Interesse fehlt, dann läuft etwas falsch. Denn das Museum ist kein Selbstzweck, sondern ein Angebot an ein Publikum, das sich nach Inspiration sehnt und uns auch mit Steuergeldern unterstützt. Leider erreicht das Museum nicht die Breite der Bevölkerung. Genau da sehe ich unseren Auftrag. Wir möchten die Besucherbasis gezielt erweitern. Das machen wir einerseits durch Sonderausstellungen wie „Tod und Teufel“, die so ausgelegt sind, dass sie sowohl ein klassisches Publikum als auch jüngere Zielgruppen ansprechen. Zudem legen wir großen Wert auf den Freundeskreis und freuen uns, dass sich die Mitgliederzahl in den letzten Jahren vervierfacht hat. Heutzutage sind Vereinsmitgliedschaften nicht besonders sexy und dennoch werden immer mehr, insbesondere junge Mitglieder Freunde des Kunstpalasts. Das ist ein gutes Zeichen.

Nach über drei Jahren Wartezeit ist das Ende der Umbauarbeiten nun in greifbarer Nähe. Worauf freuen Sie, Herr Krämer, sich am meisten? Ich freue mich, wenn alles fertig ist. Es ist ein großes Geschenk, dass sich die Stadt Düsseldorf auf die Sanierung eingelassen hat. Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, was uns entgegengebracht wurde. Wir haben den Kunstpalast völlig neu gedacht und programmatisch ausgerichtet. Ich bin sehr gespannt, zu sehen, ob alles aufgeht und ob sich die Besucher*innen auf die Veränderungen einlassen. Natürlich freue ich mich auch, mir dann wieder neue Sachen auszudenken. Es muss weitergehen, und es wird auch weitergehen.

Vielen Dank!

Alle Infos und Updates findet Ihr auf
www.kunstpalast.de 
instagram.com/kunstpalast

(c) THE DORF, 2023
Text: Merit Zimmermann
Fotos: Kristina Fendesack

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