Tom Schilling

Etwas verschlafen sieht er aus, als wir Tom Schilling mittags in der Lobby des Hotels de Medici treffen. Tom ist gerade aufgestanden. Er hat die ganze Nacht bis 6 Uhr morgens an der Düsseldorfer Kunstakademie gedreht. Das erklärt die Farbreste an Toms Händen. An der Akademie entstehen große Teile des Filmes „Werk ohne Autor“ von Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, in dem Tom Schilling die Hauptrolle spielt. Eigentlich wollten wir heute aber gar nicht über den Schauspieler Tom Schilling sprechen, sondern über den Musiker. Denn Tom Schilling nimmt im Herbst mit seiner Band Tom Schilling & The Jazz Kids sein Debutalbum auf. Am 7. Oktober ist der Berliner das nächste Mal in der Stadt und steht im Rahmen seiner Clubtour mit den Jazz Kids auf der Bühne des FFT. Wir sprechen in der Brasserie Stadthaus mit Tom Schilling über die Kunst, Musik, die Stadt Düsseldorf und seine aktuellen Projekte.

Du drehst aktuell an der Düsseldorfer Kunstakademie den Film „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck, in dem Du den Künstler Kurt Barnert spielst. Ich habe gelesen, dass sich dahinter die Geschichte und das Leben von Gerhard Richter erkennen lassen.

Ist das so?

Wir haben das in diesem Internet so gelesen. Falls dem nicht so ist – korrigier mich. Worum geht es in dem Film?

Zunächst mal ist es ein Film über Kunst an sich und wie die Kunst im besten Fall über das Unglück triumphieren kann. Die Geschichte ist verschiedenen Künstler-Biographien der DDR entliehen. Aber da ich den Film im Moment noch drehe, ist es gar nicht so gut darüber zu sprechen. Was ich sagen kann: Sebastian Koch spielt mit, Florian Henckel von Donnersmarck führt Regie und der Film ist ein Film über die Kunst.

Dreht ihr ausschließlich an der Düsseldorfer Kunstakademie oder habt ihr noch andere Drehorte in Düsseldorf?

So weit ich weiß drehen wir nur an der Akademie.

Folgendes Zitat haben wir online gefunden: „Trubel auf allen Fluren und in allen Ateliers. Uecker, Polke, Beuys geraten ins Bild. Studenten werden als Komparsen und Darsteller eingesetzt. Eine Bogenschützin beschießt mit Holzpfeilen eine Leinwand. Zwei nackte Studenten bemalen sich selbst mit Farbe und die Box in der sie stehen. Andere Studentinnen und Studenten sind mit farbgetränkten Schwämmen behangen und bemalen mit akrobatischen Rollbewegungen die auf dem Boden ausgelegte Papierbahn. Munteres Treiben und ein paar nackte Brüste dazu.“ Klingt spannend. Inwieweit sind wirklich die Studenten als Komparsen dabei?

Da weiß ich eigentlich gar nicht so gut Bescheid, aber es kann schon sehr gut sein, dass Studenten mitspielen. Die talentiertesten. Hoffe ich. Lacht.

Wann kommt der Film in die Kinos?

Das steht noch gar nicht fest. Jetzt müssen wir den Film erst mal zu Ende drehen und ich könnte mir vorstellen, dass er frühestens im nächsten Jahr in die Kinos kommt. Vielleicht im Sommer. Eher im Herbst, schätze ich.

Hast du dir hier in Düsseldorf schon Ausstellungen angesehen? Hast du Zeit dazu gehabt? 

Ich habe leider noch keine Ausstellung gesehen, da wir zu viel arbeiten. Heute ist tatsächlich mein erster freier Tag. Vielleicht sehe ich morgen eine Ausstellung.

Deinem Wikipedia-Eintrag kann man entnehmen, dass du selber vorhattest, Kunst zu studieren. Bezugnehmend auf den Film: Ist diese Auseinandersetzung mit der Kunst an sich also auch ein Thema, was dich persönlich sehr interessiert?

Es ist auf jeden Fall ein Thema, was mich interessiert. Ich beschäftige mich viel mit der Kunst und es stimmt auch, dass ich ursprünglich Maler werden wollte. Auch wenn ich die Malerei ein bisschen aus den Augen verloren habe, glaube ich trotzdem, dass es ein toller Beruf für mich gewesen wäre. Am Filmset ersehne ich mir manchmal die Arbeit alleine in einem Atelier. Wobei der Maler natürlich mit anderen Problemen zu kämpfen hat. Aber es ist trotzdem auf der künstlerischen Ebene das Gegenteil zu meinem Beruf. Das finde ich ganz toll daran.

Du warst vor vier Monaten bereits in der Stadt und hast dich auf den Film vorbereitet. Kanntest du Düsseldorf vorher schon?

Nein, überhaupt nicht.

Du hast dich also erstmalig mit Düsseldorf beschäftigt. Was hattest du für ein „Klischeebild“ im Kopf von der Stadt? Was war dein Eindruck im Vorfeld?

Offen gestanden: Gar keins. Über Düsseldorf redet man ja nicht so viel.

Vor allem in Berlin nicht.

Lacht. Die gängigen Vorurteile sind natürlich, dass es eine wohlhabende Stadt ist. Ich habe mal einen Film gedreht der hieß: „Verschwende deine Jugend“ in dem es viel um den Ratinger Hof ging. Man denkt also schon an die Musikszene. An die Toten Hosen. Die kurze Zeit, in der ich jetzt hier bin, habe ich allerdings schon instinktiv gemerkt, dass es mir hier viel besser gefällt als in Köln.

Unsere Leser werden dich lieben. Das freut uns und das hört man selten. Gerade Berlinern gefällt oft Köln besser.

Echt? Aber keinen echten Berlinern. Berlin will ich ja nicht in klein haben. Ich will auch keine Stadt, die so versucht wie Berlin zu sein. Jedes Mal wenn ich in Köln bin, spüre ich bei den Kölnern den Versuch einer Art Selbstbestätigung, mit der man sich vergewissern muss, dass man eine tolle, kreative Stadt ist. Düsseldorf hat eine viel eigenständigere und gelassenere Art so zu sein, wie es ist. Es will nicht mehr sein, als es ist. Mir gefällt es hier. Ich finde es auch schön, wenn die Leute sich gut anziehen. Ich mag es nicht so, wenn man zu sehr angekumpelt wird – das sehe ich hier nicht und das kommt mir sehr entgegen. Ich bin in jedem Fall pro Düsseldorf.

Vielleicht muss ich hier noch mehr Zeit verbringen. Aber oft ist es ja doch so, dass der erste Eindruck nicht trügt. Aber das ist auch wirklich subjektiv. Ich werde auch immer schräg angeguckt, wenn ich als Berliner sage – und ich bin auch wirklich in Berlin geboren, echte Berliner gibt es ja nicht mehr so viele – dass mir München gut gefällt. Das hat nix mit dem „Poshen“ zu tun, sondern da geht es eher um eine Haltung oder Lebensart, die mir näher ist.

Du kommst spätestens am 7. Oktober wieder nach Düsseldorf. Mit deiner Band Tom Schilling & The Jazz Kids spielst du im FFT. Ist das eigentlich eine Band oder eher ein Projekt?

Ne, das ist schon eine Band. Ich bin der Lead-Sänger und ich schreibe. Und wir alle sind dann die Band.

Wie ist es zu dieser Mélange gekommen? Die Jazz Kids waren ja auch schon am Soundtrack deines Films „Oh Boy“ beteiligt, zu dem du auch einen Track eingesungen hast. 

Die Jazz Kids heißen Jazz Kids, weil sie – als ich sie kennengelernt habe – wirklich fast noch Kids waren. 24-, 25-jährige Jazzstudenten, die zufällig vom Regisseur von „Oh Boy“ im Deutschen Theater in Berlin entdeckt wurden, als sie dort spielten. Zu der Zeit hat er gerade die Filmmusik für unseren Film gesucht. Das war dann eine glückliche Fügung. Sie haben recht virtuos in zwei, drei Wochen den Score für den gesamten Film produziert und eingespielt. Und dafür später auch den Deutschen Filmpreis für die beste Filmmusik gewonnen. Die wissen schon wie es geht.

Hat die Kombo schon damals als „Jazz Kids“ formiert?

Ne, das waren einfach Jazz-Studenten. Wir haben uns dann ziemlich schnell angefreundet im Rahmen der Filmarbeit. Und weil die einfach wirklich sehr jung waren, hieß es dann immer bei uns „ob wir die Jazz Kids heute nochmal treffen“ und so. Ich habe erst spät angefangen, Musik zu machen. So mit Anfang 20 hat mir der Regisseur von „Oh Boy“, mit dem ich schon ziemlich lange befreundet bin, eine Gitarre geschenkt. Das Spielen habe ich mir dann selber beigebracht. Irgendwann habe ich dann auch angefangen Lieder zu schreiben. Beim Film gab’s Probleme mit dem Abspannsong, der letztendlich von Get Well Soon war. Da habe ich einen Back-up-Song geschrieben, den ich für das Album als Bonustrack beigesteuert habe. So kam die erste Verbindung zwischen den Jazz Kids und mir. Und da dachten wir, wir machen jetzt zusammen Musik. Ich habe ihnen meine Sachen gezeigt, die ich geschrieben habe. Zwischenzeitlich ist die Band noch ein wenig gewachsen. Jetzt nehmen wir im Herbst unser Debütalbum auf und gehen vorher aber noch auf eine kleine Clubtour, um uns warmzuspielen.

Für wann ist das neue Album geplant?

Wir nehmen es im Herbst auf und es erscheint dann irgendwann im nächsten Jahr.

Steht der Titel für das Album schon fest?

Wenn ich den jetzt verrate, nimmt ihn mir ja vielleicht jemand weg?

Stimmt. Das wäre doof. Ne. Brauchste nicht.

Ne! Aber ich hab ‘nen Super-Album-Titel!

Beschreib mal euren Stil. Was macht ihr?

Eigentlich können das andere ja immer besser beschreiben.

Das stimmt.

Ich glaub, das ist erst mal recht merkwürdige, ungängige Musik, die wir machen. Sie hat manchmal Anklänge von Chanson, aber auch ein bisschen Cabaret. Merkwürdig eben. Zirkusmusik. Manche Sachen sind aber auch viel straighter. Die Leute brauche ja immer Schubladen, um sich Sachen besser vorstellen zu können. Gerade bei Musik. Dadurch, dass wir ja deutschsprachig sind, muss man das schon eingrenzen. Deutschsprachig ist ja fast alles im Radio heutzutage. Anders lassen sich die Sachen schlecht an den Hörer bringen. Das ist allerdings nicht der Grund, warum ich deutsch schreibe. Das liegt eher daran, dass es für mich sehr textlastige Musik ist. Ich mag die Sachen von Element of Crime, da besonders die frühen Sachen, die viel melancholischer sind, als das, was sie heute schreiben, wie ich finde. Das gefällt mir sehr gut. Ich bin ein großer Fan von Rio Reiser als Texter und Musiker. Ich mag aber auch Leute wie André Heller. Ich weiß gar nicht, ob man den noch kennt. Der macht ganz fantastische, etwas merkwürdige, sehr bewegliche Musik.

Schauspieler, die Musik machen. Klischee?

Man fragt sich ja vielleicht immer: Warum muss der das jetzt auch noch machen? Mir geht es darum, einen anderen Ausdruck zu finden. Es ist sehr textlastige Musik. Ich trete nicht an, um einen Gesangswettbewerb zu gewinnen. Ich habe auch keine besondere Stimme, aber ich glaube, das was ich erzähle, verzichtet hoffentlich auf die gängigen Klischees, die man in der heutigen deutschsprachigen Musik präsentiert bekommt.

Eigentlich ist die Musik also eine logische Konsequenz der Schauspielerei. Ausdruck auf einer anderen Ebene?

Ja, für mich ist es komplett das gleiche. Auch wenn ich in der Schauspielerei den Unterschied habe, dass ich eine Rolle verkörpere. Ich versuche immer, sie durch mich klingen und visuell entstehen zu lassen. Ich bin trotzdem immer ich selber. Bei der Musik ist es so, dass ich sehr persönliche, sehr autobiographische Sachen verhandele. Eigentlich ist es für mich die logische Konsequenz. Ich versuche im Film immer echt, wahrhaftig zu sein, dadurch hat das immer sehr viel mit mir zu tun. Auch wenn die Rollen natürlich andere sind und ich nicht sagen würde, dass ich mich selbst spiele. Ich will mich ja auch verändern und eine Bandbreite haben, aber so versuche ich trotzdem nicht „Fake“ zu sein. Als Musiker versuche ich das noch viel mehr. Ich glaube, man kann mir hier noch viel, viel tiefer in die Seele schauen als beim Spielen. Wenn man sich darauf einlässt. Und nicht sagt: Muss das jetzt? So toll singt der jetzt auch nicht.

Du nanntest bereits Rio Reiser, André Heller, Element of Crime. Kann man sagen, dass dies auch die Musiker sind, die dich inspirieren? Oder gibt es noch andere Inspirationsquellen?

Jeder macht ja seine eigene musikalische Laufbahn durch, jeder entdeckt Musik irgendwie anders. Bei mir fing das musikalische Erweckungserlebnis an mit Nick Cave. Das hat mich nie wieder losgelassen. Das ist der Künstler, der mich am meisten beeindruckt. In jeder Hinsicht. Er hat eine unglaubliche Bandbreite, auch in dem, was er über die Musik probiert: Als Romanautor, der zwei Romane geschrieben hat, als jemand, der Drehbücher schreibt, als jemand der auch in Filmen mitspielt, als jemand der Filmscores schreibt. Gerade über den künstlerischen Output bin ich total erdrückt und inspiriert. Nick Cave ist die größte Konstante in meinem musikalischen Konsumentenleben. Aber auch Pete Doherty finde ich genial als Songschreiber. Wir sind weit davon entfernt so zu klingen wie die Libertines oder die Babyshambles, obwohl das Bands sind, die ich total verehre. Das Soloalbum von Pete Doherty „Graceland Wasteland“ finde ich unerreicht.

Was war dein erstes Konzert?

Mein erstes bewusstes Konzert war ein Konzert der Ostberliner Band The Inchtabokatables. Eine fantastische Band, die es leider nicht mehr gibt. Die Band kam aus der Ostpunk-Szene, hatte aber einen leicht mitteralterlichen Einschlag und eine Besetzung mit Streichern, Cello und 2 Geigen. Aus der Band sind übrigens auch Teile Rammsteins hervorgegangen. Rammstein 1996, da war ich 14, war übrigens auch ein wichtiges Konzert für mich. Nick Cave habe ich ebenfalls schon früh, so mit 13, 14 gesehen.

Was war dein letztes Konzert?

Iggy Pop. In Berlin. Das war super.

Wen würdest du gerne mal live sehen?

Hm. Wen habe ich noch nicht live gesehen, den ich cool finde? Alt-J.

Was läuft aktuell auf deiner Playliste?

Berufsbedingt wegen des Filmes laufen gerade die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach.

Abschließend: Freust du dich auf die Tour oder bist du auch schon ein kleines bisschen nervös?

Ne, nervös bin ich nicht. Ich habe einfach vorher noch zu viele Dinge zu tun. Ich freue mich total, weil die Konzerte, die wir bis dato in diesem Rahmen gespielt haben, Hallen zwischen 150 bis 300 und 400 Leuten, immer total gut funktioniert haben. Wir haben zwei Support-Shows gemacht, eine für Calexico, eine für Element of Crime, das ist glaub ich nicht so mein Ding. Das war in Hallen mit drei- bis viertausend Menschen. Ich fand die Leute, die bis dato zu unseren eigenen Konzerten gekommen sind und nur uns sehen wollten, echt immer sehr aufgeschlossen. Die Leute haben sich drauf eingelassen. Für uns waren das sehr tolle Erlebnisse. Wir spielen insgesamt neun Shows. Außerdem haben wir alle echt Lust, verstehen uns sehr gut und freuen uns darauf, eine kleine Männerreise durchs Land zu machen.

Vielen Dank, lieber Tom. Wir freuen uns auf die Show am 7. Oktober im FFT in Düsseldorf. Achtung: Ab dem 2. Oktober 2016 könnt Ihr auf unserer Facebook-Seite für das Konzert Tickets gewinnen! Wir sehen uns.

Tom Schilling & The Jazz Kids
FFT Düsseldorf | 7. Oktober 2016, 20 Uhr

Tickets gibt es hier…

Vielen Dank!

Text & Interview: Tina Husemann
Fotos: Sabrina Weniger
© THE DORF 2016

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